"Gebt das Fischereimanagement an die Umweltminister!"

Rainer Fröse im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler |
Angesichts hoher Fangquoten urteilt der Meeresbiologe Rainer Fröse: "Für einige Bestände sieht es wirklich düster aus". Deshalb schlägt er vor, "die Bewirtschaftung der Wildbestände den Umweltministern geben. Die haben verstanden, dass gesunde Fischbestände gesunde Fänge erlauben, aber solche Bestände kann man nur in gesunden Ökosystemen haben".
Jan-Christoph Kitzler: Das alljährliche Geschacher um die Fischereiquoten soll jetzt anders werden, zumindest, wenn es nach Fischereikommissarin Maria Damanaki geht. Heute will sie ein Reformkonzept vorlegen, und über das habe ich vor der Sendung mit Rainer Fröse gesprochen, er ist Meeresbiologe am Leibnitz-Institut für Meereswissenschaften der Universität Kiel. Zuerst habe ich ihn gefragt, ob er denn an einen Paradigmenwechsel glaubt.

Rainer Fröse: Ich hoffe es zumindest. Der Vorschlag, der von der Kommission vorliegt, ist gut in vielen Teilen, er bestimmt neue Richtwerte, und zwar sind das die internationalen Richtwerte, die endlich in Europa angenommen wurden, das ist seit 1982 überfällig, und diese Richtwerte würden dafür sorgen, dass unsere Bestände drei bis vier Mal größer sein müssten als sie jetzt sind, und auch die Fänge könnten dann steigen, vielleicht um 60 Prozent in ganz Europa. Also das geht in die richtige Richtung.

Kitzler: Gehen wir mal die wichtigen Punkte nach der Reihe durch. Wir haben schon gehört: Bisher wurde immer von Jahr zu Jahr ausgeschangelt, welche Quote gefischt werden darf. Jetzt soll es langfristige Bewirtschaftungspläne für die Meere geben. ist das eine gute Nachricht?

Fröse: Ja, das ist eine gute Nachricht, weil worunter wir leiden ist das Mikromanagement unserer Landwirtschaftsminister, die sich also zwei, drei Mal im Jahr in Brüssel treffen, dann nach Bestand aushandeln, wie viel im nächsten Jahr gefangen werden darf. Dabei wurde bisher immer der Rat der Wissenschaftler weitgehend ignoriert, also es werden 40 bis 50 Prozent höhere Fänge festgesetzt, als die Wissenschaftler als maximal angegeben haben.

Kitzler: Aber die Bestände können sich ja auch zum Teil recht schnell erholen, zum Beispiel beim Dorsch sieht man jetzt eigentlich große Erfolge. Also das spricht doch eigentlich auch eher für eine kurzfristige Festlegung?

Fröse: Ja, das ist richtig, also unsere Bestände – die meisten können sich noch erholen, bei einigen wird es schwierig werden. Also Dornhai beispielsweise ist wahrscheinlich weg, wird so schnell nicht wiederkommen. Aber andere sind noch da und haben eine Chance, und der Dorsch in der östlichen Ostsee ist tatsächlich ein gutes Beispiel. Der erholt sich deshalb, weil Polen seine Fänge drastisch reduziert hat, und darauf reagiert der, und inzwischen sind die Fänge der Polen höher als sie vorher waren, weil der Bestand jetzt größer ist.

Kitzler: Das zweite wichtige Thema ist der sogenannte Beifang. Ein Viertel, manche sagen sogar bis zu 80 Prozent der gefangenen Fische gehen wieder tot oder halbtot über Bord, weil es die falschen Fische entweder sind oder weil sie nicht die richtige Größe haben. Wie kann man das abstellen?

Fröse: Ja, was die Kommission vorschlägt, ist, dass solcher Beifang jetzt angelandet werden muss, und der geht dann ins Fischmehl, und für das Fischmehl kriegt der Fischer so ein Euro pro Kilo. Das ist aber weniger als seine Kosten. Von daher ist für ihn das nicht attraktiv, überhaupt solche Fische zu fangen. Das ist ja das Ziel, dass man Fische, die man nicht haben will, gar nicht erst fängt, weil man kann die normalerweise nicht lebend wieder freilassen – also ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings befürchte ich da, dass die Bürokratie mal wieder zuschlagen wird: Es soll also für jeden Bestand anders geregelt werden, und ich habe da große Bedenken, dass das hinterher auch funktioniert.

Kitzler: Das heißt, das jetzige System begünstigt eigentlich, so viele Fische zu fangen, wie geht, egal was für Fische das sind?

Fröse: Ja, genau. Man fängt jetzt so viel wie man will, und was man dann an Deck holt und einem nicht gefällt, das schmeißt man einfach über Bord, und das ist im Augenblick völlig legal, ist zum Teil sogar erzwungen, weil zum Beispiel nicht erlaubt ist, Kabeljau anzulanden, der kleiner als 30 Zentimeter ist. Der wird dann also auf See tot über Bord geworfen. Und das Verrückte dabei ist - warum fängt man überhaupt erst? Weil die offiziell vorgeschriebenen Maschenweiten so klein sind, dass sie Fische fangen, die kleiner sind als man anlanden darf.

Kitzler: Wie ernst ist eigentlich die Lage in den Meeren jetzt, wie würden Sie das beschreiben?

