"Gebärdensprache ist das sinnstiftende Identitätsmoment"
In Deutschland ist die Gebärdensprache als Minderheitensprache ist erst seit wenigen Jahren offiziell anerkannt und nicht unumstritten. Ulrich Möbius, Leiter der Berliner Ernst-Adolf-Eschke-Schule für Hörgeschädigte, berichtet über seine Erfahrungen mit der Sprache im Schulunterricht.
Katrin Heise: Jetzt begrüße ich Ulrich Möbius. Er ist Schulleiter der Ernst-Adolf-Eschke-Schule, einem Zentrum für Hörgeschädigte in Berlin. Schönen guten Tag!
Ulrich Möbius: Guten Tag!
Heise: Herr Möbius, wer geht auf Ihre Schule, wie breit ist das Spektrum der Hörgeschädigten?
Möbius: Ja, ich sage immer, wir sind eine kleine, aber komplexe Schule, weil wir im Ganzen etwa 160 Schüler haben, die aber im Alter von 3 bis 30 sind. Wir fangen an mit einer Frühförderung, haben dann eine Grundschulabteilung, eine Haupt- und Realschulgruppierung, darüber hinaus aber auch eine integrative Berufsschule, wo etwa 60 Auszubildende von Kollegen unserer Schule versorgt werden an verschiedenen Oberstufenzentren Berlins. Und es gibt noch eine Gruppe von Kindern, die neben ihrer Hörschädigung noch zusätzliche kognitive Beeinträchtigungen haben, die auch in unserem Zentrum mit beschult werden.
Heise: Hörgeschädigt heißt aber eben nicht immer gehörlos?
Möbius: Nein, das ist praktisch der Sammelbegriff für Schwerhörige und Gehörlose. An unserer Schule sind überwiegend Kinder, die hochgradig hörgeschädigt sind, also Kinder, die für ihre Kommunikation Unterstützung in Gebärden und Gebärdensprache benötigen.
Heise: Das heißt, in Ihrer Schule wird in Gebärdensprache unterrichtet, ausschließlich, oder wie machen Sie das?
Möbius: Nein, wir haben ein bilinguales Konzept, das heißt, wir verbinden Lautsprache und Gebärdensprache. Es gibt bei der Gebärdensprache oder bei Gebärden überhaupt noch mal die Differenzierung zu machen, Gebärdensprache als eigenständiges System und diese sogenannten Lautsprache unterstützenden oder begleitenden Gebärden, dass wenn ich spreche, simultan dazu eine Gebärde einsetze, das ist aber nicht Gebärdensprache.
Der Unterricht wird überwiegend in dieser Lautsprache unterstützenden Gebärde betrieben, aber es gibt einmal das Fach Gebärdensprache, was gebärdensprachlich abläuft, aber auch viele Unterrichtssequenzen, wo es wirklich um komplexe Zusammenhänge geht. Dort verwenden Kollegen auch die Gebärdensprache, um Inhalte, die komplexerer Natur sind, wirklich umfassend zu vermitteln.
Heise: Nehmen an diesem Unterricht, also in Gebärdensprache, alle teil, wollen das alle lernen?
Möbius: Ja, also bei uns an der Schule ist das ja auch die natürliche Kommunikation der Schüler untereinander, sodass das erst mal überhaupt die Basis ist, wo die Schüler einsteigen und wir dann auch im Deutschunterricht immer wieder auch kontrastive Elemente haben, wo die deutsche Laut- und Schriftsprache mit der Gebärdensprache verglichen wird, weil durchaus so einige Schnitzer oder Beeinflussungen aus der Gebärdensprache auch in die deutsche Lautsprache überschwappen und die Schüler im Laufe ihrer Sprachentwicklung natürlich lernen soll, wie sie da zu einem guten Schriftdeutsch kommen.
Heise: Worin unterscheidet sich denn die Gebärdensprache von der deutschen Lautsprache?
