Gefährliche Liebe

Die titelgebende Figur aus Otto de Kats Roman ist eine junge Ingenieurin aus Lübeck, Julia Bender, die der holländische Erzähler 1938 in der Hansestadt kennen- und lieben lernt. Als ein Bombenhagel über Lübeck niedergeht, ist alles vorbei.
Otto de Kat mag es gern kurz. Sein erster Roman umfasste gerade mal 94 Seiten, sein zweiter 156 und sein dritter nun 167 Seiten. Um Prägnanz also ist es diesem Autor zu tun, und seiner Prosa merkt man an, dass sie verfasst ist von einem, der 1976 als Lyriker die literarische Bühne betrat: konzis schreibt de Kat, kein Wort zuviel will dieser Schriftsteller verlieren und steht doch vor dem Problem, mit "Julia" den Leser rasch zu ermüden. Die titelgebende Figur ist eine junge Ingenieurin aus Lübeck, Julia Bender, die der Erzähler, ein Holländer, 1938 in der Hansestadt erst kennen- und dann sehr bald lieben lernt. Diese Julia entstammt einer Schauspieler-Familie und spricht in Christiaan Dudok genau die Seite an, die er als designierter Direktor einer Maschinenfabrik und Betriebswirt, dem alle Ökonomie nur "höherer Schwindel" ist, zu unterdrücken sich vergebens bemüht: die künstlerische.

Ihn fasziniert ihre Ungebundenheit, ihre Selbstbestimmtheit, ihr Mut, offen ihre Meinung zu sagen über die braunen Barbaren und ihre menschenverachtende Ideologie. Eine Haltung, die sie persönlich immer mehr in die Bredouille bringt, sie muss untertauchen vor ihren nationalsozialistischen Häschern. Eine Nacht verbringen Julia und Chris miteinander und noch einen Nachmittag in Travemünde am Ostsee-Strand wie einst Tony Buddenbrook und Morten Schwarzkopf. Dann kurz nach der Reichskristallnacht drängt Julia Chris, das Land zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen, sie selbst kommt im Bombenhagel der verheerenden Luftangriffe am 2. April 1942 auf Lübeck ums Leben. Erst 13 Jahre nach Kriegsende erfährt Chris Dudok vom Schicksal seiner einstigen Liebe – und kommt nie darüber hinweg, ihrem Rat gefolgt und in die Niederlande zurückgekehrt zu sein.

Zwar will Chris Dudok "die Vergangenheit verbarrikadieren" und "rigoros jeden Gedanken an Julia verbannen", doch es gelingt ihm nicht, sodass er sich mit 72 Jahren das Leben nimmt – mit der Entdeckung dieses Selbstmords beginnt das Buch. Sein Chauffeur findet ihn in seiner Villa vor, gestorben an einer Überdosis Tabletten. Wie schon in seinem Vorgängerroman "Sehnsucht nach Kapstadt" steht im Zentrum von "Julia" ein heimatloser Held, der schwer traumatisiert ist durch ein Ereignis der Vergangenheit. Otto de Kats Interesse gilt Menschen, die immer wieder "überfallen" werden von der Vergangenheit, von "Erinnerungen bestürmt" an prägende Ereignisse und Menschen. In "Sehnsucht nach Kapstadt" war es die enge Verbindung zwischen zwei Kriegskameraden, Rob und Guus, von denen nur einer überlebt. Der kann es nicht verwinden, den anderen überlebt zu haben, trägt ein Trauma mit sich herum und die Erinnerung an den bewunderten Freund. Hier in "Julia" sind es eben die Erinnerungen von Chris an eine Frau, die er nicht los wird: "Wie schüttelt man Erinnerungen an Ereignisse ab, die das Leben in eine andere Richtung gezwungen haben, an einen Abschied, der einem die Seele geraubt hat?"

Der allzu pathetische, allzu wehmutsvolle Ton solcher Passagen konterkariert leider die in Teilen durchscheinende erzählerische Lakonie und Kühle, zu der dieser Autor eben auch fähig ist. Schwarzweiß seine Charakterzeichnung: Julia ist die Lichtgestalt – schön, klug, ohne einen Makel, von "ruhiger Festigkeit". Die übrigen Deutschen im Buch sind die "Moffen", "verbissene Barbaren" – geht es vielleicht ein bisschen weniger schematisch? Auch damit, den Selbstmörder als Abschiedsgruß ausgerechnet die nun wirklich zu Tode zitierten Zeilen Rilkes zu Papier bringen zu lassen ("Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben"), hat sich der vormalige Poet Otto de Kat keinen Gefallen getan.

Besprochen von Knut Cordsen

Otto de Kat: Julia
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
Insel Verlag, Berlin 2010
167 Seiten, 19.80 Euro