Gefährliches Doppelspiel
Der katalanische Schriftsteller Jaume Cabré legt mit "Die Stimmen des Flusses" ein atemberaubendes Werk vor, das Familienepos, historischer Roman und Polit-Thriller in einem ist. Eine unfassbare Geschichte von Liebe und Grausamheit, Hass, Rachsucht und einem verzweifelten Kampf um Gerechtigkeit.
Der Bürgerkrieg war seit über fünf Jahren vorbei, doch das Morden ging weiter, vor allem im Norden Kataloniens, wo nach wie vor Guerillatrupps erbitterten Widerstand gegen den siegreichen Generalissimo Francisco Franco und seine Kämpfer von der faschistischen Falange leisteten.
Zumal die Sieger blutige Rache an ihren geschlagenen Gegnern übten, den Anarchisten, den Roten und den Republikanern. Was aber geschah tatsächlich an jenem 18. Oktober 1944 in Torena, einem abgelegenen Dorf in den Pyrenäen?
Als die Lehrerin Tine Bros sechzig Jahre später bei Recherchen für eine Dokumentation über den Wandel der Lehrmittel im Laufe der Zeit in der alten, für den Abriss freigegebenen Dorfschule von Torena ein hinter der Schiefertafel verstecktes Bündel Schulhefte findet, ahnt sie zunähst nicht, dass sie auf eine Zeitbombe gestoßen ist, auf Materialien, durch die alte Schuld und Verstrickungen aufgedeckt und unter anderem ein mit viel Geld und Aufwand betriebener Seligsprechungsprozess zunichte gemacht werden kann.
In ihren Händen hält sie die Aufzeichnungen des damaligen Lehrers Oriol Fontelles, einen langen Brief an seine Tochter, in dem er sich vor ihr und der Nachwelt für sein seinerzeitiges Verhalten rechtfertigen will.
So erfährt Tina Bros von Oriols tragischer Liebesbeziehung zu der mächtigen Großgrundbesitzerin und Industriellen Elisenda Vilabrú, deren Vater und Bruder kurz nach Ausbruch des Bürgerkrieges von Anarchisten ermordet wurden. Nach dem Sieg der putschenden Faschisten schließt Senyora Elisenda einen Pakt mit dem Teufel in Gestalt des skrupellosen Franquisten Valentí Targa, den sie als Bürgermeister von Torena einsetzt und zu ihrem Racheengel ernennt.
Oriol, der Lehrer, ist hin- und hergerissen zwischen seiner schwangeren Frau Rosa und Elisenda, der heimlichen Herrscherin des Ortes, deren Reizen er verfällt, als sie ihm für ein Porträt Modell sitzt. Zunächst macht er sich mit den neuen Herren gemein, zieht sogar die Uniform der Falange an, bis er aus Angst und Ohnmacht zum Spießgesellen bei einer besonders grausamen Bluttat des faschistischen Bürgermeisters wird.
Von nun an lässt er sich auf ein gefährliches Doppelspiel ein, das an eben jenem 18. Oktober 1944 ein verhängnisvolles Ende findet.
Tina Bros, die Lehrerin, muss indes erleben, dass die Wunden, die seinerzeit geschlagen wurden, auch nach mehr als sechzig Jahren noch lange nicht verheilt sind.
Jaume Cabré, mehrfach preisgekrönter katalanischer Schriftsteller, Essayist und Dramatiker, legt mit "Die Stimmen des Flusses" ein atemberaubendes Werk vor, das Familienepos, historischer Roman und Polit-Thriller in einem ist. In raschen Szenenwechseln und Zeitsprüngen lässt er den Leser an den Recherchen der Lehrerin Bros teilhaben, während diese immer tiefer in eine unfassbare Geschichte von Liebe und Grausamheit, Hass, Rachsucht und einem verzweifelten Kampf um Gerechtigkeit eintaucht.
Eine Geschichte, deren Mitwirkende allesamt Getriebene sind, Sklaven ihrer Leidenschaften und heimlichen Ängste, ihrer Gier und Scheinheiligkeit.
