Geflecht aus Leidenschaft und Verrat
In seinem Ende des 19. Jahrhunderts erschienenen Roman "Tine" strickt der Schriftsteller Herman Bang ein dichtes Gewebe aus Krieg, Liebe und Grauen, aus gelähmtem Verstand und wechselhaften Gefühlen. Das Buch wurde sehr sprachfein neu ins Deutsche übersetzt.
"Fern im dänischen Norden ein Bruder", hat Thomas Mann einmal über Hermann Bang gesagt und diesen großen Erzähler zu Recht bewundert. Der schreibt über stille, vergebliche Liebespein, über seelenleere Protzbürger und immer wieder über Menschen am Rande der Gesellschaft, denen das Glück nicht gelingen mag. Bangs Sympathie gilt den Beladenen, die in den Umständen oder auch im eigenen Gemüt gefangen sind.
In dem nun von Aldo Keel sehr sprachfein neu übersetzten Roman "Tine", der 1903 zum ersten Mal auf deutsch erschien, hat Bang der leidenden Kreatur ein leidenschaftliches Buch gewidmet.
Wir sind im Krieg. Im Jahr 1864, als Dänemark von Preußen und Österreich vernichtend geschlagen wurde. Die Handlung hat Bang auf die kleine Insel Alsen gelegt, von der er stammt. Dort werden im Schulhaus und in der Forstmeisterei zunächst die lärmenden und mit den Mägden schäkernden Truppen einquartiert und dann die Verwundeten hineingebracht, die Sterbenden, mit denen die Todesfurcht und die schauerliche Stille der Niederlage, des Ruins und der Verzweiflung ins Dorf ziehen. Und die Erkenntnis der vernichtenden Sinnlosigkeit des Krieges. Denn auch wer nicht stirbt, bleibt versehrt, demoralisiert, bis ins Mark geschwächt.
1889 hat Bang dieses bedrängende Buch geschrieben. Es ist, wie Keel in seinem Nachwort schreibt, der erste nordische Antikriegsroman. In dem nichts beschönigt, nichts heroisch besungen wird. Und dort, wo Patriotismus und Protestantismus aufscheinen, werden sie als hohle Gefäße entlarvt.
Tine, Titelheldin des Romans, ist die Tochter des ehemaligen Küsters, die wir in Friedenszeiten kennenlernen. Sie hat sich mit der Gattin des Forstmeisters befreundet, spielt mit dem Kind und umsorgt die verwöhnte, kapriziöse Frau. Den Forstmeister bewundert sie und fürchtet ihn. Doch spürt man die Anziehung, die Bang nicht benennt, aber zeigt. Wenn die beiden nebeneinander im Abend stehen, wenn der Mann das junge Mädchen nach Hause begleitet.
Bang ist ein meisterlicher Könner der angedeuteten Spannungen. Eine kleine Bewegung, eine ungewohnte Stimmlage – er beschreibt nicht das Gefühl, sondern seine verräterischen Anzeichen.
Dann bricht der Krieg aus. Gattin und Sohn werden ins sichere Kopenhagen expediert. Forstmeister Berg und Tine bleiben zurück. Und wie es so ist, wenn existentielle Gefahr droht, und die Maßstäbe des Lebens ver-rückt werden, geschehen unerhörte Dinge. So auch hier. Berg holt sich das breithüftige Mädchen, an dem er das Gesunde und Kräftige so begehrt, in sein Bett. Und kaum hat er sein Verlangen gestillt, weiß er gar nicht mehr, warum er sie je wollte. Auch er muss nun in den Kampf. Zwischen zwei Schlachten schreibt er einen heißen Liebesbrief an seine Frau - den Tine entdeckt. Für die beiden gibt es keine Zukunft. Ja nicht einmal Leben.
Bang hat ein dichtes Gewebe geflochten aus Krieg, Liebe und Grauen. Aus Leidenschaft und Verrat. Aus gelähmtem Verstand und wechselhaften Gefühlen. Aus nationaler und persönlicher Überforderung.
