Noch etwas, das wächst
Die Deutschen haben es ja mit dem Wald – und mit Bäumen. Kein Wunder also, dass in Leipzig die Bürger seit 20 Jahren Bäume pflanzen können – für die Lebenden und die Toten.
Heide Bernhöft-Hansche: "Für Werner Hansche. Leipzig ist lebenswert. Danke Werner. In Liebe Heide."
47 Jahre war das Paar verheiratet. Er Maler, der sich in keine Schublade stecken ließ – sie 15 Jahre jünger, seine Kameradin, Muse und Managerin. Gemeinsam lebten sie in Mannheim, sogar in Nepal, am Ende in Düsseldorf. Sie waren unzertrennlich bis Werner Hansche 2010 starb.
Heide Bernhöft-Hansche: "Ich wär so gern mit ihm gegangen, aber es ging nicht, ich hatte noch zu viel Leben in mir. Ich hätte mir ja Gewalt antun müssen, das wollte ich nicht und er schon gar nicht. Und dann sagte er, Heide-Schätzchen versuch's doch, gib dir ein Jahr und danach kannst du immer noch entscheiden. Ein Jahr, das hab ich ihm versprochen und nach einem Jahr hab ich gemerkt, neeneenee, ich will noch. Da fing ich dann an zu reisen."
Die heute 73-Jährige besuchte auch Leipzig – und blieb. Ihre Linde im Clara-Zetkin-Park symbolisiert einen geglückten Neuanfang und gedenkt des früheren Lebens mit ihrem Mann. Solche Gedenkbäume wie der des Ehepaares Bernhöft-Hansche finden sich in vielen Parks, Wohngebieten und sogar an den Leipziger Hauptstraßen. Sie sind Bestandteil der städtischen Initiative "Baumstarke Stadt".
Exklusivpflanzungen für über 1000 Euro
Heide Bernhöft-Hansche: "Die machen das so liebevoll warmherzig. Und dann bekam ich eine Karte geschickt, wo dieser Baum ist, genau mit Lageplan. ... Ist klar, dass man dann hingeht, ah das ist er jetzt. ... Ich musste innerlich auch über mich lachen. Aber das Gefühl, das ist so tröstlich."
Bisher wurden in Leipzig an die 4000 Bäume von Bürgern gespendet aus Anlässen wie Geburt, Taufe, Hochzeit, späte Jubiläen. Etwa 20 Prozent seien Gedenkbäume für Verstorbene, erzählt Prof. Markus Walz. Er forscht zu den Totengedenkbäumen, die er auch anderswo fand, beispielsweise in Bergkamen in Nordrhein-Westfalen und Schaffheim in Südhessen. Die Gedenkbäume sind zudem eine Möglichkeit, Stadtbegrünung zu finanzieren.
"Interessant ist auch, je größer die Stadt wird, desto teurer wird das. Also in Schaffheim sind es kleine Setzlinge und das ist für ein paar Euro zu haben, hier sind es richtige Bäume, das ist deutlich monumentaler. Und das geht bis zu Exklusivpflanzungen in besonders wertvollen Parkanlagen, wo das deutlich über 1000 Euro liegen kann."
Doch Geld ist nicht das entscheidende Kriterium für die Spender, sondern die Suche nach Individualität oder – wie es Markus Walz nennt – Multioptionalität. Gedenkbäume bieten keine Bestattungsmöglichkeit wie etwa ein Urnenwald. Aber viele Trauernde schaffen sich damit einen tröstlicheren und funktionaleren Ort: Weil sie den Standort eines Baumes mitbestimmen, und so der Verstorbene nicht nur auf einem Friedhof beigesetzt ist, sondern – zumindest symbolisch – auch noch unter den Lebenden weilt. Was dazu führt, dass das eher private Gedenken in den öffentlichen Raum getragen wird. Der Wissenschaftler berichtet von einem Setzling im Leipziger Friedenspark.
Markus Walz: "Ich bin zwei, drei Tage später vorbeigekommen und hab halt wie sonst bei einer Urnenbestattung gesehen, dass die mitgebrachten Grabgestecke, Blumengeschenke im Kreis um den Baum herum lagen, so dass man gleich neben der Fußballtorwand und diesen Gymnastikturngeräten, gleich daneben macht sich eine Friedhofsatmosphäre breit."
Oft sind es Blumen, Windlichter, bunte Bänder oder Naturmaterialien wie Herzmuscheln, Zapfen oder Steine, mit denen der Baum geschmückt wird. Das sei weder erlaubt noch verboten, sondern werde geduldet, erklärt Sebastian Fried von der Stadtverwaltung. Aber vor allem künstlicher oder zu üppiger Gedenkschmuck muss später wieder entfernt werden. Schließlich soll keine Pseudo-Grabstätte außerhalb des Friedhofs entstehen und die Bäume sollen keinen Schaden nehmen. Auf die Frage, wie Parkbesucher die Erinnerungsbäume finden, antwortet er:
Sebastian Fried: "Wir haben nur festgestellt, dass durchaus die Vorbeilaufenden sich die Schildertexte ansehen und das als eine Bereicherung vielleicht auch im Stadtbild empfinden, dass es in solchen relativ anonymen Räumen doch sehr persönliche Zeichen gibt, an Bäumen, die im öffentlichen Raum stehen. Ich habe noch nie Beschwerden gehört, dass sich jemand durch Gedenkbäume gestört gefühlt hätte."
Jedes Jahr 400 Gedenkbäume mehr
Markus Walz gibt allerdings zu bedenken, dass sowohl die Inschriften der Plaketten als auch der Schmuck beim Betrachter eigenartige Spekulationen über ein fremdes Leben auslösen könnten.
Markus Walz: "Liebe Mama, wir bleiben für immer das, was wir füreinander waren, dein Würmchen und dein Krümel."
Eine Umfrage unter Parkbesuchern widerlegt diese Vermutung. Manchen von ihnen sind die Bäume mit den Stelen noch nicht einmal aufgefallen.
"Passt hier rein, dazu ist der Park da, war ja mal ein Friedhof und dementsprechend hat das hier schon seine Richtigkeit."
"Ne, hab ich noch nicht gesehen."
"Das wäre nichts für mich mit so einer Stele im Park, aber wenn das Menschen machen wollen, dann finde ich das nicht so schlimm."
"Ich hab gerade spontan gedacht, dass es immer einlädt für Hunde dranzupullern. Ja, ne, also auch nicht ganz so mein Zugang glaub ich."
"Die sind sehr schön. So können die Angehörigen so schön trauern."
Jedes Jahr wächst die Anzahl der Leipziger Gedenkbäume um fast 400. Ganz gleich, ob sie anlässlich von Geburt, Taufe oder Tod gepflanzt werden: Setzt sich die Entwicklung weiter so fort wie bisher, werden in Zukunft ohnehin immer mehr Bäume an verstorbene Menschen erinnern, sagt Sebastian Fried von der Stadt Leipzig. Denn auch die zu Taufen und Geburten gespendeten Bäume überleben die Menschen häufig.