Bundeswehrhelfer im Einsatz in Erbil
Die Bundeswehr hilft den irakischen Kurden im Kampf gegen den "Islamischen Staat" mit Feldküchen, Zelten, Minensuchgeräten, Fahrzeugen und auch Waffen. Wie sie zu bedienen sind, zeigen deutsche Ausbilder den Perschmerga.
Lebhaftes Treiben auf dem Bazar von Erbil. Anders im vergangenen Sommer. Da blieben zeitweilig die Geschäfte zu, viele Bewohner von Erbil flohen in die nahen Berge. Die Terroristen der Organisation, die sich "Islamischer Staat" nennt, marschierten auf Erbil. Es drohte ein Angriff auf eine Millionenstadt und auf ein Symbol: Daher herrschte vergangenen Sommer unter den Menschen von Erbil die nackte Panik, als die IS-Terroristen bis auf 30 Kilometer herangerückt waren. Erst die Luftschläge der Amerikaner konnten den Vormarsch stoppen.
Heute ist die Stimmung in Erbil wieder entspannt. Das mag auch daran liegen, dass die Kurden in ihrem Kampf gegen den IS vom Ausland unterstützt werden.
Ein Fallschirmjäger aus Deutschland steht vor einer Gruppe Peschmerga, Angehörigen der irakisch-kurdischen Streitkräfte. An diesem Vormittag erklärt der Fallschirmjäger den Kurden mittels Dolmetscher die Grafik, die ein Overhead-Projektor an die weiße Wand wirft: die Funktionsweisen eines Sturmgewehres Typ G-36 nebst Zielfernrohr.
Major Robert Habermann, der Presseoffizier:
"Die Einweisungstruppe, wie wir sie jetzt hier sehen, das sind Offiziere und Unteroffiziere. Und die sollen, das ist deren Auftrag, erfahren, wie sie zum Beispiel mit einem G-36 umgehen. Oder mit einem Nachtsichtgerät. Und dieses Wissen tragen die dann zu ihren Verbänden und zeigen es ihren Kameraden."
Das Programm ist umfangreich. Nach der theoretischen Einweisung in das G-36 am Vormittag stehen nachmittags praktische Übungen auf dem Programm: Wie wird die Waffe auseinandergenommen, wie wird sie gereinigt, wie wieder zusammengesetzt, geladen, gesichert.
"Und von der Position von hier nach oben wird mit dem Daumen... und der Zeigefinger geht an den Abzug..."
Für die Deutschen ist es ein vergleichsweise einfacher Einsatz, der jedoch umstritten ist. Kritiker sagen, dass er nicht verfassungsgemäß ist, weil die Bundeswehr laut Grundgesetz nur ausrücken darf, wenn zum Beispiel ein Mandat von NATO, UN oder EU vorliegt. Oder, wie es offiziell heißt, dass die Bundeswehr innerhalb eines "Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit" handeln muss.
Der Irak-Einsatz wird jedoch von einer losen Allianz von 60 Staaten getragen. Die Streitfrage ist also: Ist die Anti-IS-Allianz ein "System gegenseitiger kollektiver Sicherheit"? Oder nicht? Klagen wird voraussichtlich niemand. Die beiden Oppositionsfraktionen haben keine rechtliche Handhabe. Für ein so genanntes Normenkontrollverfahren verfügen sie nicht über die notwendigen 25 Prozent der Stimmen.
Damit könnten nur noch direkt Betroffene Klage einreichen. Das wären die Soldaten, die im Irak waren oder sind. Aber: Wo kein Kläger, da kein Richter. Die Soldaten nahe Erbil äußern sich nicht zu juristischen oder politischen Überlegungen; sie konzentrieren sich auf die Einweisung, auf technische Details.
"Gut, meine Herren. Wir sind am Ende des ersten Einweisungstages des Gewehrs G-36."
