Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin. Zuvor war er German Kennedy Memorial Fellow an der Harvard University. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, unter anderem "Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik" sowie vor zwei Jahren "Demokratie. Die 101 wichtigsten Fragen". Nolte beschäftigt sich regelmäßig mit zeitgeschichtlichen Analysen.
Der Wunsch, Erinnerungen an die nächste Generation weiterzugeben
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei der zentralen Gedenkveranstaltung zum Kriegsende vor 75 Jahren betont, dass es kein Ende des Erinnerns gebe. Er habe damit den richtigen Ton getroffen, findet der Historiker Paul Nolte.
Zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs hat sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vehement dagegen ausgesprochen, einen Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen. Nicht das Bekenntnis zur Verantwortung sei eine Schande, sondern diese zu leugnen, sagte er in einer Ansprache bei der zentralen Gedenkveranstaltung an der Neuen Wache in Berlin. Ein eigentlich geplanter Staatsakt mit ausländischen Gästen war wegen der Coronakrise abgesagt worden.
Steinmeier habe den richtigen Ton getroffen, sagt unser Studiogast, der Historiker Paul Nolte. Ob es eine historische Rede sei, wie die am 8. Mai 1985 des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, das müsse man noch sehen.
"Ich finde es ganz interessant, dass er offenbar aus dieser Situation, dass es jetzt überraschenderweise und aufgrund der Coronapandemie anders als geplant alleine gefeiert wird, dass er darauf nochmal einen Funken schlägt." Steinmeier habe daraus den Gedanken entwickelt, dass die Erinnerungen unterschiedlich seien und es auch blieben.
Alleinsein und Nachdenken
Seitdem der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder erstmals 2004 zu den Gedenkfeiern der Alliierten in die Normandie eingeladen wurde, gebe es die Auseinandersetzung darüber, wie viel man als Deutsche gemeinsam feiern könne. "Dürfen wir mit den Amis jubeln, dass sie uns besiegt haben oder bleiben da doch andere Töne?", fragt Nolte. Deshalb finde er es interessant, dass Steinmeier uns allen nochmal dieses Alleinsein auftrage und ein Nachdenken über dieses Gedenken in all seiner Kompliziertheit.
Es sei allerdings traurig, dass diese Erinnerung jetzt durch die Coronakrise nicht anders geteilt werden könne, so Nolte. "Auch zwischen den Generationen teilen können, das ist ein Grundmotiv der historischen Erinnerungskultur des jetzigen Bundespräsidenten."
Es sei Steinmeier besonders wichtig, dass die Erinnerung in die Zukunft weitergegeben werde. Er habe es bei seiner Ansprache sicher vermisst, nicht in die Gesichter junger Leute blicken zu können.
(gem)
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