Keine verdeckten medienpolitischen Eingriffe
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Im Streit um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags weist der Verfassungsrechtler Bernd Holznagel auf den Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks hin. Man dürfe Finanzierungsfragen nicht mit medienpolitischen Forderungen koppeln.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Hasselof (CDU) hat die Abstimmung im Landesparlament über eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags gestoppt. Mehrere öffentlich-rechtliche Sender haben daraufhin erklärt, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu klagen. Laut Rechtssprechung hätten sie einen Anspruch auf bedarfsgerechte Finanzierung.
Der Verfassungsrechtler Bernd Holznagel sieht für eine solche Klage gute Erfolgschancen. Inhaltliche Argumente über die Ausrichtung der öffentlich-rechtlichen Sender dürften hingegen keine Rolle spielen, so Holznagel:
"Man will ja gerade nicht, dass an die Frage, wie hoch der Beitrag sein muss, medienpolitische Forderungen gestellt werden oder dass es damit verkoppelt wird. Und warum? Weil man nicht will, dass der Staat die Medien kontrolliert. Das Parlament ist Teil des Staates. Der Grundsatz der Staatsfreiheit der Medien ist hier quasi der zentrale Grundsatz, warum man überhaupt so ein kompliziertes Verfahren macht."
Das Interview im Wortlaut:
Vladimir Balzer: Jetzt tun wir das, was wir als Journalisten eigentlich ungern tun, über uns selbst zu reden, aber wir müssen es, weil die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nun vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt werden muss, nachdem die CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt erst Ablehnung des neuen Medienstaatsvertrags signalisierte und dann der Ministerpräsident von der CDU den ganzen Vorgang gestoppt hat und gar nicht mehr abstimmen lassen wollte.
Kern des Konflikts: eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent im Monat. Diese Erhöhung wurde von einer unabhängigen Kommission bestätigt, auf die die Öffentlich-Rechtlichen keinen Einfluss haben. Und ja, natürlich betrifft dieses Thema auch uns hier im Deutschlandradio, auch diese Sendung, auch mich als Moderator, in der Hinsicht geht es also um uns, aber eben auch um die Medienöffentlichkeit in diesem Land.
Jetzt also die Klage in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht. Bernd Holznagel ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni in Münster. Wie stehen denn die Chancen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Karlsruhe?
Bernd Holznagel: Aus meiner Sicht gut. Es wird ja jetzt ein Verfahren geben im einstweiligen Rechtsschutz, und dann verkoppelt man dieses Verfahren immer noch mit dem Hauptsachebegehren, das wäre dann eine Verfassungsbeschwerde.
Wir haben ja schon mal 2007 eine Entscheidung des Gerichts gehabt, wo die Grundsätze formuliert wurden, auch damals waren die Länder unterhalb der Schwelle geblieben, die die Kommission für die Ermittlung für den Finanzbedarf (KEF) im öffentlich-rechtlichen Rundfunk fixiert hatte. Das hatte dann das Bundesverfassungsgericht zu überprüfen, und da haben die Sender ja recht bekommen, haben sich durchsetzen können mit ihrer Rechtsansicht.
Beim Eilverfahren könnte die Beitragserhöhung in Kraft treten
Balzer: Aber das war damals auch ein anderer Zeitrahmen. Jetzt reden wir von wenigen Tagen, die noch bis zum 31.12. bleiben beziehungsweise zum 1. Januar 2021, wo ja dieser Medienstaatsvertrag eigentlich in Kraft treten sollte. Das heißt, wir stehen jetzt vor einem Eilverfahren, in dem entschieden werden könnte, und dann gibt es noch mal ein Hauptverfahren oder wie würde das ablaufen?
Holznagel: Ganz genau. In diesem Hauptverfahren prüft man quasi die verfassungsrechtliche Lage umfassend. Diese Verfahren können dauern. Bundesverfassungsgerichtsverfahren dauern gewöhnlich ein, zwei, drei Jahre, das kann man nie sagen, wann das durchkommt.
