Gedenken an Babij Jar

Historiker identifizieren 900 unbekannte Opfer

07:06 Minuten
Blumen liegen vor einem 1976 errichteten Denkmal für die während der deutschen Besatzungszeit 1941-1943 in Babi Jar erschossenen "Bürger der Stadt Kiew und Kriegsgefangenen" in Kiew (Ukraine).
Gedenkstätte Babij Jar in Kiew: Während der deutschen Besatzung von September 1941 bis November 1943 wurden dort bis zu 200.000 Menschen erschossen. © picture alliance / dpa / Andreas Stein
Von Sebastian Engelbrecht |
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1941 richteten die deutschen Besatzer in der Ukraine ihr größtes einzelnes Massaker an Jüdinnen und Juden an. Allein am 29. und 30. September erschossen sie in der Schlucht von Babij Jar über 33.000 Menschen. Eine Stiftung sammelt nun die Namen aller Opfer.
Babij Jar in der Ukraine gilt als das größte Massengrab in Europa. Bevor die SS Vernichtungslager wie Auschwitz baute, um dort Juden, Sinti, Roma und andere zu vergasen, erschossen Todeskommandos der SS, sogenannte "Einsatzgruppen", auf dem Vernichtungsfeldzug durch Osteuropa 1,5 Millionen Juden.
Zu den wichtigsten Projekten des Gedenkzentrums in Babij Jar gehört die Suche nach den Namen der Opfer. Heute präsentiert das Zentrum 900 Namen der Öffentlichkeit, die sie in den vergangenen Monaten herausgefunden haben.

Die Biografien der Opfer

Die Projektleiterin Anna Furman berät in Babij Jar Menschen wie Alexander Medyanovsky. Er ist 49 Jahre alt und bemüht sich, mehr über seine jüdischen Vorfahren herauszufinden, die in Babij Jar erschossen wurden:
"Eigentlich war das früher gar nicht möglich. Ich hatte keinen Zugang zu Informationen darüber, was in diesen Tagen geschehen ist. Vor ein paar Monaten habe ich auf Facebook Informationen über dieses Projekt gefunden, und ein Freund empfahl mir, mich bei Anna Furmann zu melden. Sie und ihr Team haben mir geholfen, Fakten zu sammeln und erklärten mir, wie ich meine Verwandten interviewen sollte. Und so habe ich bei meinen Verwandten einige Informationen gesammelt."
Alexander Medyanovsky fand heraus, dass seine Urgroßmutter, drei ihrer Enkel und eine Großtante in Babij Jar erschossen wurden. Er vermutet, dass noch mehr Verwandte ermordet wurden. Medyanovsky will das mit Hilfe des Gedenkzentrums herausfinden.

Gedenken mit Israels Staatspräsidenten

Heute, 79 Jahre nach dem Massaker, findet in Babij Jar eine Gedenkveranstaltung statt. Israels Staatspräsident Reuven Rivlin und der Direktor der Jerusalemer Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem, Avner Shalev, nehmen teil. Drei Gedenkinstallationen werden enthüllt. Alexander Medyanovsky sagt, die Zeremonie bedeute ihm nicht viel:
"Man kann an einer Veranstaltung teilnehmen, die jemand organisiert. Etwas ganz anderes ist, was in meinem Herzen passiert. Wenn wir darüber reden, was in meinem Herzen geschieht und was ich empfinde, dann kann ich jeden Tag gedenken, ohne jede Unterstützung oder besondere Veranstaltungen."

"Wir haben schreckliche Geschichten gehört"

Auch die Namen von Ukrainern, die Juden das Leben retteten, werden heute vorgestellt. Zudem identifizierten Historiker und Archäologen erst jetzt den genauen Ort in der lang gezogenen Schlucht, wo die deutschen Besatzer mordeten.
Anna Furman vom Gedenkzentrum in Babij Jar ist Tag für Tag damit beschäftigt, Namen zu sammeln und Biografien zu rekonstruieren: "Es waren ganz unterschiedliche Menschen. Viele waren nicht in der Lage, die Stadt zu verlassen. Beim Studium der Archivdokumente ist uns aufgefallen, dass es viele Verwandte aus der Region Kiew waren, die in den Tagen zuvor gekommen waren, um ihre Familie zu besuchen. Es gab auch Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Babij Jar gehen konnten. Sie wurden von Polizisten oder Nazi-Soldaten aufgefunden und an Ort und Stelle getötet oder vom Balkon geworfen. Wir haben schreckliche Geschichten und Zeugnisse entdeckt."
Das Gedenkzentrum in Babij Jar ist seit vier Jahren im Aufbau. Es betreibt ein Forschungszentrum sowie Bildungs- und Gedenkprojekte. Im Jahr 2026 soll ein neuer Museumsbau eröffnet werden.
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