Gefährliche Zimtsterne

Bereits Ende 2005 wurde Zimtgebäck auf dem Markt vorgefunden, das den Grenzwert für den Aromastoff Cumarin bis zum 40-fachen überschritt. Daneben werden Zimtpulver als Nahrungsergänzung zur Blutzuckersenkung verkauft. Cumarin ist natürlicherweise vor allem in Waldmeister und Tonkabohnen, aber auch in vielen anderen Lebensmitteln enthalten und gilt als krebserregend sowie als leberschädlich.
Die EU sieht den Stoff aufgrund von Studien zum Toxicitäts-Mechanismus heute als nicht mehr problematisch an und plant in der Aromenverordnung die Einschränkungen aufzuheben. Das wiederum nahmen wohl Teile der Lebensmittelindustrie zum Anlass, neuerdings eine spezielle Zimtsorte zu verarbeiten, die hohe Cumarin-Gehalte aufweist. Es handelt sich dabei um den vergleichsweise billigen China-Zimt (Cassia). Der bisher übliche, aber wesentlich teurere Ceylonzimt (Kaneel) wird aus einer anderen Pflanzenart gewonnen und ist praktisch frei von Cumarin.

Historie: Das Cumarin hat einen hohen Symbolwert. Als um 1970 im Westen zaghafte Kritik an der chemischen Industrie, insbesondere an ihrem unbekümmerten Einsatz von Pestiziden laut wurde, präsentierte man der Öffentlichkeit das Cumarin aus dem Waldmeister als neue Gesundheitsgefahr aus Feld, Wald und Wiese. Waldmeistersüßwaren und – Limonaden (neben der Bowle) waren damals ziemlich populär. Es folgte ein Verbot der Verwendung von Waldmeister, das allerdings später gelockert und mit einem Grenzwert versehen wurde – nicht zuletzt, weil es in geringer Menge in vielen Produkten natürlicherweise vorkommt und seine Gefährlichkeit überschätzt worden war. (Verboten wurde dann jedoch der Zusatz von synthetischem Cumarin zu Lebensmitteln.) Damit zeigte der Staat, dass er jederzeit bereit sei, den Bürger vor Giften aller Art zu schützen. Die chemische Industrie hielt ihren Kritikern über viele Jahre reflexartig das Cumarin entgegen, nach dem Motto, die Natur sei viel gefährlicher als "geprüfte Pflanzenschutzmittel".

Und heute? Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die lebertoxischen Wirkungen, die im Tierversuch an Nagern beobachtet wurden, auf der Bildung eines Metaboliten beruhen, der beim Menschen gewöhnlich nur in geringer Menge entsteht. Allerdings scheinen einige Personen denn doch empfindlicher zu reagieren. Dies zeigt die Verwendung von Cumarin als Medikament bei Stauungen der Beinvenen. Dabei wurden wiederholt Leberschädigungen beobachtet. Wenn man bedenkt, dass die therapeutische Dosis bei 30 Milligramm am Tag liegt und heute fast 80 Milligramm in einem Kilo Zimtsternen gefunden werden, lässt sich daraus natürlich ein Risiko ableiten.

Das düstere Bild ändert sich aber schnell, wenn man das "China-Zimtrisiko" mit anderen Lebensmitteln vergleicht. Nehmen wir den Kaffee. Von den etwa 1000 Inhaltsstoffen – die meisten davon sind nicht natürlich, weil durch Röstung entstanden – sind bisher 30 auf ihre krebserzeugende Wirkung überprüft. 21 von ihnen waren in mindestens einem Test krebserregend. Damit trinken wir mit jeder Tasse Kaffee etwa zehn Milligramm "Krebsgifte". Demnach müsste man bei notorischen Kaffeetrinkern eine deutlich erhöhte Krebsrate vorfinden. Pustekuchen! Die Lebenserwartung steigt sogar ab etwa drei Tassen täglich – zumindest in der Statistik. Die Krebsrate ist nicht erhöht, dafür sinkt aber das Diabetesrisiko massiv und das Herzinfarktrisiko deutlich.

Dieses "Spielchen" kann man auch mit vielen anderen Inhaltsstoffen unserer Lebensmittel, namentlich unseren Gewürzen und Genussmitteln, treiben. Ich möchte nur an das Methyleugenol erinnern, das sich in Basilikum (zum Beispiel Pesto) findet. Es ist im Gegensatz zum Cumarin ein "hartes" Cancerogen, es erzeugt in allen geprüften Tierarten Krebs – und zwar in ziemlich vielen Organen gleichzeitig und das auch noch in geringer Dosis. Sollen wir jetzt Pesto verbieten? Auch hier gibt es sicherlich empfindliche Menschen. Oder nehmen wir das Acrylamid. Während Tierversuche auf allerlei Gefahren hinwiesen, wurden diese beim Menschen durch den reichlichen Genuss acrylamidhaltiger Speisen bis heute und intensiver Suche nicht gefunden. Es ist halt ein Riesenunterschied, ob ich einen Einzelstoff in hoher Dosierung an Käfignager verfüttere oder ob ein freilaufender Mensch Zimtplätzchen, Pesto oder Bratkartoffeln nach Gusto verzehrt. Wenn er’s nicht verträgt – jeder Mensch ist für irgendwelche Substanzen "empfänglich", die der überwiegenden Mehrzahl seiner Artgenossen völlig schnurz sein kann, dann wird ihm die Lust am Verzehr meistenteils von ganz alleine vergehen. Dieses körpereigene System ist erkennbar um einiges "klüger" als Expertenrat. Kein Wunder – es hat ja auch viel mehr Erfahrungen gesammelt und ist auf die Eigenheiten seines Individuums ausgerichtet.

Fazit: Ich werde weiter Zimtplätzchen essen – auch dann, wenn billiger Cassia-Zimt drin ist. Lieber ist mir natürlich der Ceylon-Zimt – aber nicht wegen dem Cumarin – sondern weil sein Geschmack einfach feiner ist. Wenn die verantwortliche Behörde bei ihrer Bewertung wesentlich vorsichtiger ist, habe ich dafür Verständnis. Schließlich wird sie von Lebensmittel-Hysterikern umlagert, die nun das von der Politik jahrelang lauthals versprochene Null-Risiko einfordern.