Und dann gibt es eben dieses Eilverfahren, das werden Sie ja kennen, dass man zur Verhinderung von großen Schäden eben auch im einstweiligen Rechtsschutz noch mal eine Überprüfung durch das Gericht veranlassen kann. Da wird aber nicht umfassend jetzt verfassungsrechtlich überprüft, da guckt man eigentlich nur, ob man evident keine Chancen hat im Hauptverfahren – das ist in diesem Fall aber, glaube ich, klar, dass man sehr gute Chancen hat im Hauptverfahren.
Im Übrigen guckt man dann, wie wir Juristen das nennen, nach der "Eilbedürftigkeit", da macht man im Kern eine Folgenabwägung: Was spricht dafür, die Sache laufen zu lassen, was spricht dafür, jetzt mit der einstweiligen Maßnahme zum Beispiel den Beitrag eben doch zum 01.01. anzuheben.
Balzer: Das heißt, wenn dieses Eilverfahren im Sinne der Öffentlich-Rechtlichen entschieden wird, dann würde es zunächst zu einer Beitragserhöhung zum 1. Januar kommen?
Holznagel: Ja. Jetzt weiß ich nicht genau, wie die Anstalten dann vor Gericht argumentieren werden und welchen Antrag sie stellen, aber das hängt dann davon ab, wie der Antrag gestellt wird. Der kann ja eigentlich nur darauf hin abzielen, dass man entweder sagt, die Zustimmung des Parlaments in Sachsen-Anhalt wird quasi ersetzt, oder dass man den Beitrag zu diesem Zeitpunkt anordnet.
Das Gericht hat in diesen einstweiligen Verfahren doch eine breite Palette an Entscheidungsmöglichkeiten, das ist, wenn Sie in das entsprechende Gesetz gucken, nicht limitiert, es kann eben das Notwendige tun, um die negativen Folgen abzuwenden, und da werden wir alle uns überraschen lassen.
Beschneidung der Landesparlamente?
Balzer: Aber werden da nicht die Rechte von Landesparlamenten beschnitten?
Holznagel: An sich ja, das wäre quasi in die Waagschale zu werfen. Wenn die jetzt zum Beispiel dagegen gestimmt haben, jetzt sagen die aber eigentlich, die Parlamente werden damit gar nicht befasst, also die äußern sich gar nicht, die tun quasi gar nichts, das wird auch in der Abwägung eine Rolle spielen. Ich glaube, dass das die Lage der öffentlich-rechtlichen Anstalten stärkt.
Balzer: Wenn man jetzt diese Entscheidung von 2007, auf die Sie schon rekurriert haben, noch einmal sich vor Augen führt, da ging es ja genau um ein sehr vergleichbares Thema, nämlich den Anspruch der Rundfunkanstalten auf eine, wie heißt es ganz offiziell, "bedarfsgerechte Finanzierung" und auch auf die Rolle dieser unabhängigen Kommission KEF, die ja nun auch einfach, wie der Name eben schon sagt, eine unabhängige Kommission ist und den Finanzbedarf der Anstalten festlegt, um dann sozusagen eine Grundlage zu schaffen, damit die Landesparlamente zustimmen können.
Ist diese Entscheidung von damals – da gab es ja schon einen Rundfunkstaatsvertrag, der war ja schon beschlossen und im Nachhinein dann wurde geklagt –, ist das überhaupt vergleichbar, denn im Moment haben wir ja nichts, was wirklich ratifiziert ist?
Holznagel: Damals war es so, dass die Länder quasi unisono der Auffassung waren, dass der Vorschlag der KEF zu hoch war, und die haben dann in dem Staatsvertrag, den sie damals unterschrieben haben, die Ministerpräsidenten, eine geringere Summe eingesetzt. Das ist dann von den Ländern auch ratifiziert worden, sodass dann der Staatsvertrag, der abwich vom Vorschlag dieser Kommission, in der sich ja vor allem Vertreter der Rechnungshöfe befinden oder den Ton angeben, dagegen haben dann die Anstalten geklagt, also gegen ein bestimmtes Tun.
Hier ist es so, dass wir es mit einem Unterlassen zu tun haben. Das Parlament tut ja nichts, stimmt nicht ab. Ein Unterlassen ist nur dann rechtlich relevant und auch über eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe anhängig zu machen, wenn es eine Rechtspflicht zum Handeln gibt. Und dann kommt die Formel, die Sie eben zitiert haben: Es gibt aus Artikel 5, Absatz 1, Satz 2 Grundgesetz einen Anspruch auf bedarfsgerechte Finanzierung der Rundfunkanstalten.
