Empirie des Glücks
Immer häufiger befassen sich Ökonomen und Philosophen mit der Frage nach dem Glück ganzer Gesellschaften. Die Autorin Katharina Döbler hält davon wenig. Denn Glück sei nicht mess- und quantifizierbar.
Alle denken darüber nach, was es denn nun sei, das Glück: Ist es etwas Flüchtiges oder etwas Grundsätzliches? Und wie ist es zu bekommen? Durch Geld? Psychologisches Training? Religion? Was tun, um es zu haben, und zwar möglichst viel davon?
Fast im Wochentakt werden Studien veröffentlicht, die das Glück empirisch zu erfassen, zu messen und zu quantifizieren versuchen. Und je nach Ansatz und nach Interessengruppen sind die glücklichsten Menschen die, die leichtes Übergewicht haben oder die verheiratet sind; solche, die in den besseren Vororten von Hamburg wohnen oder im armen Himalajastaat Bhutan, wo das Bruttoinlandsglück als Staatsziel in der Verfassung festgeschrieben ist.
Das Glück soll auf alle möglichen Arten in identifizierbare und beschreibbare Faktoren zerlegt werden – mit der Hoffnung, dass es damit irgendwie herstellbar wird. Es gibt ja Machbarkeitsstudien für so vieles, warum also nicht auch für das Glück?
Freunde und Familie sind "Sozialkapitalfaktoren"
Der Bremer Glücksforscher Christian Kroll träumt davon, auf den Grundlagen der Optimierungsforschung systematisch Glücks- und Handlungsstrategien zu entwickeln. In der Sprache seines Fachs sind etwa Freunde und Familie "Sozialkapitalfaktoren", denn alles wird, um berechenbar zu werden, in Zahlen umgedacht, respektive Geldsummen, es geht ja um "Kapital". Der "Effekt eines Ehepartners" etwa kann sich da auf sechsstellige Summen belaufen.
Dieses Vorgehen entspricht genau der Art Fortschrittsglauben, wie er mit den Industriegesellschaften so eng verknüpft ist: Der Glaube, dass alles auf rationalem Wege immer noch und immer mehr zu verbessern sei.
Dieser Glaube brachte schon Ende des 18. Jahrhunderts den bemerkenswerten Satz hervor: "Der einzig und allein gerechte und einzig und allein zu rechtfertigende Endzweck des Staates ist: Das größte Glück der größten Zahl." Kaum eine Formulierung könnte weiter entfernt sein vom individuellen, intimen und flüchtigen Empfinden des Glücks.
Natürlich haben Philosophen und Theologen zu allen Zeiten über das Wesen und die Ursachen des Glücks nachgedacht. Aber Theoretiker tun das anders als Pubertierende oder Ehepaare oder Todkranke, anders als menschliche Einzelwesen.
Don't worry, be happy
Der alte Stoiker Epiktet hat seinen Mitmenschen geraten, sich keine Sorgen zu machen über Dinge, die "nicht in unserer Macht" liegen, wie "unser Leib, Besitz, Ehre, Amt, und alles was nicht unser Werk ist."
Ähnliches predigte der zoroastrische Heilige Maher Baba, dessen letzte Worte wiederum der Jazzmusiker Bobby McFerrin in einen Popsong überführte: Don't worry, be happy.
Strahlender Fatalismus also. Man könnte auch sagen: Gelassenheit. Aber das, was Epiktet noch außerhalb unserer Macht verortete, liegt inzwischen voll in der Reichweite von Optimierungstechniken.
Wie bizarr die zielgerichtete Einflussnahme etwa auf den Zustand des Leibes aussehen kann, davon zeugt der ungewollt satirische Körperzellen-Rock eines gewissen Michael Scheickl: "Jede Zelle meines Körpers ist glücklich, jede Körperzelle fühlt sich wohl. Jede Zelle, an jeder Stelle (...) ist voll gut drauf." Man kann sich auf YouTube ansehen, wie Menschenmassen solches allen Ernstes singen - und bekommt einen Eindruck vom Grauen kommerzieller Glücksproduktion.
Falls Sigmund Freud recht hat, und "die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, (...) im Plan der Schöpfung nicht vorhanden" ist – dann greift der Mensch eben zur Selbsthilfe. Das Ziel der Glücksforschung ist, wie bei jeder Forschung, letztlich die Verwertung. An der Herstellung von Glücksbedingungen aller Art wird in immer größerem Maßstab gearbeitet – es gibt einen Markt dafür, denn die Nachfrage ist unendlich.
Katharina Döbler, Journalistin und Autorin in Berlin, Redakteurin bei "Le Monde diplomatique", schreibt für die "Zeit" und den Rundfunk, ein Roman ist 2010 erschienen, "Die Stille nach dem Gesang".