Möbius: Ja, wir haben ja in dem Beitrag schon ein paar Sachen gehört. Also es ist zum Ersten einmal eine dreidimensionale Sprache, die eine ganz andere Struktur aufweist, weil sie wirklich den Gebärdenraum nutzen kann. Während jede Lautsprache wirklich Wort für Wort abläuft, können in einer Gebärdensprache Dinge nebeneinander im Raum dargestellt werden, sodass es im Sinne eines Satzes nicht eine Linie gibt, sondern wirklich eine Bühne.
Und dadurch können dann Präpositionen und Bezüge anders räumlich dargestellt werden. Verben stehen in der Regel am Ende, es gibt keine Flexionen - das sind alles Dinge, die Schüler lernen müssen, um dann eine entsprechende Lautsprachekompetenz zu entwickeln.
Heise: Das heißt, eine ganz eigene Grammatik.
Möbius: Richtig.
Heise: Das bedeutet aber auch, wenn sie beim Bäcker stehen, wird das niemand verstehen. Oder ich zum Beispiel kann damit gar nichts anfangen.
Möbius: Genau, das ist immer wieder das große Ausschlusskriterium, also wer versteht Gebärdensprache. Es gibt natürlich viele Dinge, die pantomimisch erklärbar sind, da sind unsere Schüler auch wirklich sehr versiert, weil sie so aufgewachsen sind, im Alltag sich sehr pantomimisch zu verständigen. Aber natürlich ist die Erwartung an Schule auch, dass Kinder, die eine Hörschädigung haben, auch die Lautsprache erlernen.
Es gibt auch Hör- und Sprecherziehung, wo Sprechen gelernt wird. Das ist aber wirklich ein komplexer Vorgang, und dazu kommt aber auch, dass die Kinder natürlich auch Hörreste haben. Also alle Kinder tragen hier Hörgeräte oder auch in den letzten Jahren verstärkt Cochlea-Implantate, sodass es natürlich auch einen lautsprachlichen Input bei diesen Kindern gibt. Es ist nicht so, dass die Kinder gar nichts hören und aus der Kombination dessen, was sie über diese technischen Hörhilfen aufnehmen plus was sie an Gebärden sehen, entwickeln die Kinder immer mehr ein sprachliches Verständnis und können dann auch zunehmend sich auch lautsprachlich äußern.
Heise: Warum glauben Sie, dass die Gebärdensprache trotzdem notwendig ist?
Möbius: Die Gebärdensprache ist notwendig, um einmal das Selbstbewusstsein dieser Kinder zu stärken, die sich ja eigentlich von Anbeginn auch in ihrer Andersartigkeit erleben, und weil es vielfach ihre spontane Ausdrucksmöglichkeit ist miteinander, und ich denke, dass es ein Miteinander beider Sprachen benötigt.
Also in unserem bilingualen Konzept gehen wir davon aus, dass ein hörgeschädigter Mensch eigentlich immer in zwei Welten lebt – in seiner Hörgeschädigtengemeinschaft, aber natürlich auch in seinem hörenden Umfeld, und im Idealfall wird er kompetent in beiden Sprachen, um sein Leben zu meistern. Und die Gebärdensprache ist natürlich das sinnstiftende Identitätsmoment von Hörgeschädigten.
Heise: Für und Wider der Gebärdensprache – unser Thema im Deutschlandradio Kultur mit Ulrich Möbius, Schulleiter eines Zentrums für Hörgeschädigte und, wie Sie mir gesagt haben, selbst Kind gehörloser Eltern. Haben Sie Ihre Eltern in Gebärdensprache unterhalten?
Möbius: Ja, meine Eltern haben sich in Gebärdensprache unterhalten, waren aber in der deutschen Tradition, die natürlich Gebärdensprache noch nicht so anerkannt hat, schon auch sehr darum bemüht, mit mir und meinem Bruder zu sprechen.