"Das ist mehr so etwas wie eine notarielle Beurkundung"
Balzer: Da könnte man ja von der Argumentation her sagen: Gut, wenn die KEF das feststellt, dann ist das unabhängig festgestellt, dann ist auch der Anspruch der öffentlich-rechtlichen Sender auf eben eine bedarfsgerechte Finanzierung legitimiert. Aber die Landesparlamente müssen ja dann noch zustimmen, diese demokratischen Körperschaften müssen dann ja noch zustimmen, alle 16.
Holznagel: Ja, in Ihrer Frage wird schon deutlich, dass man das Gefühl hat, da stimmt irgendwas nicht.
Balzer: Ja, genau, es ist ein Vorgang, der sozusagen viele Fallstricke enthält…
Holznagel: Nicht unbedingt. Man würde ja denken jetzt, die Parlamente entscheiden, also können sie das tun, was sie sonst auch immer tun, nämlich in ihren Gesetzen festlegen, ob sie was wollen oder nicht, also hier die Rundfunkgebühr zum Beispiel …
Balzer: Ja, parlamentarische Demokratie.
Holznagel: Genau. Und das ist eben nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nicht so. Das ist mehr so etwas wie eine notarielle Beurkundung, es muss ja nur noch dieses Umsetzungsgesetz gemacht werden.
Das Verfassungsgericht hat aber in ganz wenigen Gründen zugelassen, dass man vom Vorschlag der KEF abweichen kann. Das ist, wenn da eine soziale Bedürftigkeit ist, also wenn die Beitragszahler eine bestimmte Sozialbedürftigkeit nachweisen können, also dass es einfach die zahlende Bevölkerung überfordert.
Das ist hier kein Argument, das durchschlagen wird aller Voraussicht nach, weil es ja Befreiungstatbestände gibt von dem Rundfunkbeitrag. Wenn Sie sozialbedürftig sind, dann müssen Sie keinen Rundfunkbeitrag zahlen. Das ist jetzt kürzlich ausgeweitet worden auch auf viele kleine, in Anführungsstrichen, selbstständige Unternehmen. Kleine selbstständige Unternehmen müssen auch keinen Rundfunkbeitrag zahlen, weil sie in diese Befreiungstatbestände fallen.
Was es aber auch gibt, ist eine Abweichungsmöglichkeit, wenn sich quasi die Wirtschaftsverhältnisse grundlegend verändert haben.
Effekte durch Corona-Pandemie noch nicht absehbar
Balzer: Zum Beispiel in einer Corona-Pandemie, könnte das ein Argument sein?
Holznagel: Ganz genau, das könnte in der Tat ein Argument sein, wenn das durch nachvollziehbare Gründe vorgetragen wird. Ich glaube nicht, dass da allein der Hinweis auf die Corona-Pandemie ausreicht, da muss man schon Argumente liefern.
Aber es ist natürlich so, dass bei einer solchen Corona-Lage genau überprüft werden muss, ob der Vorschlag der KEF noch eine Substanz hat, und diese Angelegenheit wird von der KEF so oder so überprüft. Dieser Zwischenbericht ist fällig 2021. Wenn Sie jetzt mal gucken, dass wir noch gar nicht durch diese Pandemie durch sind, kann man die Kostenfolgen eigentlich auch erst wahrscheinlich im Sommer oder im Herbst 2021 feststellen. Genau zu dem Zeitpunkt wird die KEF so oder so den Zwischenbericht vorlegen. Er wird zwar regulär erst im November 2021 fällig, aber es ist auch kein Problem, das ein wenig vorzuziehen.
Bloß wir müssen ja Daten haben, was sind die Effekte von Corona, die müssen ja erst ermittelt werden. Also dieser Vorschlag, der da im politischen Raum immer wieder vorgetragen wurde, wir müssen erst die Corona-Effekte ermitteln, der läuft genau auf das hinaus, wie es sowieso im regulären Verfahren vorgesehen ist.
