Daddeln und Chatten ist Elternpflicht
In der digitalen Welt sei es nicht anders als im Straßenverkehr, sagt der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger: Wenn Eltern ihre Kinder vor Übergriffen und Gefahren im Netz schützen wollten, müssten sie sich selbst gut auskennen und die Kinder sensibilisieren.
Ute Welty: 14 ist es gewesen, das Mädchen aus Eberswalde in Brandenburg, das womöglich von einem jungen Mann erstochen wurde, den sie im Internet kennengelernt hat. Das Internet ist jetzt auch Ort der Trauer um das Opfer geworden. Auf einer Gedenkseite brennen bisher mehr als 1200 virtuelle Kerzen. - Mit dem Internet als solchem beschäftigt sich der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger von der Fachhochschule der Polizei in Brandenburg. Guten Morgen!
Thomas-Gabriel Rüdiger: Ja, schönen guten Morgen.
Welty: Wenn Sie die Risiken gegeneinander abwägen, ist der virtuelle Kontakt grundsätzlich gefährlicher als der reale, weil zum Beispiel potenzielle Straftäter wissen, wo ihre potenziellen Opfer zu finden sind?
Rüdiger: Man muss sagen, ob jetzt das eine gefährlicher ist als das andere, ist schwierig zu sagen. Es sind unterschiedliche Formen der Risiken. Es ist natürlich nun mal so, dass man im Internet heutzutage im Prinzip ohne jede Kontrolle und ohne jede Altersüberprüfung und Personenidentifizierung ist - man muss gar nicht wissen, mit wem man wirklich kommuniziert – und dort mit Leuten in Interaktion treten kann. Das sind Aspekte, die natürlich eine Gefährlichkeit hervorrufen können, und das sind Aspekte, über die man auch als Gesellschaft nachdenken muss, ob man das überhaupt so möchte, oder ob man dort nicht vielleicht auch Ansätze im Kinder- und Jugendmedienschutz und in den Sensibilisierungselementen haben könnte, um solche Gefahren zu minimieren.
Welty: Welche Ansätze sind das?
"Unser deutscher Kinder- und Jugendmedienschutz ist etwas veraltet"
Rüdiger: Sie müssen sich eins vorstellen: Unser deutscher Kinder- und Jugendmedienschutz ist im Prinzip etwas veraltet, wenn man das so sagen darf, und der basiert nur darauf, dass im Internet in sozialen Medien, also Programmen, die eine Kommunikation und Interaktion ermöglichen, geprüft wird, ob diese Programme gewalthaltig sind, ob sie eventuell Pornographie beinhalten, und gegebenenfalls noch, ob sie extremistische Symbole beinhalten. Es wird aber nicht geprüft, ob zum Beispiel Programme, die für Kinder ausgelegt sind oder für Minderjährige, wer dort mit wem überhaupt in Kontakt treten kann. Es wird auch nicht geprüft, ob jemand das überwacht, wie die Personen miteinander kommunizieren. Und an diesen Aspekten sollte ein Kinder- und Jugendmedienschutz ansetzen.
Ich bringe Ihnen vielleicht ein Beispiel, weil das so mein Hauptfeld ist: Online-Spiele für Kinder. Es gibt nicht mal eine Alterseinstufung, die 14 Jahre beinhaltet, sondern es gibt nur Alterseinstufungen bei Computerspielen null, sechs, zwölf, 16, 18. Das ist das Problem, weil nämlich, als diese Altersstufen geschaffen wurden, es diese Kommunikationsmöglichkeiten noch nicht gab. Da sind Eltern natürlich auch nicht sensibilisiert. Wenn ein Spiel ab null Jahren freigegeben wird und darüber kann man kommunizieren und Eltern kennen sich nicht damit aus, dann kaufen sie das Spiel und sagen sich, sehr schön, das ist ab null Jahren. Da müsste man zum Beispiel ansetzen.
