Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

Der #MeToo-Skandal im Sperrbezirk

Hubertus Knabe, ehemaliger Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen.
Hubertus Knabe, Ex-Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen: Susanne Schädlich kritisiert die Reaktionen auf die Entlassung Knabes und dessen Stellvertreters. © imago / IPON
Ein Standpunkt von Susanne Schädlich · 23.10.2018
Der Chef der Gedenkstätte Hohenschönhausen und sein Vize wurden entlassen: Es geht um sexuelle Belästigung beziehungsweise deren Tolerierung. Die Autorin Susanne Schädlich ärgert sich, dass manche die zwei Männer als Opfer einer Polit-Intrige sehen.
Frauen werden am Arbeitsplatz sexuell belästigt - meistens von männlichen Vorgesetzten, die glauben, ob aus Hybris oder machtgeiler Blindheit, sich solche Freizügigkeiten herausnehmen, ihre Machtposition ausnutzen zu können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
Irrtum. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, vollkommen überraschend, ja unverschämterweise, nimmt sich das bis eben so duldsame Weib heraus, das Wort zu erheben, zu schildern, was da am Arbeitsplatz passiert, welche Strukturen herrschen.
"Skandal im Sperrbezirk" - denn nun gerade trifft es den seit einigen Wochen ehemaligen Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, zu DDR-Zeiten Stasiknast in einem Sperrgebiet in Ostberlin, und den ebenso seit einigen Wochen ehemaligen Vizedirektor.

Verschwörungstheorien werden in Umlauf gebracht

Die Debatte und Berichterstattung um die Causa ist an Schamlosigkeit fast nicht zu überbieten. Es geht kaum um die Erfahrungen der Frauen und Macht und Machtmissbrauch am Arbeitsplatz. Stattdessen werden wilde Verschwörungstheorien in Umlauf gebracht: Es handele sich um eine politische Intrige seitens der CDU und der Linken, die einen aufrechten Kämpfer für die Aufarbeitung der SED-Diktatur loswerden wollen – weil der einer möglichen Koalition zwischen CDU und Linken im Osten des Landes im Wege stünde.
Es werden Anwürfe verbreitet, die Frauen beschädigten mit ihren Vorwürfen die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Es wird unterstellt, da sie in der Öffentlichkeit aus ihrer schützenden Anonymität nicht heraustreten, sei das, was sie gegen Dr. Hubertus Knabe und Helmut Frauendorfer ins Feld führen, frei erfunden.
Das alles klingt nach Post-1989-Paranoia, die anscheinend nicht nur den Gefängnisdirektor und seinen Vize ereilt hat.
Nichts ist erfunden und anonym sind die Frauen – mittlerweile gar als "Dunkelfrauen" betitelt - ebenso wenig. Ihre schriftlichen Darlegungen an den Berliner Senat, den Stiftungsrat sowie Beirat der Gedenkstätte haben sie namentlich unterschrieben.

Angriff von "Dunkelfrauen"

"Dunkelfrauen"! Das weckt Assoziationen: "Dunkeldeutschland" - ironische Bezeichnung für die DDR, weil es dort weniger Straßenbeleuchtung und Reklame als im Westen gab und darum wirkte, als sei das Licht ausgeknipst worden. Joachim Gauck verwendete den Begriff 2015 in der Flüchtlingsdebatte, stellte ein "helles Deutschland" von freiwilligen Helfern dem "Dunkeldeutschland" von Extremisten und Fremdenfeinden gegenüber.
Soll hier suggeriert werden, die Frauen hätten in der Gedenkstätte das Licht ausgeknipst, seien männerfeindliche Extremistinnen, die es auf zwei Unschuldige abgesehen und nur das Flirtverhalten der beiden missverstanden haben? Die obendrein den #MeToo-Angeklagten auch noch die Humanität verwehren, weil sie in der Öffentlichkeit anonym bleiben – als ob das nicht sowieso selbstverständlich ist.
Die Frauen, die sich wohlbedacht, wohldurchdacht, zivilisiert hilfesuchend an eine übergeordnete Stelle gewandt haben, an den Pranger zu stellen, Sprüche, die sie sich am Arbeitsplatz anhören mussten – "Sie sehen aus wie ein Rennpferd, das lange nicht geritten wurde" – abzutun als übers Ziel hinaus geschossene Galanterie, und jetzt lesen zu müssen, allenfalls "Kindesmissbrauch" hätte Grund für die Entlassungen sein können, führen der Verhöhnung das Wort und dieselbe auf die Spitze.

Täter werden zu Opfern stilisiert

Die Vehemenz der Empörung über die Entscheidung des Stiftungsrates der Gedenkstätte, Direktor und Vize zu entlassen, ist unangebracht und schwer zu ertragen. Die Vehemenz der Empörung müsste sich Bahn brechen darüber, dass sexuelle Übergriffigkeit, anzügliche Anmache, frauenfeindliche Sprüche – Gedenkstätte Hohenschönhausen, ehemaliger Direktor und Vizedirektor sind lediglich Sinnbild – deutscher Alltag sind, statt abzuwiegeln und die Täter zu Opfern zu stilisieren.

Susanne Schädlich, geboren 1965 in Jena, ist Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie lebte zwölf Jahre in den USA. 1999 kehrte sie nach Berlin zurück, wo sie mit ihren beiden Söhnen heute lebt. 2007 veröffentlichte sie ihren ersten Roman "Nirgendwoher, irgendwohin". Danach folgten: "Immer wieder Dezember. Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich", "Westwärts, so weit es nur geht. Eine Landsuche" sowie "Herr Hübner und die sibirische Nachtigall". 2015 erhielt sie den Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis.

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