Gedanken in Coronazeiten

Im Lockdown-Blues

03:10 Minuten
Einsame Figuren in beleuchteten Fenstern (Illustration)
In der dunklen Jahreszeit drückt die Einsamkeit wegen der Corona-Maßnahmen noch mehr auf das Gemüt. © imago images / Ikon Images / Jon Berkeley
Von Laura Naumann |
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Unsere Autorin Laura Naumann hat im Corona-Lockdown wieder mit dem Rauchen begonnen: Während sie ihre Wohnung vollqualmt, denkt sie an den Beginn der Pandemie, als es noch die Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Wandel und eine Aufbruchsstimmung gab.
Ich hab mir eine Schachtel Zigaretten gekauft. Vor fünf Jahren habe ich aufgehört zu rauchen. Jetzt ist es wieder soweit. Lockdown sei Dank, sitze ich nun manchmal vor einem schönen Glas Rotwein und quarze mir die Bude voll. Die Freiheit des kleinen Mannes. Mein Nachbar klingelt. Er erträgt meine Musik nicht mehr. Wir entschuldigen uns beieinander – für die Lärmbelästigung, für die Empfindlichkeit.
Normalerweise kommen wir uns nicht so in die Quere. Jetzt sind wir beide immer zu Hause. Ich halte es nur kurz aus, mir vorzustellen, wie es Menschen mit Familienangehörigen in der eigenen Wohnung geht. Nie für sich, außer auf dem Klo. Alle immer drin, außer manchmal. Und dann nie wirklich Tageslicht, außer selten. Plus keine Aussicht, außer, dass es noch ewig so weitergehen könnte.

Entspannen oder aufregen

Manchmal schlafe ich zwölf Stunden am Stück. Manchmal liege ich nachts wach und die Gedanken rasen. Ich mache ständig Yoga, um mich zu beruhigen, bis mir auffällt, ich will mich gar nicht beruhigen. Ich will mich eigentlich aufregen. Jemand bringt mir bei, mit einem Besenstiel auf einen Kissenberg einzudreschen. Das ist vielleicht das Schönste, was ich bis jetzt im Januar erlebt habe. Ich übertreibe. Aber auch das ist symptomatisch: Die Ausschläge fehlen.
Wohin mit den Aggressionen? An wen die Klage richten? Was, wenn das einfach nicht mehr gelingt mit dem "Es sich zu Hause schön machen"? Wie diejenigen unterstützen, die dringend Trost brauchen, wenn man sich streng genommen nicht mal umarmen sollte? Was, wenn man selber diese Person ist? Wie sich Tag für Tag in die ganze Ungewissheit reinentspannen?
Im Drei-Wochen-Takt mit Verschärfungen überrascht werden und keine davon persönlich nehmen? Und wie mit dem Ärger darüber umgehen, dass gefühlt das Einzige, was die ganze Zeit noch geht, arbeiten ist (außer für Friseurinnen und Friseure, Barbetreiberinnen und Bauarbeiter oder DJs natürlich)? Mehr denn je muss man sich eigentlich freuen, wenn man eine Arbeit hat. "Halt dich an deiner Arbeit fest" – wie Rio Reiser schon so schön sang.

Keine Hoffnung auf Wandel

Bei einer meiner Zigaretten gehe ich im Kopf zurück in den März, April und erinnere mich daran, wie euphorisch viele Menschen im Angesicht der einschneidenden Ereignisse waren. Zumindest kurzzeitig gab es doch die Hoffnung, dass diese Krise eine Wahnsinns-Chance sein könnte, dass in dem verordneten Innehalten ganz viel Gutes entstehen und die Welt für immer verändern würde.
Es gab doch Fantasien, dass das bestehende Gesellschaftssystem grundsätzlich hinterfragt, der Planet gerettet und sich ein tiefes Verständnis von globaler Solidarität einstellen würde. Im Moment spüre ich davon gar nichts. Kommt das wieder, wenn das Pflaster nach der Impfung aufgeklebt ist?
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