Meine Mutter war eine große Sprecherin, also da war die Kommunikation oft sehr stark lautsprachlich, was für Außenstehende nicht zu verstehen war, aber für uns als Kinder durchaus als Muttersprache verständlich. Aber dadurch bin ich relativ früh auch mit Gebärden aufgewachsen, habe aber tatsächlich erst im Laufe meiner Jugend oder später im Studium Gebärdensprache systematisch gelernt.
Heise: Gleichzeitig zu dieser Erforschung hat aber auch eingesetzt, dass eben die medizinisch-technische und medizinisch-diagnostische Seite sich verbessert hat, dass also eigentlich – auch positiv ausgedrückt – es immer weniger wirklich Gehörlose gibt, es aber immer mehr Menschen gibt, die eine Unterstützung haben.
Das heißt doch eigentlich, dass der Grund, in Gebärdensprache zu sprechen, also in einer Sprache zu sprechen, die eben die Mehrheitsgesellschaft sage ich mal nicht versteht, dass dieser Grund, das zu tun, doch eigentlich immer kleiner wird. Ist das nicht auch schwierig, die Gebärdensprache, die jetzt eigentlich erst hochkommt, auch oben zu halten, weil ja auch immer weniger Menschen sie eigentlich wirklich brauchen?
Möbius: Das ist richtig, also weil das ist, ich würde es jetzt mal so verkürzen, das ist so die medizinische Argumentation, dass natürlich Eltern ein Kind möchten, das ganz mühelos in der Gesellschaft kommunizieren kann und in der Elternberatung diese medizinische Sicht natürlich durchkommt, und die technischen Möglichkeiten haben sich wirklich in den letzten Jahren enorm verbessert. Mediziner argumentieren häufig damit, dass es dann ja auch keinen Sinn macht, die Gebärdensprache einzusetzen, sondern dass man diesen auditiven Kanal verstärkt und einsetzt. Wir als Schule und ich persönlich, wir sehen das nicht als Widerspruch.
Wir denken, dass das sich sehr gut bedingen kann, dass das gar nicht ein Entweder-oder, sondern ein gutes Miteinander ist. Das setzt aber auch voraus, dass die Eltern auch die Bereitschaft mitbringen, Gebärdensprache zu lernen. Und das ist, was ich auch immer wieder mit großer Sorge betrachte, wenn ich unsere Schüler vor Augen habe, dass wir natürlich Gebärdensprache in der Schule anbieten, aber dass viele Eltern das so in diesem Maße auch nicht mit leisten können, die Gebärdensprachentwicklung ihrer Kinder mitzutragen.
Heise: Und es muss genügend Lehrer geben, die Gebärdensprache ...
Möbius: Richtig.
Heise: ... können, und es muss die Finanzierung geben, dass das eigentlich so parallel, bilingual kostet halt auch mehr Geld, oder?
Möbius: Na, mehr Geld in dem Sinne, wenn wir jetzt immer eine Doppelausstattung hätten von zwei Kollegen im Klassenraum, einer in Gebärdensprache und der andere, der lautsprachlich oder Lautsprache unterstützend mit Gebärden arbeitet, dann schon. Aber die Klassen sind sehr klein, das ist eher eine didaktische Frage, wann setzt man welche Sprache ein.
Das ist oft situationsabhängig, und wenn man jetzt auch die Gruppe von hörgeschädigten Kindern betrachtet, hat man jetzt eher schwerhörige Kinder vor sich, sind es eher gehörlose Kinder. In den bundesdeutschen Schulen ist es jetzt in den letzten 10, 15 Jahren ja dazu übergegangen, dass man schwerhörige und gehörlose Schüler zusammenfasst in Schulzentren.
Und da sind schon sehr unterschiedliche Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen vorhanden, welche Sprache so ihre primäre Sprache ist, aber da ist Sprachentwicklung wirklich sehr komplex, weil es geht um die Kommunikation in der Familie, im Umfeld und in den schulischen Ansprüchen, weil hörgeschädigte Kinder in der Regel ja die gleichen Schulabschlüsse wie hörende Schüler machen sollen, aber im Grunde immer durch ihre sprachlichen Schwierigkeiten ihren Altersgenossen immer so ein bisschen hinterherlaufen müssen.
