Der Schriftsteller SAID ist 1947 in Teheran geboren, mit 17 kam er in die Bundesrepublik und ist heute ein hochangesehener, vielfach preisgekrönter deutscher Dichter. Schon seine ersten Gedichte schrieb er auf deutsch, inzwischen sind zahlreiche Lyrik- und Essay-Bände erschienen, SAID war auch Präsident des Deutschen PEN und aktiv im Writers in Prison Committee. In dieser Woche begleitet uns SAID im "Originalton" – mit bislang unveröffentlichten Texten, die unter dem Titel "Das vibrierende Kind" zusammen eine Art poetischer Autobiografie ergeben.
Gedichte über die Kindheit in Teheran
Der Schriftsteller SAID ist in der iranischen Hauptstadt geboren und als Jugendlicher nach Deutschland gekommen. Seither hat er sich einen Namen als deutschsprachiger Poet gemacht. Im "Originalton" präsentieren wir diese Woche unveröffentlichte Texte.
teheran
das kind ist an einem mittwoch um drei uhr nachmittag geboren.
in einem krankenhaus.
auf diesen ort haben sich die eltern geeinigt.
zur stunde der geburt waren sie geschieden.
die ehe hatte 41 tage gedauert.
die mutter war bei der geburt 14 jahre alt und blutete stark. der arzt hat gewütet:
"ihr seid keine menschen, sondern tiere."
das kind weiß:
das zimmer hatte ein fenster auf einen garten. der tag war voller sonne.
dies alles wurde dem kind erzählt, viele jahre später, weil es danach fragte.
schlangen
nachts schläft vater allein unter seinem moskitonetz, aufgespannt über einem holzbett – schlangen können die pfosten nicht hinaufkriechen. das kind in einem anderen bett, neben ihm großmutter, unter einem anderen netz.
schlangen fallen von der dachrinne auf die erde. der dumpfe schlag weckt vater. er springt auf, greift den stock neben dem bett und schlägt nach dem tier. wenn die schlange nur verletzt ist und fortkriecht, sucht der vater, unterstützt von der verschlafenen ordonanz, ihr nest auszuräuchern. eine verletzte schlange ist gefährlich. und wenn sie tot ist, muß auch der lebenspartner getötet werden, da dieser seine ermordete geliebte rächen würde.
das kind darf das moskitonetz nicht verlassen, großmutter drückt es fest an sich, fast erdrückt sie es. von seinem bett sieht das kind schatten, die hin und her rennen und riecht den rauch. am morgen, wenn es aufwacht, ist keine schlange zu sehen. auch vater nicht. er steht mit der sonne auf und reitet zu seiner garnison.
läuse
vater ist oft unterwegs; seine abwesenheit qualvoll für das kind. wenn er von seinen langen dienstreisen zurückkommt, ist er ermüdet und verlaust. großmutter macht gleich feuer im hof und hält seine kleider darüber. durch die hitze entkrampfen sich die läuse und fallen ins feuer. es knistert so schön; das kind steht da und wartet.
dann wird vater von seiner mutter gewaschen, am kopf und unter den armen besonders. jetzt dreht sich herr leutnant um und wäscht selbst seine mitte. großmutter wacht in einem abstand von zwei metern, daß er keine katzenwäsche macht. erst, wenn herr leutnant sich abgetrocknet hat, darf das kind in seine arme rennen.
fortan lebt das kind in angst, vater würde wieder verschwinden. geht er zur toilette – zu einem plumsklo in der ecke des hofes – , hält das kind wache davor. die erwachsenen lachen. dann wacht das kind eines tages auf, und vater ist wieder fort.