Als Claude Monet und Herman Bang sich 1895 in Kristiania begegneten, so erzählt es Keel, soll der Maler dem Dichter bescheinigt haben, dass "Tine als impressionistisches Kunstwerk mit zum Höchsten gehört".
Besprochen von Gabriele von Arnim
Herman Bang: Tine
Manesse Verlag, München 2011
320 Seiten, 19,95 Euro
In dem nun von Aldo Keel sehr sprachfein neu übersetzten Roman "Tine", der 1903 zum ersten Mal auf deutsch erschien, hat Bang der leidenden Kreatur ein leidenschaftliches Buch gewidmet.
Wir sind im Krieg. Im Jahr 1864, als Dänemark von Preußen und Österreich vernichtend geschlagen wurde. Die Handlung hat Bang auf die kleine Insel Alsen gelegt, von der er stammt. Dort werden im Schulhaus und in der Forstmeisterei zunächst die lärmenden und mit den Mägden schäkernden Truppen einquartiert und dann die Verwundeten hineingebracht, die Sterbenden, mit denen die Todesfurcht und die schauerliche Stille der Niederlage, des Ruins und der Verzweiflung ins Dorf ziehen. Und die Erkenntnis der vernichtenden Sinnlosigkeit des Krieges. Denn auch wer nicht stirbt, bleibt versehrt, demoralisiert, bis ins Mark geschwächt.
1889 hat Bang dieses bedrängende Buch geschrieben. Es ist, wie Keel in seinem Nachwort schreibt, der erste nordische Antikriegsroman. In dem nichts beschönigt, nichts heroisch besungen wird. Und dort, wo Patriotismus und Protestantismus aufscheinen, werden sie als hohle Gefäße entlarvt.
Tine, Titelheldin des Romans, ist die Tochter des ehemaligen Küsters, die wir in Friedenszeiten kennenlernen. Sie hat sich mit der Gattin des Forstmeisters befreundet, spielt mit dem Kind und umsorgt die verwöhnte, kapriziöse Frau. Den Forstmeister bewundert sie und fürchtet ihn. Doch spürt man die Anziehung, die Bang nicht benennt, aber zeigt. Wenn die beiden nebeneinander im Abend stehen, wenn der Mann das junge Mädchen nach Hause begleitet.
Bang ist ein meisterlicher Könner der angedeuteten Spannungen. Eine kleine Bewegung, eine ungewohnte Stimmlage – er beschreibt nicht das Gefühl, sondern seine verräterischen Anzeichen.
Dann bricht der Krieg aus. Gattin und Sohn werden ins sichere Kopenhagen expediert. Forstmeister Berg und Tine bleiben zurück. Und wie es so ist, wenn existentielle Gefahr droht, und die Maßstäbe des Lebens ver-rückt werden, geschehen unerhörte Dinge. So auch hier. Berg holt sich das breithüftige Mädchen, an dem er das Gesunde und Kräftige so begehrt, in sein Bett. Und kaum hat er sein Verlangen gestillt, weiß er gar nicht mehr, warum er sie je wollte. Auch er muss nun in den Kampf. Zwischen zwei Schlachten schreibt er einen heißen Liebesbrief an seine Frau - den Tine entdeckt. Für die beiden gibt es keine Zukunft. Ja nicht einmal Leben.
Bang hat ein dichtes Gewebe geflochten aus Krieg, Liebe und Grauen. Aus Leidenschaft und Verrat. Aus gelähmtem Verstand und wechselhaften Gefühlen. Aus nationaler und persönlicher Überforderung.
Als Claude Monet und Herman Bang sich 1895 in Kristiania begegneten, so erzählt es Keel, soll der Maler dem Dichter bescheinigt haben, dass "Tine als impressionistisches Kunstwerk mit zum Höchsten gehört".
Besprochen von Gabriele von Arnim
Herman Bang: Tine
Manesse Verlag, München 2011
320 Seiten, 19,95 Euro