Sylvia Plath: Der Koloss. Gedichte
Englisch und deutsch. Aus dem Amerikanischen von Judith Zander
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
163 Seiten, 22,95 Euro
Extreme psychische Ausdrucksformen
Die Lyrikerin Sylvia Plath nahm sich 1963 im Alter von 30 Jahren das Leben. Sie wurde zu einer Ikone des Feminismus. Spät, doch nun sind zwei ihrer Gedichtbände erstmals auf deutsch erschienen.
Sylvia Plath nahm sich 1963 im Alter von 30 Jahren das Leben. Sie lebte damals seit kurzer Zeit, zusammen mit zwei kleinen Kindern, getrennt von ihrem Mann, dem berühmten Lyriker Ted Hughes. Und bald nach ihrem Tod kam ihr Gedichtband "Ariel“ heraus, der ihren Ruhm begründete. Sie wurde zu einer Ikone des Feminismus, ihre Gedichte wurden als Zeugnisse der Probleme weiblichen Schreibens in einer männlich dominierten Gesellschaft gelesen.
Es sind "Bekenntnisgedichte“, die sich vom damals im englischsprachigen Raum dominanten unpersönlichen Lyrikstil, einer Ästhetik der Distanz im Sinne T.S. Eliots, unterscheiden. Plath sprach offen ihre psychischen Probleme aus, das Suchen nach einer weiblichen Identität, die Problematik der Vater- und Mutter-Beziehungen sowie des Geschlechterverhältnisses.
Es ist vor diesem Hintergrund erstaunlich, dass bis vor kurzem in Deutschland neben "Ariel“ keine weiteren Gedichte von Sylvia Plath erschienen waren. Man konzentrierte sich, ihrem ungeheuren Nachruhm und ihrer Biografie als Fallbeispiel entsprechend, auf nachgelassene Tagebücher und Briefe. Dabei hatte sie zu ihren Lebzeiten, 1960, bereits den Gedichtband "Der Koloss“ herausgebracht, und in den 80er-Jahren waren dann ihre sämtlichen Gedichte erschienen, zu denen auch die Sammlung "Übers Wasser“ gehört. Diese war zeitlich in Zusammenhang mit dem Schaffensrausch der berühmten "Ariel“-Gedichte entstanden und bereitete sie vor. "Der Koloss“ und "Übers Wasser“ sind nun getrennt voneinander auf deutsch veröffentlicht worden, in zwei verschiedenen Verlagen, aber beide Bände von der ausgezeichneten und sprachmächtigen Schriftstellerin Judith Zander übersetzt.
Eine Vergangenheit, der man nicht entkommen kann
Im Debütband "Der Koloss“ spürt man stark die Auseinandersetzung mit der lyrischen Moderne, mit immer gesuchteren und stärker subjektiv aufgeladenen Bilderwelten. Der ungeheure Bildungsehrgeiz des "all american girl“, als das sich Sylvia Plath an der Oberfläche eben auch stilisierte, zeigt sich in vielen klassischen Anleihen und Anspielungen. Das Titelgedicht bezieht sich auf den Torso einer männlichen Statue. Verkörpert scheint darin der übermächtige männliche Vater, der durch die Anrufung des weiblich-lyrischen Ich nicht erreicht wird. Er steht für eine Vergangenheit, der man nicht entkommen kann. Daneben gibt es Gedichte, die die amerikanische Lebensform kritisieren und die Abgründe der heilen Konsumwelt ausleuchten, in oft überraschenden Wendungen – "Sie sind immer bei uns, die dünnen Leute, / von dürftigem Ausmaß wie die grauen Leute / Auf einer Kinoleinwand. Sie / Sind unwirklich (…)“
"Übers Wasser“ zeigt sich bereits selbständiger, nicht mehr so stark an der traditionellen lyrischen Strophenform orientiert, diese Gedichte sind offenkundig Zeugnisse eines Übergangs. Eine radikale weibliche Subjektivität beginnt, sich schonungslos auszusprechen: "Ich bin vertikal // Aber ich wäre lieber horizontal. / Ich bin kein Baum, im Boden die Wurzel, / Mutterliebe aufsaugend und Mineralien, / So dass ich jeden März in Laub erschimmern kann. (…)“
Zur Überprüfung einer feministischen Ikone sind diese Gedichte bestens geeignet – Zeugnisse einer zwar überwundenen gesellschaftlichen Situation, aber in ihren extremen psychischen Ausdrucksformen weit über diese hinausgehend.
Sylvia Plath: Übers Wasser. Nachgelassene Gedichte
Zweisprachig. Aus dem Amerikanischen von Judith Zander
Verlag Luxbooks, Wiesbaden 2013
135 Seiten, 22,80 Euro