Gedächtnis Buchenwald

Von Frieder Reininghaus |
Das "pèlerinages" Kunstfest Weimar ist traditionell mit dem Gedenkkonzert für Buchenwald eröffnet worden. In diesem Jahr steht es unter dem Motto "Vision" - und feiert den 200. Geburtstag von Franz Liszt.
2011 feiert das Kunstfest Weimar schwerpunktmäßig den 200. Geburtstag von Franz Liszt, der ja (neben J.S. Bach) musikalischer "Säulenheiliger" im Herzen Thüringens ist. Gábor Farkas sekundierte einem Festvortrag der Festivalleiterin und Liszt Ur-Urenkelin Nike Wagner mit Klavierwerken von Liszt., die auch im weiteren den roten Faden im Festival-Programm bilden - vornan eine Gesamtaufführung der "Années de pèlerinage", des großen Klavier-Zyklus der 1830er-Jahre, durch den kanadischen Pianisten Louis Lortie.

Zu Beginn der Veranstaltungsreihe "pèlerinages" wurde, wie bereits in den vergangenen Jahren, daran erinnert, dass Weimar nicht nur Stadt der Dichter und Denker war. Das Konzert "Gedächtnis Buchenwald" begann mit einem Bekenntnis zu Europa - einem demokratischen, nicht von den Banken und deren Krisen dominierten Europa. Der 93-jährige Stéphane Hessel, französischer Résistancekämpfer und Überlebender des in den Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar angesiedelten Konzentrationslagers, erinnerte daran, dass er und seine Leidensgenossen es waren, die 1945 den Kern eines neuen, international denkenden und solidarisch handelnden Europa bildeten.

Mit ironischer Eleganz rügte Hessel in engagierter freier Rede die Regierungen in den großen Ländern Europas. An die Jugend appellierte er, die Belange des in Misskredit geratenen Kontinents stärker in die eigenen Hände zu nehmen, sich zu engagieren und gegebenenfalls zu empören.

Womöglich noch leicht angegriffen vom altersweisen Charme Hessels stiegen die Musiker des Young Philharmonic Orchestra Jerusalem-Weimar aufs Podium der Weimarhalle und absolvierten die Orchestrierung eines Klavierstücks, das der in Theresienstadt internierte Viktor Ullmann 1944 kurz vor seiner Verlegung nach Auschwitz und der Ermordung dort komponierte: Thema, Variationen und Fuge über ein hebräisches Volkslied.

Ein Orchester kann mit einem solchen Arrangement nach dem Muster Leopold Stokowskis seine Leistungsfähigkeit nicht wirklich beweisen. Das gelang in Weimar weit eher mit der "Tragischen Ouverture" von Johannes Brahms, bei deren Genese der Komponist subkutan mit der "Faust"-Problematik auseinandersetzte. Und die ist ja für Weimar wie für Buchenwald konstitutiv. Der noch junge Dirigent David Afkham hat in kurzer Zeit erstaunliche Arbeit geleistet und das israelisch-thüringische Studentenorchester in hohem Maß professionalisiert.

Mit dem Solisten Drago Michail Mânza musizierte es auch das Concerto funèbre, das Karl Amadeus Hartmann 1939 schrieb: Mânza setzte die Solopartie sauber und schnörkellos auf den neusachlichen Streichersatz, der fürwahr als einer der "Botenstoffe für die Zukunft" begriffen werden kann: als angemessene Art, mit schöner Musik sich an die Trauer einer früheren Geschichtsepoche zu erinnern.

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