Elisabeth Ruge, geboren 1960, ist Literaturagentin in Berlin. Die ersten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte sie in den USA, bevor sie 1970 mit ihrer Familie zurück nach Deutschland zog. Nach einer Lehre als Verlagsbuchhändlerin studierte sie Anglistik, Amerikanistik und Slawistik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und am Radcliff College der Havard University. Nach Jahren als Lektorin und Verlegerin kehrte sie 2014 der Berliner Dependance des Hanser-Verlages den Rücken und gründete ihre einene Literaturagentur. Ruge vertritt zahlreiche renommierte Schriftsteller und hat unter anderem den Literatur-Nobelpreis für Swetlana Alexijewitsch mitgewonnen, die Sie ins Deutsche übersetzen ließ.
Widerstand gestern und heute
Einen Tag vor der Gedenkfeier für die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 hat unser Studiogast, die Literaturagentin Elisabeth Ruge, an die Bedeutung des zivilen Widerstands erinnert. Sie kritisierte, dass die AfD versucht habe, sich des Stauffenberg-Erbes zu bemächtigen.
"Es ist schon interessant, dass es in Deutschland kein wirkliches Gedenken an den Widerstand gibt", sagte unser Studiogast, die Literaturagentin Elisabeth Ruge, im Deutschlandfunk Kultur. Die Feierlichkeiten zum 20. Juli hätten in den vergangenen Jahren wieder etwas an Lebendigkeit gewonnen. "Aber manchmal fühlt es sich doch ein wenig wie von oben verordnet an." Für sie sei das Thema deutscher Widerstand ein großes Thema. Ihr Großvater war der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, Fritz-Dietlof von der Schulenburg.
Vorurteile und Unwissen
Leider stoße sie selbst bei gebildeten Menschen häufig auf große Vorurteile, großes Unwissen und Gleichgültigkeit. So sei beispielsweise die Sicht verbreitet, dass es den Attentatsversuch auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 nur gegeben habe, weil die Menschen geglaubt hätten, der Zweite Weltkrieg sei ohnehin verloren.
Anstand im Alltag
Dabei sei es sei wichtig, nicht auf die einzelnen Gruppierungen des Widerstands zu schauen, sondern mit einem integrativen Blick, sagte Ruge. Die Widerständler hätten sich damals miteinander vernetzt, um das Schlimmste in Nazi-Deutschland zu verhindern. "Das sind ja viele private Menschen gewesen, die einfach aus einem Gefühl des Anstands heraus, einer persönlichen Überzeugung gesagt haben, dass sie da nicht mehr mitmachen können", sagte Ruge. Es seien mehr Menschen im Widerstand gewesen, als man lange geglaubt habe. "Und dass man sich für sie immer noch nicht genügend interessiert, ist vielleicht auch ein deutsches Problem."
Ruge sagte, es sei wichtig, an dieses Gedenken anzuknüpfen und auch die Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstands zu besuchen. Dort sei gerade die Ausstellung "Stille Helden" eröffnet worden, die zeige, dass es oft Privatpersonen gewesen seien, die im Alltag ihr Leben riskiert hätten. "Sich mit diesen Menschen zu beschäftigen und zu schauen, was sie für uns heute bedeuten könnten, das wäre eine gute Sache." Ruge verwehrte sich dagegen, dass die AfD versucht habe, sich des Stauffenberg-Erbes zu bemächtigen und sich als Widerstandsbewegung darzustellen.
Unser Studiogast, die Literaturagentin Elisabeth Ruge, tauscht sich mit dem Spiegel-Journalisten Georg Diez besonders gerne über die Themen der Zeit aus und hat ihn deshalb als Überraschungsgast telefonisch mit in die Sendung eingeladen. Er hatte erst kürzlich einen Kolumnen-Text mit dem Titel "Widerstand – eine Geisteshaltung, die man einüben kann" verfasst, in dem er die Lehren aus dem Widerstand gegen die NS-Diktatur mit Fragen des heutigen Widerstandes in Verbindung brachte. Angeregt hatte ihn dazu eine Veranstaltung im Berliner Dom mit 1400 Menschen, die an die Vielfalt des Widerstandes gegen Hitler erinnerte und von Ruge organisiert worden war.
Aufstand des Gewissens
Der Widerstand gegen Hitler sei nicht zu Unrecht als "Aufstand des Gewissens" bezeichnet worden, sagte Diez. Ohne die damalige Zeit und heute direkt vergleichen zu wollen, sei die Frage nach Moral und Anstands unverändert relevant. "Wenn man sich anschaut, wie Institutionen benutzt werden und Institutionen gekapert werden von potentiell reaktionären Kräften, kann man sich selbst in der Demokratie nicht darauf verlassen, dass institutionelle Abläufe unbedingt demokratisch sind." Das sei mittlerweile auch in Europa zu sehen. Diez nannte als weiteres Beispiel auch die Debatte über die Seenotrettung von Flüchtlingen.
Das Verhältnis von Politik und Moral
Der Einzelne sollte sich heute eher als Bürger definieren und sich nicht etwa den Institutionen blind ergeben, wie das in Deutschland leider Tradition sei, sagte Diez. In der Auseinandersetzung um seine Texte störe ihn häufig, dass es immer noch ein sehr verbreitetes Denkmuster gebe, Moral und Politik zu trennen. Dabei gehe es darum, mehr über moderne Formen des zivilen Widerstandes zu sprechen, sei es auf Demonstrationen oder mit digitalen Mitteln.
Georg Diez, geboren 1969, studierte Geschichte und Philosophie und arbeitete danach als Journalist und Buchautor. Seit 2011 schreibt er Kolumnen für Spiegel Online. Diez ist Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschien von ihm: "Martin Luther, mein Vater und ich" (Bertelsmann, München 2016).