Gebrauchsgegenstände zu Kunstinstallationen

Von Sven-Claude Bettinger |
Kunst aus Abfällen und banalen Alltagsdingen - als Marcel Broodthaers 1964 Bildender Künstler wurde, war das ganz neu. Der Belgier wird oft als "künstlerischer Erbe René Magrittes" beschrieben. In Brüssel hat nun eine große Werkschau eröffnet.
Zu Beginn der großen Broodthaers-Schau blickt der Besucher in ein emblematisches Werk: Ein weiß gerahmter, ovaler Spiegel, auf dem Eierschalen prangen, löst sein Gesicht auf. Etwas weiter springen eine mit Miesmuschelschalen beklebte, große Spanplatte und ein feuerroter Kochtopf, der prall mit Muschelschalen gefüllt ist, ins Auge. In einem Glasschrank vom Flohmarkt liegt, Sushi-ähnlich, in Watte gewickelte Kohle, steht eine Weinflasche mit einem kleinen Etikett "Pluie" (Regen).

Mit diesen frühen Arbeiten hatte Broodthaers auf Anhieb Erfolg. Denn Kunst aus Abfällen, Gerümpel vom Flohmarkt, banalen Gebrauchsgegenständen war ganz neu – obwohl Marcel Duchamp mit seinen Ready-mades bereits damit experimentiert hatte.

Der Erfolg erstaunt umso mehr als der Freund René Magrittes erst mit 40 Jahren den Sprung vom Dichter, Buchhändler, Journalisten und Museumsführer zum Bildenden Künstler wagte. Das tat er, so schrieb er in der Einladung zu seiner ersten Ausstellung, 1964 in Brüssel, um endlich richtig Geld zu verdienen. Kurator Frederik Leen erläutert, warum:

"Geld war wichtig, um das zu machen, was er machen wollte. Und er hat gesehen, dass das mit Bildender Kunst auch funktionierte."

Mit den Mitteln schuf Marcel Broodthaers wenig später die Arbeiten "Der Rabe und der Fuchs" und "Ein Würfel-Wurf niemals je auslöschen wird den Zufall".

Die bekannte La Fontaine-Fabel löst er auf. Einzelne Wörter und Satzfragmente mischt er mit eigenen Gedanken und Assoziationen, die er filmt, auf eine Projektionswand druckt, zu Seriegrafien verarbeitet, von denen manche auch Fotos von Eiern oder Fritten zeigen. Das Ganze kam in eine mit Buchstaben bedruckte, große Schachtel.

Bei dem avantgardistischen Mallarmé-Gedicht füllt er den Raum zwischen den weit auseinander stehenden, unterschiedlich großen Wörtern und Buchstaben mit schwarzen Balken. Einmal in der Originalausgabe, dann separat auf Pauspapier und schließlich auf matten Aluminiumplatten. Da ist der Text völlig verschwunden, man sieht zwei autonome Kunstwerke. Der Denkprozess ist fast wichtiger als der Arbeitsprozess. Genau deswegen gehören die beiden Werke zu den wichtigsten der internationalen Konzeptkunst, betont Frederik Leen:

"Eigentlich macht er etwas sehr Einfaches. Er trennt den Inhalt von der Form. Das war das erste Mal, dass so etwas passierte."

Neben solchen schweren Brocken ist in der Brüsseler Schau aber auch leichtere Kost zu sehen: etwa die Seriegrafien "Die Tiere auf dem Bauernhof A, B", wo unter den Abbildungen von Kuh- beziehungsweise Stierrassen die Namen von Automarken stehen.

Oder schwarz-weiße Plastikplatten, auf denen Magrittes Pfeife von Buchstaben umkränzt ist. Oder ein Marmeladenglas, in dem das Illustriertenfoto einer nackten Frau steckt – auch da lässt der väterliche Freund grüßen. Beide eint – und das kann man jetzt wunderbar vergleichen - etwas typisch Belgisches.

Frederik Leen: "Es gibt diesen Humor, diese Ironie, man lächelt über die 'fröhliche Wissenschaft' von Broodthaers. Und da ist er sehr dicht bei Magritte. Magritte hat immer versucht, mit dem Begriff 'Poesie' seine Arbeiten zu verdeutlichen, dass sie der 'befreiende Geist' war – und das war bei Broodthaers auch so."

Die Parallelen lassen sich jetzt wunderbar nachvollziehen, wenn man von der Broodthaers-Schau ins wenige Schritte entfernte Magritte-Museum geht. Da fallen auch die Unterschiede zwischen den beiden herausragenden belgischen Künstlern auf.

Magritte war durch und durch Maler, seine Fotos und Filme betrachtete er nicht als Kunst. Broodthaers hingegen bediente sich aller modernen Mittel, der technischen ebenso wie des Abfalls, von teuren wie Aluminium bis zu billigem Plastik. Und er war ein brillanter Theoretiker. Das wurde international anerkannt: 1972 lud Harald Szeemann den Belgier zur legendären "Documenta 5" ein, bei der die Konzeptkunst im Mittelpunkt stand.