Beleidigen als Wettkampf
Das englische Wochenblatt "The Spectator" verspricht 1.000 Pfund für das beste Schmähgedicht über Erdoğan – Limericks bevorzugt. Es bedarf aber großer Kunstfertigkeit, schöne Beleidigungen in fünf Zeilen zu gießen, die einem festen Reimschema gehorchen, meint Klaus Nothnagel.
Erdoğan? Ich hab nichts gegen den Mann. Erdoğan ist ein feinsinniger Freund der Dichtkunst. Wer sonst provoziert die Dichter zu Höchstleistungen – nicht die türkischen Dichter natürlich. Aber die englischen zum Beispiel. Douglas Murray schreibt im Wochenblatt "The Spectator", er habe sich heftig über die Bundesregierung geärgert – wir erinnern uns: Angela Merkel erlaubte offiziell, dass Erdoğan mit dem ranzigen Majestätsbeleidigungs-Paragrafen gegen den pubertären Schweinkram des Fernseh-Spaßvogels Böhmermann vorgeht. Mr. Murray hat daraufhin, so schreibt er, "als frei geborener britischer Mann" beleidigende Gedichte über Erdoğan geschrieben und er lädt nun seine Leser ein, es ihm gleichzutun.
Sehr schön. Beleidigungen sind zu befürworten – es muss ja nicht auf Böhmermann-Niveau sein. Formale Vorgaben gibt es nicht beim Wettbewerb des "Spectator"; empfohlen wird allerdings, die Form des Limericks zu verwenden, denn "fast alles Beleidigende, das es wert ist gesagt zu werden, passt üblicherweise in die fünf Zeilen dieser schönen und zierlichen Form", so Mr. Murray. Es bedarf allerdings großer Kunstfertigkeit, schöne Beleidigungen in fünf Zeilen zu gießen, die noch dazu einem festen Reimschema gehorchen!
Merkel ist schuld
Leider sind auf der Website des "Spectator" noch nicht großartig viele Gedichte zu lesen, obwohl dem besten Werk 1.000 Pfund winken. Es dauert vielleicht noch ein bisschen, aber am Ende ist eine Explosion der Kreativität zu erwarten; ein Verdienst nicht nur von Erdoğan, sondern auch von Angela Merkel, deren plumpe Politik die "Spectator"-Leser ins Dichten hineinärgern wird!
Aber hat Merkels Politik nicht auch negative Folgen? Jawohl. Einmal im Jahr gibt die Organisation "Reporter ohne Grenzen" eine internationale Rangliste zum Thema Pressefreiheit heraus, und 2016 ist Deutschland gegenüber dem Vorjahr um vier Plätze abgeschmiert. Wegen Angela Merkel natürlich. Es wird zwar behauptet, die Verschlechterung sei auf Pegida und ähnliches Pack zurückzuführen, das Journalisten bei der Arbeit behindert – naja gut, mag sein, dann ist Angela Merkel eben erst für die Verschlechterung 2017 verantwortlich! Immerhin, Deutschland steht auf dem 16. Platz, 15 Plätze hinter dem Spitzenreiter Finnland; die Türkei dagegen: Platz 151. Auch nicht schlecht: Noch ca. 30 Plätze vor Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea.
So. Sind mir jetzt unabsichtlich irgendwelche Erdoğan-Kränkungen unterlaufen? Am besten wird es sein, ich widerrufe schon mal vorsorglich.