Heise: Vom Nutzen und den Schwierigkeiten der Gebärdensprache. Ulrich Möbius, Schulleiter der Ernst-Adolf-Eschke-Schule in Berlin, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!
Ulrich Möbius: Guten Tag!
Heise: Herr Möbius, wer geht auf Ihre Schule, wie breit ist das Spektrum der Hörgeschädigten?
Möbius: Ja, ich sage immer, wir sind eine kleine, aber komplexe Schule, weil wir im Ganzen etwa 160 Schüler haben, die aber im Alter von 3 bis 30 sind. Wir fangen an mit einer Frühförderung, haben dann eine Grundschulabteilung, eine Haupt- und Realschulgruppierung, darüber hinaus aber auch eine integrative Berufsschule, wo etwa 60 Auszubildende von Kollegen unserer Schule versorgt werden an verschiedenen Oberstufenzentren Berlins. Und es gibt noch eine Gruppe von Kindern, die neben ihrer Hörschädigung noch zusätzliche kognitive Beeinträchtigungen haben, die auch in unserem Zentrum mit beschult werden.
Heise: Hörgeschädigt heißt aber eben nicht immer gehörlos?
Möbius: Nein, das ist praktisch der Sammelbegriff für Schwerhörige und Gehörlose. An unserer Schule sind überwiegend Kinder, die hochgradig hörgeschädigt sind, also Kinder, die für ihre Kommunikation Unterstützung in Gebärden und Gebärdensprache benötigen.
Heise: Das heißt, in Ihrer Schule wird in Gebärdensprache unterrichtet, ausschließlich, oder wie machen Sie das?
Möbius: Nein, wir haben ein bilinguales Konzept, das heißt, wir verbinden Lautsprache und Gebärdensprache. Es gibt bei der Gebärdensprache oder bei Gebärden überhaupt noch mal die Differenzierung zu machen, Gebärdensprache als eigenständiges System und diese sogenannten Lautsprache unterstützenden oder begleitenden Gebärden, dass wenn ich spreche, simultan dazu eine Gebärde einsetze, das ist aber nicht Gebärdensprache.
Der Unterricht wird überwiegend in dieser Lautsprache unterstützenden Gebärde betrieben, aber es gibt einmal das Fach Gebärdensprache, was gebärdensprachlich abläuft, aber auch viele Unterrichtssequenzen, wo es wirklich um komplexe Zusammenhänge geht. Dort verwenden Kollegen auch die Gebärdensprache, um Inhalte, die komplexerer Natur sind, wirklich umfassend zu vermitteln.
Heise: Nehmen an diesem Unterricht, also in Gebärdensprache, alle teil, wollen das alle lernen?
Möbius: Ja, also bei uns an der Schule ist das ja auch die natürliche Kommunikation der Schüler untereinander, sodass das erst mal überhaupt die Basis ist, wo die Schüler einsteigen und wir dann auch im Deutschunterricht immer wieder auch kontrastive Elemente haben, wo die deutsche Laut- und Schriftsprache mit der Gebärdensprache verglichen wird, weil durchaus so einige Schnitzer oder Beeinflussungen aus der Gebärdensprache auch in die deutsche Lautsprache überschwappen und die Schüler im Laufe ihrer Sprachentwicklung natürlich lernen soll, wie sie da zu einem guten Schriftdeutsch kommen.
Heise: Worin unterscheidet sich denn die Gebärdensprache von der deutschen Lautsprache?
Möbius: Ja, wir haben ja in dem Beitrag schon ein paar Sachen gehört. Also es ist zum Ersten einmal eine dreidimensionale Sprache, die eine ganz andere Struktur aufweist, weil sie wirklich den Gebärdenraum nutzen kann. Während jede Lautsprache wirklich Wort für Wort abläuft, können in einer Gebärdensprache Dinge nebeneinander im Raum dargestellt werden, sodass es im Sinne eines Satzes nicht eine Linie gibt, sondern wirklich eine Bühne.