Dieser Roman ist zugleich eine bissige Satire über das Walten der allmächtigen katholischen Kirche, eine bittere Klage über den von ihr geduldeten faschistischen Terror und eine ergreifende Gedenkschrift an die Opfer der erbarmungslosen Sieger des Bürgerkrieges, unter deren Wüten gerade Katalonien bis in die jüngste Vergangenheit leiden musste.
Rezensiert von Georg Schmidt
Jaume Cabré: Die Stimmen des Flusses
Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt.
Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007, 667 Seiten, 22,80 Euro
Zumal die Sieger blutige Rache an ihren geschlagenen Gegnern übten, den Anarchisten, den Roten und den Republikanern. Was aber geschah tatsächlich an jenem 18. Oktober 1944 in Torena, einem abgelegenen Dorf in den Pyrenäen?
Als die Lehrerin Tine Bros sechzig Jahre später bei Recherchen für eine Dokumentation über den Wandel der Lehrmittel im Laufe der Zeit in der alten, für den Abriss freigegebenen Dorfschule von Torena ein hinter der Schiefertafel verstecktes Bündel Schulhefte findet, ahnt sie zunähst nicht, dass sie auf eine Zeitbombe gestoßen ist, auf Materialien, durch die alte Schuld und Verstrickungen aufgedeckt und unter anderem ein mit viel Geld und Aufwand betriebener Seligsprechungsprozess zunichte gemacht werden kann.
In ihren Händen hält sie die Aufzeichnungen des damaligen Lehrers Oriol Fontelles, einen langen Brief an seine Tochter, in dem er sich vor ihr und der Nachwelt für sein seinerzeitiges Verhalten rechtfertigen will.
So erfährt Tina Bros von Oriols tragischer Liebesbeziehung zu der mächtigen Großgrundbesitzerin und Industriellen Elisenda Vilabrú, deren Vater und Bruder kurz nach Ausbruch des Bürgerkrieges von Anarchisten ermordet wurden. Nach dem Sieg der putschenden Faschisten schließt Senyora Elisenda einen Pakt mit dem Teufel in Gestalt des skrupellosen Franquisten Valentí Targa, den sie als Bürgermeister von Torena einsetzt und zu ihrem Racheengel ernennt.
Oriol, der Lehrer, ist hin- und hergerissen zwischen seiner schwangeren Frau Rosa und Elisenda, der heimlichen Herrscherin des Ortes, deren Reizen er verfällt, als sie ihm für ein Porträt Modell sitzt. Zunächst macht er sich mit den neuen Herren gemein, zieht sogar die Uniform der Falange an, bis er aus Angst und Ohnmacht zum Spießgesellen bei einer besonders grausamen Bluttat des faschistischen Bürgermeisters wird.
Von nun an lässt er sich auf ein gefährliches Doppelspiel ein, das an eben jenem 18. Oktober 1944 ein verhängnisvolles Ende findet.
Tina Bros, die Lehrerin, muss indes erleben, dass die Wunden, die seinerzeit geschlagen wurden, auch nach mehr als sechzig Jahren noch lange nicht verheilt sind.
Jaume Cabré, mehrfach preisgekrönter katalanischer Schriftsteller, Essayist und Dramatiker, legt mit "Die Stimmen des Flusses" ein atemberaubendes Werk vor, das Familienepos, historischer Roman und Polit-Thriller in einem ist. In raschen Szenenwechseln und Zeitsprüngen lässt er den Leser an den Recherchen der Lehrerin Bros teilhaben, während diese immer tiefer in eine unfassbare Geschichte von Liebe und Grausamheit, Hass, Rachsucht und einem verzweifelten Kampf um Gerechtigkeit eintaucht.
Eine Geschichte, deren Mitwirkende allesamt Getriebene sind, Sklaven ihrer Leidenschaften und heimlichen Ängste, ihrer Gier und Scheinheiligkeit.
Dieser Roman ist zugleich eine bissige Satire über das Walten der allmächtigen katholischen Kirche, eine bittere Klage über den von ihr geduldeten faschistischen Terror und eine ergreifende Gedenkschrift an die Opfer der erbarmungslosen Sieger des Bürgerkrieges, unter deren Wüten gerade Katalonien bis in die jüngste Vergangenheit leiden musste.
Rezensiert von Georg Schmidt
Jaume Cabré: Die Stimmen des Flusses
Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt.
Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007, 667 Seiten, 22,80 Euro