Welty: Oft reden Kinder ja gar nicht darüber, was ihnen im Netz widerfährt, weil es ihnen peinlich ist. Wann sollten Eltern aufmerksam werden, wann sollten sie aufhorchen?
Rüdiger: Dazu muss man natürlich sagen: Was ich jetzt sage, das kann für relativ viel gelten. Es ist so, wenn sich ein Kind zurückzieht, wenn ein Kind Verhaltensauffälligkeiten zeigt, mit den Eltern nicht mehr darüber spricht. Aber man muss das auch realistisch sagen: Das kann auch einfach sein, dass das Kind in die Pubertät gekommen ist. Das ist natürlich schwierig. Aber es könnte auch ein Zeichen sein. Was ich persönlich für besonders wichtig erachte in diesem Zusammenhang ist einfach, dass Eltern beginnen, sich mit dieser Medienwirklichkeit der Kinder heutzutage auseinanderzusetzen, denn wenn sie sich damit auseinandersetzen, können sie auch sehr viel kompetenter und vertrauensvoller über Risiken mit den Kindern reden und sie sensibilisieren. Das halte ich für das wirklich Relevante in diesem Zusammenhang.
Welty: Und wie sollen Eltern das machen?
"Eltern sind verpflichtet, sich damit zu beschäftigen"
Rüdiger: Ja, das ist ein guter Punkt. Und zwar: Wenn man ehrlich ist, ist das so, dass Eltern selber diese Programme einfach mal nutzen sollten. Das ist ein gutes Beispiel. Wenn zum Beispiel ein Kind Online-Spiele spielt – und ich betone immer diese Online-Spiele, weil nämlich es Statistiken gibt, die klar sagen, dass 90 Prozent aller Kinder mit Online-Spielen ihre ersten Online-Erlebnisse haben -, dann sollen die Eltern das einfach spielen. Sie müssen sich das vielleicht als einen guten Vergleich mit dem Straßenverkehr vorstellen. Wir Eltern können im Straßenverkehr unsere Kinder sensibilisieren, weil wir den Straßenverkehr kennen.
Wir nehmen sie an die Hand und sagen, guck nach links, guck nach rechts, steig nicht zu Fremden ins Auto, Rot und Grün, dann kannst du gehen oder dann musst du stehen. Das können wir, weil wir damit aufwachsen, weil wir selber im Straßenverkehr unterwegs sind und das nutzen. Jetzt haben wir das Problem, dass im Internet mit den sozialen Medien die Kinder das nutzen, die meisten Eltern aber nicht in derselben Form. Das heißt, die Eltern können dementsprechend nicht als Ansprechpartner für die Kinder fungieren, und das muss wieder umgekehrt werden. Eltern sind aus meiner Sicht, wenn man ehrlich ist, dazu verpflichtet, sich damit zu beschäftigen, um ihren Kindern als Ansprechpartner zu dienen.
Welty: Halten Sie die Online-Spiele womöglich für das größere Risiko als die sozialen Netzwerke wie zum Beispiel Facebook?
Rüdiger: Ja das ist eine schwierige Sache, weil es gibt unterschiedliche Risiken natürlich, die man hat. Aber ich persönlich gehe davon aus, dass gerade die Programme, die für Kinder, wirklich für Kinder, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf Jahre gemacht wurden und dementsprechend optisch auch auf eine Art Knuddeleffekt, eine schöne Zuckerwatten-Grafik setzen, dass die zu einer weiterhin minimierten Sensibilisierung bei den Eltern führen, so dass die noch weniger darauf achten, was darin passiert. Diese Tarnung im Zusammenhang damit, dass niemand überprüft, wer diese Spiele wirklich nutzt, das halte ich für wirklich relevant, und ich kenne viele Beispiele, wie gerade diese Spiele auch durch Sexualtäter genutzt werden.
Welty: Der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger forscht über die Risiken des Internets für Kinder und Jugendliche und betreibt Aufklärung auch hier in Deutschlandradio Kultur. Danke dafür!
Rüdiger: Ja, vielen Dank.
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