Und dadurch können dann Präpositionen und Bezüge anders räumlich dargestellt werden. Verben stehen in der Regel am Ende, es gibt keine Flexionen - das sind alles Dinge, die Schüler lernen müssen, um dann eine entsprechende Lautsprachekompetenz zu entwickeln.
Heise: Das heißt, eine ganz eigene Grammatik.
Möbius: Richtig.
Heise: Das bedeutet aber auch, wenn sie beim Bäcker stehen, wird das niemand verstehen. Oder ich zum Beispiel kann damit gar nichts anfangen.
Möbius: Genau, das ist immer wieder das große Ausschlusskriterium, also wer versteht Gebärdensprache. Es gibt natürlich viele Dinge, die pantomimisch erklärbar sind, da sind unsere Schüler auch wirklich sehr versiert, weil sie so aufgewachsen sind, im Alltag sich sehr pantomimisch zu verständigen. Aber natürlich ist die Erwartung an Schule auch, dass Kinder, die eine Hörschädigung haben, auch die Lautsprache erlernen.
Es gibt auch Hör- und Sprecherziehung, wo Sprechen gelernt wird. Das ist aber wirklich ein komplexer Vorgang, und dazu kommt aber auch, dass die Kinder natürlich auch Hörreste haben. Also alle Kinder tragen hier Hörgeräte oder auch in den letzten Jahren verstärkt Cochlea-Implantate, sodass es natürlich auch einen lautsprachlichen Input bei diesen Kindern gibt. Es ist nicht so, dass die Kinder gar nichts hören und aus der Kombination dessen, was sie über diese technischen Hörhilfen aufnehmen plus was sie an Gebärden sehen, entwickeln die Kinder immer mehr ein sprachliches Verständnis und können dann auch zunehmend sich auch lautsprachlich äußern.
Heise: Warum glauben Sie, dass die Gebärdensprache trotzdem notwendig ist?
Möbius: Die Gebärdensprache ist notwendig, um einmal das Selbstbewusstsein dieser Kinder zu stärken, die sich ja eigentlich von Anbeginn auch in ihrer Andersartigkeit erleben, und weil es vielfach ihre spontane Ausdrucksmöglichkeit ist miteinander, und ich denke, dass es ein Miteinander beider Sprachen benötigt.
Also in unserem bilingualen Konzept gehen wir davon aus, dass ein hörgeschädigter Mensch eigentlich immer in zwei Welten lebt – in seiner Hörgeschädigtengemeinschaft, aber natürlich auch in seinem hörenden Umfeld, und im Idealfall wird er kompetent in beiden Sprachen, um sein Leben zu meistern. Und die Gebärdensprache ist natürlich das sinnstiftende Identitätsmoment von Hörgeschädigten.
Heise: Für und Wider der Gebärdensprache – unser Thema im Deutschlandradio Kultur mit Ulrich Möbius, Schulleiter eines Zentrums für Hörgeschädigte und, wie Sie mir gesagt haben, selbst Kind gehörloser Eltern. Haben Sie Ihre Eltern in Gebärdensprache unterhalten?
Möbius: Ja, meine Eltern haben sich in Gebärdensprache unterhalten, waren aber in der deutschen Tradition, die natürlich Gebärdensprache noch nicht so anerkannt hat, schon auch sehr darum bemüht, mit mir und meinem Bruder zu sprechen.
Meine Mutter war eine große Sprecherin, also da war die Kommunikation oft sehr stark lautsprachlich, was für Außenstehende nicht zu verstehen war, aber für uns als Kinder durchaus als Muttersprache verständlich. Aber dadurch bin ich relativ früh auch mit Gebärden aufgewachsen, habe aber tatsächlich erst im Laufe meiner Jugend oder später im Studium Gebärdensprache systematisch gelernt.
