Gefährliche Höhenluft
Heimatromane schrieb er nicht. Sondern düstere Berichte aus der kargen Welt der Westschweizer Berge. In Wallis und Waadt spielt das literarische Bergrauschen des Charles Ferdinand Ramuz – zwischen dien Nadelbäumen des Hochgebirges, steilen Alpen, gefährlichen Wasserläufe.
Ein Dorf im schweizerischen Wallis, dorthin führt "Die große Angst in den Bergen", in eine Hinterwäldlerwelt, in der wenig gesprochen und viel gearbeitet wird. Eine Welt, strukturiert durch die Jahreszeiten, kirchliche Feiertage, sporadische Gemeindeversammlungen.
Auf einer dieser Versammlungen wird abgestimmt: soll man die Kühe wieder auf die Sassenaire-Alp treiben? Die Alten im Dorf erinnern sich noch, etwas so Grauenhaftes war dort oben geschehen vor 20 Jahren, dass man seitdem die Natur dort oben unbehelligt gedeihen lässt. Die Jungen im Dorf begehren auf – soll man das Gras für 70 Kühe dort verdorren lassen?
Und so ziehen nach der Schneeschmelze sieben Senner mit den Tieren hinauf. Schnell fügen sich die Männer in die schweigsame Bergwelt, entwickeln Routine – bis eine Seuche ausbricht und die Alp zum Quarantänegebiet macht. Der Beginn einer apokalyptischen Katastrophe, die weder die Männer hoch oben noch die Dörfler überleben sollen. Ein Mensch nach dem anderen verliert gegen die epidemische Logik der Ausbreitung, durch Ansteckung oder durch panische Versuche, sich zu schützen.
Es gibt die kleinen und die großen Untergänge in Charles Ferdinand Ramuz’ Roman; seine Behandlung des Epidemietopos erinnert an seinen Landsmann Jeremias Gotthelf und dessen Novelle "Die schwarze Spinne" – ebenso wie dort wird hier die Epidemie zum Symbol von Schuld und Sühne eines bäuerlichen Kollektivs. Ramuz’ literarisches Inventar, das auf den ersten Blick einfache Hausmannskost suggerieren könnte, entdeckt auf den zweiten moderne Strukturen: Die Landschaftsbeschreibungen, die Namen, die Zeitangaben, um von einem Ort zum anderen zu kommen etwa, sind bei Ramuz völlig willkürlich gewählt – seine Beobachtungen beanspruchen so zeitlose und ortlose Gültigkeit.
Besonders ist auch das poetisch dichte Erzählen: gleich einem rasch geschnittenen Film ziehen die Bilder und Momentaufnahmen vom Untergang eines Bergdorfes vorbei, durch eine geschickte Zeitstruktur, in der die Vergangenheitsform immer wieder vom Präsens unterwandert wird, suggeriert der Text Kamerawechsel, Beschreibungen lesen sich wie Drehbuchanweisungen. Ein Erzählen, das streckenweise schwindelig macht – und den Nationaldichter Ramuz zu einem durchaus noch einmal lesenswerten Teil des literarischen Projektes "Moderne".
Besprochen von Katrin Schumacher
Charles Ferdinand Ramuz: Die große Angst in den Bergen
Aus dem Französischen von Hanno Helbling
Mit einem Nachwort von Beatrice von Matt
Nagel & Kimche, Zürich/München 2009
189 Seiten, 17,90 Euro
Auf einer dieser Versammlungen wird abgestimmt: soll man die Kühe wieder auf die Sassenaire-Alp treiben? Die Alten im Dorf erinnern sich noch, etwas so Grauenhaftes war dort oben geschehen vor 20 Jahren, dass man seitdem die Natur dort oben unbehelligt gedeihen lässt. Die Jungen im Dorf begehren auf – soll man das Gras für 70 Kühe dort verdorren lassen?
Und so ziehen nach der Schneeschmelze sieben Senner mit den Tieren hinauf. Schnell fügen sich die Männer in die schweigsame Bergwelt, entwickeln Routine – bis eine Seuche ausbricht und die Alp zum Quarantänegebiet macht. Der Beginn einer apokalyptischen Katastrophe, die weder die Männer hoch oben noch die Dörfler überleben sollen. Ein Mensch nach dem anderen verliert gegen die epidemische Logik der Ausbreitung, durch Ansteckung oder durch panische Versuche, sich zu schützen.
Es gibt die kleinen und die großen Untergänge in Charles Ferdinand Ramuz’ Roman; seine Behandlung des Epidemietopos erinnert an seinen Landsmann Jeremias Gotthelf und dessen Novelle "Die schwarze Spinne" – ebenso wie dort wird hier die Epidemie zum Symbol von Schuld und Sühne eines bäuerlichen Kollektivs. Ramuz’ literarisches Inventar, das auf den ersten Blick einfache Hausmannskost suggerieren könnte, entdeckt auf den zweiten moderne Strukturen: Die Landschaftsbeschreibungen, die Namen, die Zeitangaben, um von einem Ort zum anderen zu kommen etwa, sind bei Ramuz völlig willkürlich gewählt – seine Beobachtungen beanspruchen so zeitlose und ortlose Gültigkeit.
Besonders ist auch das poetisch dichte Erzählen: gleich einem rasch geschnittenen Film ziehen die Bilder und Momentaufnahmen vom Untergang eines Bergdorfes vorbei, durch eine geschickte Zeitstruktur, in der die Vergangenheitsform immer wieder vom Präsens unterwandert wird, suggeriert der Text Kamerawechsel, Beschreibungen lesen sich wie Drehbuchanweisungen. Ein Erzählen, das streckenweise schwindelig macht – und den Nationaldichter Ramuz zu einem durchaus noch einmal lesenswerten Teil des literarischen Projektes "Moderne".
Besprochen von Katrin Schumacher
Charles Ferdinand Ramuz: Die große Angst in den Bergen
Aus dem Französischen von Hanno Helbling
Mit einem Nachwort von Beatrice von Matt
Nagel & Kimche, Zürich/München 2009
189 Seiten, 17,90 Euro