Geballte Emotion statt kritischer Berichterstattung

Von Anke Petermann |
Auf den sozialen Wandel hierzulande - Stichwort: Hartz IV - reagieren viele Medien mit geballten Emotionen. So ein erstes Fazit der "Mainzer Tage der Fernsehkritik". Die Fachleute bemängeln das Fehlen nüchterner, distanzierter Berichterstattung und sehen eine neue Form des Kampagnenjournalismus, mit dem Einfluss auf die Politik genommen werden soll.
Selbstversuch eines Wirtschaftsjournalisten - Dauer-Fernsehen am Tag des Job-Gipfels. Hier nur Ausschnitte davon: Mit ntv besucht Hanno Beck von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die Arbeits-Agentur in Leipzig – gleichmütig-gleichgültige Mitarbeiter lassen dort die Sorgen Arbeitsloser an sich abprallen. Bei RTL lernt er Heidrun kennen, die sich als Arbeitslose mit Minijobs abstrampelt, ohne finanziell auf einen grünen Zweig zu kommen. Und Ralf, dem es mit Arbeitslosengeld II besser geht als mit Sozialhilfe.

Das Thema sozialer Wandel wird im Fernsehen massiv personalisiert und damit vereinfacht, folgert Hanno Beck aus seinem Selbstversuch. Kurven, Formeln, Grafiken zum Thema – Fehlanzeige. Stattdessen: geballte Emotionen, zum Beispiel Mitleid:

"Wir leiden zusammen mit Ralf und Heidrun, wir wünschen ihnen natürlich, dass sie Arbeit finden. Wir fühlen uns sehr angegriffen, wenn Heidrun in die Kamera sagt: Ich mach den Ein-Euro-Job, damit ich wenigstens nicht das Gefühl habe, dass ich wertlos bin, dass ich irgendetwas tun kann. Das andere Gefühl, das wir finden, ist ganz klar auch Empörung, zum einen die Empörung über die Mitarbeiter in den Arbeitsämtern, die sich ignorant stellen, stur stellen und sagen: "Da können wir nichts machen". Das ist zum anderen auch die Empörung über Ralf, den Sozialschmarotzer, der sagt: "Finde ich klasse, dass ihr mir 700 Euro im Monat gebt, ich mache nix"."

Die wirtschaftliche und soziale Wirklichkeit könne im Bild-Medium Fernsehen gar nicht anders als stark vereinfacht wiedergegeben werden – da sind sich die Experten der Fernsehkritik weitgehend einig. Doch der Zwang, das Komplexe einfach dazustellen, berge Gefahren, genauso wie das Bedürfnis des Publikums nach Harmonie und Zuspitzung. Gefragt seien da Journalisten, die Schwächen und Stärken ihres Mediums kennen. Die Stärke des Fernsehens, so ZDF-Intendant Markus Schächter, liege im Herstellen von Zusammenhängen durch Bilder:

"Das ist das Erzählen-Können von Geschichten, ohne nur narrativ zu sein, von Zusammenhängen, das ist auch der Diskurs. Aber das feine buchstabieren von komplexeren Differenzierungsmerkmalen ist nicht die Stärke des Bild-Mediums, und deshalb ist es immer eine Medienverbund, der in diesen Fragen gefordert ist. Alles auf eine Schulter zu lasten, wäre nicht die Sinnperspektive der heutigen Diskussion."

Eine Diskussion, die auch zum Gegenstand hat, wie heftig die Konkurrenz der Medien untereinander ist und wie stark daher der Zwang, auch Vorhersehbares und Bekanntes zur Neuigkeit hoch zu stilisieren. Wo der laute Skandal Erfolgsbedingung sei, beklagt Gesine Schwan, Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, ergäben sich aber problematische Muster gerade für die Berichterstattung über politische Reformen:

"Erst werden die Reformen abstrakt gefordert, dann werden ihre konkreten Nebenwirkungen beklagt, dann technische Umsetzungsmängel moniert, und noch bevor sie in Kraft treten, wird ihr Scheitern schon verkündet. "

... so geschehen bei Hartz IV, so geschehen bei der letzten Gesundheitsreform. Die Akzente vorwiegend negativ zu setzen, so warnt die Politikwissenschaftlerin, berge die Gefahr,

"... dass umfassende Reformprozesse allein deshalb nicht gelingen können, weil das in der Bevölkerung das nötige Vertrauen in die Wirksamkeit und in den Zeithorizont der Reformen zerstört wird."

Politischen Einfluss haben Medien schon immer gehabt, bilanziert Schwan, aber im 20. Jahrhundert hätten sie das Primat der Politik noch akzeptiert. Im 21. Jahrhundert schwängen sie sich immer mehr selbst zu politischen Akteuren auf. Die Versuchung, eine eigene Agenda zu setzen und mit Hilfe von Kampagnen auch durchzusetzen, werde immer größer. Doch, so betont die Politikwissenschaftlerin, der Einfluss der Medien sei nur geliehen, die Legitimation geborgt, das verpflichte die Medienmacher, erprobte Strickmuster der Berichterstattung kritisch zu reflektieren.