Chaos am Berliner LaGeSo verlagert sich auf das Sozialgericht
Keine Unterkunft, kein Geld, kein Zugang zu medizinischer Versorgung: Immer mehr Geflüchtete wenden sich an das Berliner Sozialgericht und stellen Eilanträge. Oft gelingt es ihnen so, eine Bearbeitung ihres Falls beim Landesamt für Gesundheit zu erzwingen.
"Kaiser, ja Kaiser, Kaiser-Friedrich Straße 55, hast du die Adresse auch hier?"
Im Flur des Berliner Sozialgerichts versucht ein Flüchtling aus Afghanistan einen Fragebogen auszufüllen. Zusammen mit ungefähr 20 weiteren ist er hier, um einen Eilantrag einzureichen. Ohne die Unterstützung freiwilliger Helfer ginge das nicht. Einer von Ihnen ist Andreas Tölke. Er hat die Initiative "Be an Angel" gegründet und hilft jetzt Flüchtlingen und Helfern zum Beispiel bei der Durchsetzung ihrer Rechte:
"Du gehst da rein, stellst den Eilantrag, jetzt Kostenübernahme, jetzt Winterkleidung. Das sind nur aktuelle Sachen, die in einen Eilantrag aufgenommen werden. Okay, und was mache ich dann als Anschrift für die, habe ich ja gar nicht. Hast du eine Handynummer, die funktioniert. Ich kann meine angeben. Prima, du bist mit denen in Kontakt, dann gib deine Handynummer an."
Teils seit Monaten ohne Geld und Unterkunft
Zum Teil seit Monaten haben die Flüchtlinge, die heute hier sind, kein Taschengeld bekommen, haben keine Unterkunft und keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung – dafür jede Menge Termine beim LaGeSo, der Berliner Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge des Landesamtes für Gesundheit und Soziales. Dieser Syrer hat Glück gehabt, er wohnt inzwischen bei einer deutschen Familie, nun will er Landsleuten helfen:
"Ich bin mit einem Freund aus dem Heim hier. Er hat Riesenprobleme mit seinen Papieren. Er hatte schon 17 Termine am LaGeSo, vergeblich. Er hat dort geschlafen, im Schnee, in der Kälte, im Regen, jetzt ist seit zwei Tagen krank, ich weiß nicht mehr weiter."
Das Sozialgericht als Mahnbüro für ausbleibende Leistungen
Für immer mehr Flüchtlinge ist das Sozialgericht die letzte Hoffnung. Um 800 Prozent haben die Flüchtlingsfälle dorrt in den vergangenen Monaten zugenommen. Im September vergangenen Jahres waren es 25, im Dezember schon über 200, jetzt sind schon über 500 Fälle hier registriert, sagt Marcus Howe, Richter und Sprecher beim Berliner Sozialgericht:
"Die schwierige Arbeitssituation am LaGeSo wirkt sich unmittelbar auf die Belastung auch am Sozialgericht aus. Weil die Flüchtlinge am LaGeSo keinen Termin bekommen, kommen sie zum Sozialgericht, um hier ihre Rechte durchzusetzen. Da Sozialgericht wird zu einer Art Mahnbüro. Andere wichtige Fälle bleiben liegen. Wir haben ja viel mit Sozialhilfe, mit Renten, mit Krankenversicherungsschutz zu tun. Das sind natürlich auch alles Kläger, die dringend auf eine Entscheidung warten."
Eilanträge werden am Sozialgericht vorgezogen
Aber Eilanträge werden vorrangig behandelt. Durchschnittlich einen Monat braucht das Sozialgericht, manchmal geht es auch viel schneller. Fast immer wird im Sinne der Flüchtlinge entschieden, sagt Andreas Tölke:
"Der Richter schickt einen Beschluss, wenn er den Leistungen stattgibt, an das LaGeSo und an den geflüchteten Menschen. Darauf schickt das LaGeSo an den Geflüchteten eine Terminvergabe, die dann ganz oft wegen einer Kompetenzüberschreitung der Security nicht eingehalten werden kann. Wir kümmern uns am LaGeSo vor Ort mit Leuten darum, dass Termine möglich sind."
Was schwer genug ist, denn selbst ein Gerichtsbeschluss beeindruckt die Mitarbeiter des LaGeSo oft wenig, klagt eine Helferin. Andreas Tölke versucht dann, den Zugang zum LaGeSo mit Hilfe der Polizei zu erzwingen oder kehrt wieder zum Sozialgericht zurück, das dann gegen das LaGeSo ein Zwangsgeld verhängt. Eine Zusatzbelastung für die Mitarbeiter am Sozialgericht, die eigentlich einen rieseigen Aktenberg abzuarbeiten haben, der aus einer großen Zahl von Klagen gegen Hartz-IV-Beschlüsse entstanden ist. Noch sind die Richter und Justizangestellten am Sozialgericht hochmotiviert, aber die Zahl der Eilanträge von Flüchtlingen wächst jeden Tag.