Wie der Enigma-Code der Deutschen geknackt wurde
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Vom englischen Portsmouth aus startete vor 75 Jahren die alliierte Flotte Richtung Normandie. Der D-Day begann. Im Vorfeld hatten die Briten den Enigma-Code der Deutschen geknackt - und wertvolle Informationen über deren Truppenstellungen gesammelt.
Aus Lautsprechern sind Morsezeichen zu hören. Auf dem Tisch befindet sich ein antik aussehender Kasten aus Holz, etwas größer als eine Schuhschachtel. Vorsichtig klappt ein Mitarbeiter des Museumsparks den Deckel nach hinten. Zum Vorschein kommt eine Art altmodische Schreibmaschine. Es ist eine echte Enigma – die Wunder-Codiermaschine der deutschen Wehrmacht.
Bei jedem Tippen eines Buchstabens wird ein elektronischer Kreislauf geschlossen. Dioden führen zu drei senkrechten Walzen im oberen Teil des Gehäuses. Die Walzen sind hochfiligran, mit ihnen wurden die Buchstaben codiert. Millionen Varianten waren möglich, die auch noch täglich gewechselt wurden.
Ein Tweet der damaligen Zeit
In einer alten prächtigen Backsteinvilla aus dem 19. Jahrhundert mitten auf dem großen parkähnlichen Gelände residiert die Museumsleitung der früheren Geheimdienstanlage Blechtley Park. David Kenyon arbeitet hier als Historiker:
"Es geht bei dieser Art von geheimdienstlicher Aufklärung vor allem um Volumen. Die Nachrichten der Deutschen waren im Schnitt nur 250 Zeichen lang. Eine Nachricht, codiert mit der Enigma-Maschine, ist also nur so etwas wie ein Tweet heute. Es hilft Ihnen nichts, nur eine einzige Nachricht zu knacken. Aber wenn Sie viele Tausend pro Tag bekommen, dann erhalten sie das ganze Bild."
"Deutschland wird leben" – ruft Adolf Hitler in einem Dokumentarfilm, der in einem moderneren Gebäude nebenan gezeigt wird. Die Briten hatten damals Angst vor der Stärke der deutschen Wehrmacht. Premierminister Winston Churchill stemmte sich deswegen zunächst sogar gegen den D-Day und gegen eine Invasion in Frankreich. Aber geheimdienstliche Aufklärung und Auswertung hier in Bletchley Park waren kriegsentscheidend, meint Historiker Kenyon. Die Alliierten erfuhren, wo die deutschen Truppen standen oder wohin sie verlegt wurden.
Mathematiker als Decodierer
Eine gewaltige elektrische Maschine türmt sich in einer weiteren Baracke deckenhoch auf. Sie besteht aus zig Walzen, die sich jetzt drehen, und elektronischen Verbindungen. Dieses Gerät hieß "die Bombe" und wurde in Bletchley Park erfunden, genauso wie "Colossus", der erste rechenstarke monumentale Computer seiner Zeit. Decodieren war eine Aufgabe für die besten Mathematiker des Landes. Einer hieß Alan Turing, vor einigen Jahren wurde er in einem Kinofilm von Benedict Cumberbatch gespielt.
Turing und seine Mitstreiter kamen auf die simple, aber geniale Idee, dass jede deutsche Militärmeldung abends um 18 Uhr mit dem Wetterbericht begann. Diese Schnipsel jeden Abend mit immer gleichen Anfangsworten waren der Ausgangspunkt, um die deutsche Enigma zu dechiffrieren.
Am D-Day selbst wussten die meisten Mitarbeiter im englischen Blechtley Park nichts. Zufällig gab es am Vorabend eine Sommerparty. "Einigen schlichen sich später von der Party und gingen in ihre Büros, weil sie etwas ahnten. Wir dokumentieren hier auch viele Nachrichten, die sie selbst exakt am 6. Juni 1944 abfingen."
Das Drama vom 6. Juni 1944
Eine Mitarbeiterin des Dokumentationszentrums liest eine in blauer Tinte handgeschriebene Nachricht vor: "Wir stehen feindlichen Angriffen gegenüber, erwarten weitere Anweisungen", heißt es kurz. "Diese Nachricht wurde von den Deutschen am D-Day gesendet und von uns abgefangen. Jemand von einem Schiff der deutschen Marine vor der Küste in Frankreich hat sie aufgesetzt. Die Deutschen erkannten jetzt, dass der D-Day begonnen hatte."
Im britischen Bewusstsein tief verankert sind die beiden großen militärischen Erfolge über die Deutschen: die Abwehr des Blitz, des deutschen Luftkriegs, und der D-Day. 800 Briten starben am D-Day, weniger als befürchtet. Die Aufklärung in Blechtley Park spielte eine große Rolle für den Sieg an der Front - also "in Europa", wie es im Film heißt.