Fröse: Also für einige Bestände sieht es wirklich düster aus, und das sind auch ausgerechnet Bestände in deutschen Gewässern. Anscheinend hat der deutsche Landwirtschaftsminister, der jeweils im Amt war, auf Druck der Fischereilobby noch höheren Fischereidruck hier in deutschen Gewässern durchgesetzt als in anderen. Beispiel wäre also der Kabeljau der Nordsee, dem geht es ganz schlecht, der ist aus der südlichen Nordsee ganz verschwunden. Ein anderes Beispiel wäre der Dorsch in der westlichen Ostsee, dem geht es viel schlechter als seinem östlichen Kollegen. Ein Beispiel wäre auch der Hering in der westlichen Ostsee, dem geht es wesentlich schlechter als dem Hering zum Beispiel in Finnland. Die Gründe sind für alle drei gleich: Der Fischereidruck ist dreifach höher, als er nachhaltig sein dürfte.

Kitzler: Kann man daraus schließen: Das Quotensystem, wie es bisher bestand, ist gescheitert?

Fröse: Man muss sich das mal klarmachen: Die Vorgaben der Wissenschaftler waren angefragt: Gebt uns den Wert, bei dem der Bestand gerade nicht zusammenbricht, also wir wollen so hart fischen, wie es nur irgendwie möglich ist, ohne den Bestand gleich auszurotten. Und diese Grenzwerte wurden auch geliefert von den Wissenschaftlern, und die wurden dann überschritten um bis zu 40 Prozent. Und man hat also ganz systematisch Bestand für Bestand quasi auf den Abhang zum Abgrund gestoßen, und das System hat da hingeführt, wo wir heute sind: Die meisten Bestände sind überfischt oder zusammengebrochen, und davon müssen wir endlich weg.

Kitzler: Norwegen ist ja auch eine Fischereination, und Norwegen gilt immer auch jetzt zurzeit als positives Beispiel in der Fischereipolitik. Was macht man dort anders?

Fröse: Norwegen hat mehrere Sachen ganz gut durchgesetzt. Unter anderem haben die Beobachter auf allen Schiffen, da wird geguckt, dass die Gesetze auch eingehalten werden, da darf also nichts über Bord geworfen werden, muss alles angelandet werden, und sie haben auch die Fangmengen in vielen Beständen deutlich niedriger angesetzt als in Europa. Also dem Hering vor der norwegischen Küste geht es ganz ausgezeichnet, der hat eine sehr gute Bestandsgröße und kann mit hohen Mengen befischt werden.

Kitzler: Jetzt wird ja heute sicherlich diskutiert: Geht dieser Vorschlag der EU-Kommission überhaupt weit genug? Was stellen Sie sich denn vor, was muss über das, was bisher passiert, hinaus noch weiter passieren?

Fröse: Also, wie kann man es ändern, was ist das Grundproblem, das man lösen müsste? Aus meiner Sicht ist das Grundproblem, dass wir die Landwirtschaftsminister die Entscheidung treffen lassen, die Ausführung kontrollieren lassen, im Prinzip auch die Wissenschaftler einstellen lassen – alle Macht in den Händen der Landwirtschaftsminister. Und das hat einfach nicht funktioniert. Wildfische werden nach ganz anderen Kriterien bewirtschaftet als eine Schweinezucht. Ich meine, man müsste die Bewirtschaftung der Wildbestände den Umweltministern geben. Die haben verstanden, dass gesunde Fischbestände gesunde Fänge erlauben, aber solche Bestände kann man nur in gesunden Ökosystemen haben. Also: Gebt das Fischereimanagement an die Umweltminister!

Kitzler: Das europäische Handeln ist natürlich immer unterworfen dem System der 27 Mitgliedsstaaten. Auf der einen Seite versucht man, hier zu Quoten zu kommen, jetzt vielleicht eine Reform durchzusetzen, auf der anderen Seite fischen europäische Trawler ja auch zum Beispiel vor der afrikanischen Küste die Meere leer. Wie passt das denn zusammen?

Fröse: Ja, weil wir unsere Bestände überfischt haben, müssen wir 60 Prozent des Fischs, den wir so essen in Europa, importieren von irgendwo her, und da wir auch eine viel zu große Flotte haben, schicken wir dann gleich unsere Flotten, europäischen Flotten in alle Weltmeere. Da die Staaten aber kontrollieren, ihre Küstengewässer, geht das dann über Fischereiabkommen, und da zahlt dann der europäische Steuerzahler so im Schnitt 100.000 Euro pro europäischem Fischereiboot, das da fischen darf.

Und leider werden bei diesen Fischereiabkommen bisher keine nachhaltigen Grenzen eingehalten, das heißt, in gewisser Weise überfischen wir die Bestände der Entwicklungsländer. Die Konsequenzen sind bekannt, wir haben dann Armut, und wir haben dann die Boote benutzen ihre Fischer, um dann auch Flüchtlinge nach Europa zu bringen.

Kitzler: Das, was dort passiert, wird von der jetzigen Reform nicht erfasst. Heute liegt der Vorschlag auf dem Tisch der Kommission. Besteht nicht am Ende doch die Gefahr, dass die zuständigen Minister in den Mitgliedsstaaten am Ende doch wieder in die alten Muster zurückfallen und es beim alten Gefeilsche um die Quoten bleibt?

Fröse: Ja, das ist die große Gefahr. Der Kommission ist die Fischerei so, wie sie betrieben wird, eher peinlich, also alle Kommissare wollen, dass es geändert wird. Entscheiden tun das aber nicht die Bürokraten in Brüssel, wie man ja immer schön glaubt und glauben gemacht wird, nein, entscheiden tun unsere Landwirtschaftsminister. Und die stehen ganz massiv unter dem Druck der Fischereilobby, die immer noch rückwärtsgewandt ist und das alte System mit Subventionen gern am Leben erhalten will.

Kitzler: Rainer Fröse war das vom Leibnitz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!

Fröse: Gerne, ja, tschüss!

Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
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