Aus dem Knast ins Freibad
Einmal jährlich inszeniert das Berliner Gefängnistheater "aufBruch" Stücke an besonderen Orten in Berlin. Bei der Premiere von "Odysseus, Verbrecher" spielen auch Inhaftierte und ehemalige Inhaftierte mit - in olympischer Umgebung.
Regisseur: "Bitte alles auf Anfang, in fünf Minuten fangen wir an ..."
Es ist ein regnerischer, fast herbstlicher Frühabend. Seit Stunden schon proben die Mitglieder des aufBruch-Ensembles an der Inszenierung von "Odysseus, Verbrecher", der Geschichte von dem heimkehrenden Herrscher Odysseus, der sein Königreich nach zwanzig Jahren vollkommen verändert und verwahrlost wiederfindet.
"Er litt auf dem Meer viel Qual und trachtete, sein Leben zu sichern ..."
Das Drama "Odysseus, Verbrecher", eine Aktualisierung der klassischen Odysseus-Sage des österreichischen Schriftstellers Christoph Ransmayr, ist die Grundlage des Stückes. Daneben fließen auch Texte von Heiner Müller, Franz Kafka, Jean Genet und Berichte von ehemaligen Bundeswehrsoldaten ein. Odysseus als Sinnbild für den Kriegsheimkehrer, der den Krieg nicht los werden kann, der zuhause kein Verständnis findet für das, was er erlebt hat – in die aufBruch-Inszenierung fließen viele Interpretationen der Odysseus-Figur ein.
Odysseus: "Athene, du hast keine Ahnung, was es bedeutet für Ithakas Ehre in den Tod zu ziehen."
Athene: "Ehre? War da nicht noch wat?"
"Wir kennen das aus der Geschichte, dass Sieger nicht aufhören können zu siegen", sagt Dramaturg Hans-Dieter Schütt. "Und dann, wenn sie aus dem Krieg heimkehren, auch ein Problem haben mit dem Charakter ihrer Heimkehr. Sie können nicht vermitteln, was sie im Krieg erlebt haben. Hier ist Odysseus ein räudiger Krieger, der am Ende von seiner eigenen Frau verlassen, als Verbrecher bezeichnet wird."
Heimkehr nach langer Abwesenheit
Hans-Dieter Schütt hat als Dramaturg die Inszenierung begleitet. Anders als in anderen aufBruch-Produktionen, die im geschlossenen Vollzug und ausschließlich mit Inhaftierten erarbeitet werden, ist dieses 26-köpfige Ensemble aus Freigängern, Ex-Häftlingen, Schauspielern und Laiendarstellern bunt gemischt.
Für manche von ihnen passt die Geschichte vom Heimkehren nach langer Abwesenheit auch auf die eigene Lebenssituation. Wie z.B. für André, der erst vor einigen Tagen aus seiner dreijährigen Haft entlassen wurde und am Start in einen neuen Lebensabschnitt steht:
"Theater unterstützt das massiv und man bekommt andere Blickwinkel auf das Leben, dass man freudige, spaßige Momente, ohne dass man die kaufen müsste, erlebt. Ein Zusammensein und ein Miteinander, was viel Kraft hervorbringt und eine gewisse Art von einer Strukturiertheit, was vielleicht Menschen fehlt – gerade Menschen, die mit Gesetzgebung nicht so viel im Sinn haben und versuchen, das schnelle Geld zu machen im Leben. Man muss konstant rangehen, man muss da sein, zuverlässig sein, Disziplin natürlich, ohne Disziplin kann so ein Stück in seiner Entstehung nicht reifen."
Nicht nur das Ensemble, auch der Ort, an dem es spielt, ist ungewöhnlich – und in seiner Verwunschenheit allemal eine Reise ins tiefste Berlin-Lichtenberg wert. Zwei alte, riesige Schwimmbecken mit rostigen Sprungtürmen, überwachsen von Birken und Trauerweiden, umgeben von Bäumen und weitläufigen Sportplätzen. Die ehemalige Trainingsanlage der Nationalsozialisten ist heute ein vergessener Ort, den Regisseur Peter Atanassow wiederentdeckt hat.
"Das Element, das einen tragen sollte, ist nicht mehr da", sagt Atanassow. "Und was übrig geblieben ist, ist eine Ruine aus einer Zeit, die tausend Jahre dauern sollte und nur zwölf Jahre gedauert hat. Und auch da Vergänglichkeit im weitesten Sinne und die Absehbarkeit des Scheiterns von Großmachtansprüchen. Das schwingt ja alles mit."