Andere Landesparlamente haben bereits zugestimmt
Balzer: Die finanzielle Argumentation wird die Richter in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht nicht wirklich überzeugen können, weil eben dieser Vorgang so ist, wie er ist, wie Sie sagen, dass eben noch einmal überprüft wird auch, vielleicht am Ende dieser Corona-Pandemie oder nach ihr, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Beitragserhöhung hat.
Holznagel: Ja, und Herr Balzer, Sie müssen auch eins sehen: Wir hatten in den letzten Wochen zahlreiche Parlamente, in denen es eine Zustimmung gab. Ich war ja selber im Landtag von Nordrhein-Westfalen und hab dazu auch schon in Düsseldorf eine Stellungnahme abgegeben, und da waren diese Corona-Probleme durchaus bekannt. Es gibt zahlreiche Parlamente, die das auch schon diskutiert haben und dann eben trotzdem zugestimmt haben.
Es ist nicht so, dass Sachsen-Anhalt jetzt einen Grund entdeckt, auf den noch niemand vorher gekommen ist.
Balzer: Also auch das werden die Richter berücksichtigen, diese Debatten in anderen Landesparlamenten?
Holznagel: Da können Sie von ausgehen. Ich glaube, das kann man auch selbst in einem einstweiligen Verfahren machen.
Kein Eingriff in die Rundfunkfreiheit
Balzer: Und alle weiteren Argumentationen, die wir ja von der CDU in Sachsen-Anhalt, von der Fraktion dort auch gehört haben, inhaltliche Argumentationen, Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, zu wenig ostdeutsche Themen, zu wenig ostdeutsche Repräsentanz, das wäre ein Eingriff in die Rundfunkfreiheit aus Ihrer Sicht? Wäre das gar kein Argument?
Holznagel: Das geht ja sozusagen gar nicht. Ich meine, aus dem Grunde hat man ja eine unabhängige Kommission, die das alles durchrechnet. Man will ja gerade nicht, dass an die Finanzierungsfrage, an die Frage, wie hoch muss der Beitrag sein, medienpolitische Forderungen gestellt werden oder dass es damit verkoppelt wird. Und warum will man das nicht? Weil man nicht will, dass der Staat die Medien kontrolliert. Das Parlament ist Teil des Staates.
Der Grundsatz der Staatsfreiheit der Medien ist hier quasi der zentrale Grundsatz, warum man überhaupt so ein kompliziertes Verfahren macht.
Balzer: Und dieses Verfahren ist so, wie es ist, auch wenn man jetzt mal einfach historisch mal schaut, die letzten Jahrzehnte und jetzt die Debatte von heute, ist das gut so?
Holznagel: Das ist gut so, aber ich glaube nicht, dass das so bestehen bleibt. Das Bundesverfassungsgericht wird sich überlegen müssen, wie man solche Dinge, die jetzt vorgefallen sind in Sachsen-Anhalt, wie man so was zukünftig verhindern kann.
Ich glaube nicht, dass das nur eine Entscheidung wird, die jetzt in irgendeiner Form sozusagen nur diesen einen konkreten Fall in Magdeburg jetzt betrifft, sondern ein Verfassungsgericht durchdenkt dann immer den gesamten Ablauf und überlegt sich, wenn solche Probleme entstehen, wie man die dann auch zukünftig lösen kann.
Balzer: Welche Veränderungen würden Sie sich wünschen?
Holznagel: Ich denke, entweder kommt man zu einer Indexierung, dass man die Beitragserhöhung jeweils koppelt an die Inflationsrate, nicht generell in der Gesellschaft, sondern an die Inflationsrate, die man im Mediensektor vorfindet – das ist eigentlich ein allseits akzeptierter Standard.
Oder aber dass man sagt, wir lassen das so, wie es ist, nehmen aber die Parlamente raus und verzichten auf die Zustimmung der Parlamente, sodass dann eine Unterschrift des Ministerpräsidenten oder der Ministerpräsidentin ausreichen würde. Das wird sich auch im Verfahren dann herausstellen. Es wird ja viele Sachverständige geben, man wird sich die Sache noch mal ganz genau angucken, und dann wird man auf dieser Basis versuchen, eine Lösung zu finden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.