Gegen das Erstarren des demokratischen Geistes

30.11.2006
Von Zeit zu Zeit sollte ein wackerer Demokrat einen Autor wie Nicolás Gómez Dávila zur Hand nehmen, um sich sein sozial befriedetes Gehirn durchblasen zu lassen.
Der kolumbianische Aphoristiker verhindert zuverlässig das Erstarren des demokratischen Geistes zur Ideologie und ruft den Pragmatismus von Churchills berühmtem Aperçu in Erinnerung: "Demokratie ist die schlechteste Regierungsform - außer all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind." Dass die Demokratie Ideologie werden, ja zivilreligiöse Züge annehmen kann, sagt dem Alteuropäer ein Blick über den Atlantik. Nicolás Gómez Dávila hatte zeitlebens die chaotischen Verhältnisse seines Heimatlandes Kolumbien vor Augen – und offenbar treten an den weniger gut funktionierenden Beispielen der demokratischen Staatsform deren bisweilen zweifelhaften Fluchtpunkte wie in einer Karikatur besonders deutlich zu Tage, wie an der brillanten, demokratiefreindlichen Aphoristik Gómez Dávilas festzustellen ist.

Die Staatsform, die sich Gómez Dávila aus Gram über die hässliche moderne Welt herbeiphantasiert, sieht so aus: "Persönlich halte ich nur eine Welt für legitim, deren Herrschaft der römische Papst und der deutsche Kaiser auf symmetrischen Thronen ausüben." Manche mögen das skurril finden, aber eine solche Position bietet – so weltfremd sie daherkommt – einen verlässlichen archimedischen Punkt zur Navigation im turbulenten Kosmos der modernen Welt, die Gómez Dávila kategorisch und mit rhetorisch hochkarätigen Mitteln in Grund und Boden verdammt. Sein Katholizismus, der reaktionär bis zum Anschlag, bis zur Häresie ist, und der für die post-Vativcanum-II-Phase der heiligen Kirche nur Verachtung übrig hat, ist trotz allem verschrobenen Nonkonformismus ein legitimer und funktionierender Beobachtungsposten.

Gómez Dávila, 1913 geboren, 1994 gestorben, führte das Leben eines finanziell sorglosen Privatgelehrten. Er verreiste nie. Nur einmal 1949, besuchte er Frankreich, das Land, in dem er seine Kindheit verbracht hatte, und pflegte ansonsten seine zuletzt 30 000 Bände umfassende Bibliothek. Gómez Dávila wollte kein Schriftsteller im eigentlichen Sinne sein, er publizierte neben einigen Essays ausschließlich Bände mit Aphorismen. Gómez Dávila, bislang fast immer noch ein Geheimtipp, ist der Hausheilige von bekennenden "Reaktionären" wie Martin Mosebach, der ein hervorragendes Vorwort zu diesem bibliophilen Band der "Anderen Bibliothek" beigesteuert hat, oder Botho Strauss. Wenn diese von Reaktionär reden, führen sie Gómez Dávila als Gewährmann an. Ein Reaktionär ist nicht wirklich rechts. Ein Aphorismus lautet: "Wir Reaktionäre sind unglückselige Menschen: Die Linken stehlen uns die Ideen und die Rechten das Vokabular." Aber auch ein Reaktionärer hat Utopien: "Jene, die ohne jede Illusion, geduldig, zäh und ausdauernde gegen die heutige Welt konspirieren, tragen vielleicht zwischen den Falten des Lumpenkleides das Schicksal von morgen." Die Reaktionäre bilden ein Netzwerk durch die Zeiten. Wobei einen gewissen Selbstwiderspruch darstellt, dass die besten Zeiten immer die vergangenen sind.

Natürlich ist Gómez Dávila auch nicht liberal, auch wenn er mit unnachahmlicher Arroganz schreibt: "Die höchste reaktionäre Weisheit würde darin bestehen, selbst für den Demokraten einen Platz zu finden." Die liberale Welt ist für ihn "ein Schweinestall, in dessen Morast der Mensch von heute sich fröhlich wälzt." Eigentlich ist "die Phantasie der einzig bewohnbare Platz in der Welt". Sein Motto ist: "Mit guter Laune und Pessimismus ist es weder möglich, sich zu irren, noch, sich zu langweilen".

Gómez Dávila sieht die Verlogenheiten der Linken, die sich nie gänzlich ihrer revolutionären Ambitionen entledigen und immer einen Massenexekutor in sich tragen.

Er sieht im Nazismus keine rechte Ideologie, sondern einen hyper-perversen Sozialismus. Der Reformen der katholischen Kirche seit dem Zweiten Vaticanum erzeugen bei Gómez Dávila nur Hohn: "Der progressive Katholik sammelt sich seine Theologie aus dem Müllhaufen der protestantischen Theologie zusammen." Die Nächstenliebe als höchster moderner christlicher Wert, hält er für theologisch überschätzt gegenüber der Lehre von der Sündhaftigkeit von Welt und Menschen.

Gómez Dávila ist ein begnadeter Aphoristiker. Man kann und sollte andere Standpunkte haben als er. Aber der sprühenden Intelligenz und der stilistischen Eleganz seiner Aphorismen wird sich kaum einer entziehen können, der ab und zu mal sein Weltbild in die Ecke stellen will, um für die Zeit der Lektüre einmal einen erfrischend anderen Standpunkt einzunehmen. Dem Schriftsteller und Herausgeber Martin Morsebach haben wir es zu verdanken, dass wir nun über eine zuverlässige schön ausgestattete Ausgabe der Gómez Dávila’schen Aphorismenkunst verfügen. Demokratie wird vitalisiert, wenn sie es mit Gegnern eines geistigen Kalibers von Gómez Dávila zu tun bekommt. Sie wird es überleben, wie hoffentlich die Nächstenliebe die Lehre von der gefallenen Welt.

Rezensiert von Marius Meller

Nicolás Gómez Dávila: Das Leben ist die Guillotine der Wahrheiten. Herausgegeben und mit einem Essay versehen von Martin Mosebach. Aus dem Spanischen von Thomas Knefeli, Günter Maschke, Michaela Meßner und Günter Rudolf Sigl. Eichborn Verlag (Die Andere Bibliothek), 318 Seiten, 28,50 Euro.