Heise: Gleichzeitig zu dieser Erforschung hat aber auch eingesetzt, dass eben die medizinisch-technische und medizinisch-diagnostische Seite sich verbessert hat, dass also eigentlich – auch positiv ausgedrückt – es immer weniger wirklich Gehörlose gibt, es aber immer mehr Menschen gibt, die eine Unterstützung haben.
Das heißt doch eigentlich, dass der Grund, in Gebärdensprache zu sprechen, also in einer Sprache zu sprechen, die eben die Mehrheitsgesellschaft sage ich mal nicht versteht, dass dieser Grund, das zu tun, doch eigentlich immer kleiner wird. Ist das nicht auch schwierig, die Gebärdensprache, die jetzt eigentlich erst hochkommt, auch oben zu halten, weil ja auch immer weniger Menschen sie eigentlich wirklich brauchen?
Möbius: Das ist richtig, also weil das ist, ich würde es jetzt mal so verkürzen, das ist so die medizinische Argumentation, dass natürlich Eltern ein Kind möchten, das ganz mühelos in der Gesellschaft kommunizieren kann und in der Elternberatung diese medizinische Sicht natürlich durchkommt, und die technischen Möglichkeiten haben sich wirklich in den letzten Jahren enorm verbessert. Mediziner argumentieren häufig damit, dass es dann ja auch keinen Sinn macht, die Gebärdensprache einzusetzen, sondern dass man diesen auditiven Kanal verstärkt und einsetzt. Wir als Schule und ich persönlich, wir sehen das nicht als Widerspruch.
Wir denken, dass das sich sehr gut bedingen kann, dass das gar nicht ein Entweder-oder, sondern ein gutes Miteinander ist. Das setzt aber auch voraus, dass die Eltern auch die Bereitschaft mitbringen, Gebärdensprache zu lernen. Und das ist, was ich auch immer wieder mit großer Sorge betrachte, wenn ich unsere Schüler vor Augen habe, dass wir natürlich Gebärdensprache in der Schule anbieten, aber dass viele Eltern das so in diesem Maße auch nicht mit leisten können, die Gebärdensprachentwicklung ihrer Kinder mitzutragen.
Heise: Und es muss genügend Lehrer geben, die Gebärdensprache ...
Möbius: Richtig.
Heise: ... können, und es muss die Finanzierung geben, dass das eigentlich so parallel, bilingual kostet halt auch mehr Geld, oder?
Möbius: Na, mehr Geld in dem Sinne, wenn wir jetzt immer eine Doppelausstattung hätten von zwei Kollegen im Klassenraum, einer in Gebärdensprache und der andere, der lautsprachlich oder Lautsprache unterstützend mit Gebärden arbeitet, dann schon. Aber die Klassen sind sehr klein, das ist eher eine didaktische Frage, wann setzt man welche Sprache ein.
Das ist oft situationsabhängig, und wenn man jetzt auch die Gruppe von hörgeschädigten Kindern betrachtet, hat man jetzt eher schwerhörige Kinder vor sich, sind es eher gehörlose Kinder. In den bundesdeutschen Schulen ist es jetzt in den letzten 10, 15 Jahren ja dazu übergegangen, dass man schwerhörige und gehörlose Schüler zusammenfasst in Schulzentren.
Und da sind schon sehr unterschiedliche Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen vorhanden, welche Sprache so ihre primäre Sprache ist, aber da ist Sprachentwicklung wirklich sehr komplex, weil es geht um die Kommunikation in der Familie, im Umfeld und in den schulischen Ansprüchen, weil hörgeschädigte Kinder in der Regel ja die gleichen Schulabschlüsse wie hörende Schüler machen sollen, aber im Grunde immer durch ihre sprachlichen Schwierigkeiten ihren Altersgenossen immer so ein bisschen hinterherlaufen müssen.
Heise: Vom Nutzen und den Schwierigkeiten der Gebärdensprache. Ulrich Möbius, Schulleiter der Ernst-Adolf-Eschke-Schule in Berlin, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!