Geboren in Teheran (5)

Flucht aus der Kindheit

Anzeigetafel des Köln-Bonner Flughafens: Die IranAir begrüßt die Fluggäste der Verbindung Köln – Teheran; Aufnahme vom Juli 2003
Anzeigetafel des Köln-Bonner Flughafens: Die IranAir begrüßt die Fluggäste der Verbindung Köln – Teheran; Aufnahme vom Juli 2003 © picture-alliance / dpa
Von SAID |
Seine Erinnerungen an die Kindheit in Teheran hat der Schriftsteller SAID in Gedichten verarbeitet. Im "Originalton" präsentiert er unveröffentlichtes Material. Heute: Gedichte, in denen der Autor Abschied nimmt von seiner Heimat.
der besucher fragt:
"wie gut bist du in der schule?"
statt des kindes antwortet vater und lobt sogar den sohn.
"und was willst du einmal werden?" fragt der offizier
"mein sohn wird bauingenieur", lautet die antwort.
der uniformierte blickt das kind unverwandt an, bis es antwortet:
"pilot."
er lacht, der vater schreit:
"in der armee? es genügt, daß ich dabei bin."
die erwachsenen wechseln das thema.
am tag darauf erzählt das kind seinem vetter davon.
"und warum?"
"piloten tragen eine modische sonnenbrille und dann die bomberjacke", das kind fügt hinzu: "die bekommst du nicht einmal auf dem schwarzmarkt."
der vetter schweigt, das kind geht einen schritt weiter:
"und sie können jederzeit fortfliegen."

ausreisegenehmigung

jeder iraner braucht eine ausreisegenehmigung von der polizei, der offizierssohn
muß sie beim geheimdienst beantragen.
vater läßt das kind nicht alleine zum geheimdienst gehen und meldet sich an.
ein unscheinbares gebäude in einem gewöhnlichen wohnviertel.
der oberst kennt den vater, die männer umarmen sich und plaudern.
die sekretärin bringt tee, der oberst ruft:
"die akte!" – der name wird nicht einmal erwähnt.
"hat mein sohn schon eine akte bei euch?"
mit einer wegwerfenden geste antwortet der oberst:
"das ist wegen des gymnasiums. du weißt, die meisten lehrer waren mal kommunisten."
"habt ihr für jeden gymnasiasten dort eine akte angelegt?"
die akte kommt, herr oberst blättert darin.
"na gut. da er dein sohn ist, sehe ich kein problem.
vater sagt nichts mehr.
der oberst schließt die akte.

hinausgeflogen

"heute habe ich vor dem sonnenaufgang ein einzelgebet für dich gesprochen", flüstert tante zinat.
sie steht an der türschwelle und hält das heilige buch in der hand. der reisende geht darunter durch und verlässt das geburtshaus. tante zinat schüttet ihm wasser nach – auf seine rückkehr.
nach der letzten polizeikontrolle dreht sich das kind um:
da steht vater, in seiner uniform, das gesicht voller tränen.
das kind geht über das rollfeld und steigt ins flugzeug der iran air.
als es sich in der luft fühlt, läutet es und verlangt eine schachtel amerikanische winston.
das kind flüchtet aus der kindheit.


"Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart". Darin bitten wir Schriftsteller jeweils für eine Woche um einen kurzen Text, in dem sie kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen. In dieser Woche begleitet uns SAID im Originalton – mit bislang unveröffentlichten Texten, die zusammen unter dem Titel "Das vibrierende Kind" eine Art poetischer Autobiografie ergeben.

Der Schriftsteller SAID wurde 1947 in Teheran geboren, mit 17 kam er in die Bundesrepublik und ist heute ein hochangesehener, vielfach preisgekrönter deutscher Dichter. Schon seine ersten Gedichte schrieb er auf deutsch, inzwischen sind zahlreiche Lyrik- und Essay-Bände erschienen, SAID war auch Präsident des Deutschen PEN und aktiv im Writers in Prison Committee.

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