Der leitende Leutnant ist am Ende des ersten Einweisungstages mit seinen 20 Peschmerga zufrieden:
"Aufgrund der Tatsache, dass die Gruppe bereits kampferfahren ist und Fronterfahrung besitzt, gestaltet sich die Einweisung hier relativ einfach."
Einschießen der deutschen Gewehre
Tags drauf, auf dem Schießübungsplatz der Peschmerga, in der Nähe von Erbil. Drei kurdische Kämpfer liegen auf dem Boden und schießen drei Mal auf eine ihnen zugewiesene Zielscheibe. Danach gehen sie zusammen mit "ihrem" deutschen Einweiser die einhundert Meter zu der Zielscheibe und schauen, ob sie ihre Schüsse richtig platzieren konnten. Immer und immer wieder wiederholt sich die Prozedur. Die aus Deutschland gelieferten Gewehre müssen eingeschossen werden. Die Luft ist klar, die Sonne scheint, allein der kräftige Wind könnte für ein leichtes Abdriften der Geschosse sorgen. Dafür läuft es jedoch ganz gut. Nur ein Fallschirmjäger, der den Peschmerga Ahmed betreut, ist nicht zufrieden:
"Bisher nix Erfreuliches. Nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe."
Das Gewehr muss von Grund auf justiert werden. Der Fallschirmjäger erklärt Ahmed, wie das geht; danach sitzen die Schüsse des Peschmerga. Die Arbeit an der Waffe – das ist die Aufgabe der Fallschirmjäger. Über Fehler, die den Peschmerga sonst unterlaufen, wenn sie nicht direkt mit dem Gewehr hantieren, blicken sie hinweg.
Zum Beispiel, wenn die Kurden auf dem Bauch liegen, aber ihre Füße nicht flach auf dem Boden abwinkeln, sondern ihre Fersen in die Luft ragen lassen. Ein leichtes Ziel für jeden feindlichen Scharfschützen. Der leitende Leutnant:
"Ja, die Lage des Schützen ist in der Tat unzweckmäßig, aber wir müssen bedenken, dass wir hier immer noch die Einweisung durchführen – und noch nicht in der Ausbildung angelangt sind."
Ausbilden, nicht mehr nur einweisen – ein Mandat, das gerade im Bundestag verabschiedet wurde. Bis zu einhundert deutsche Soldaten sollen fortan in Erbil stationiert werden – um auszubilden und zu beraten. Außerdem geht es um "bedarfsweise Koordination und Durchführung von Lieferungen humanitärer Hilfsgüter und militärischer Ausrüstung in den Nordirak". Also sollen gegebenenfalls weitere Waffen geschickt werden. Da ist das Wissen der deutschen Soldaten, die heute in Erbil sind, wichtig. Major Robert Habermann, der Presseoffizier:
"Die Offiziere, die hier in diesem kleinen Stab sind, haben unter anderem natürlich die Aufgabe, genau hinzuhören, was die kurdische Seite sich wünscht. Aber das muss in Deutschland politisch bewertet werden, aber natürlich auch mit militärischem Sachverstand. Und dann wird entschieden, ob und wie und in welcher Art hier weiter unterstützt wird."
Der Sprecher des Peschmerga-Ministeriums, also des Verteidigungsministeriums von Irakisch-Kurdistan, ist auf den Platz gekommen, auf dem seine 20 Peschmerga mit den Deutschen üben. General Helgurd Ali ist zufrieden mit dem, was er sieht, sagt aber auch, was sich die Kurden von den Deutschen wünschen:
"Das, was geliefert wurde, ist selbstverständlich gut, weil es uns gefehlt hat", sagt der General. "Gut, aber zu wenig." Zum Beispiel die Panzerabwehrwaffe Milan. Sie sei hervorragend für den Kampf der Kurden gegen den IS. Aber die 30 Waffen und die 500 dazugehörigen Geschosse reichten nicht, es müssten mehr Milan kommen.
Eine Liste mit dem, was sich die Kurden wünschen, sei Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen übergeben worden.
Die Waffen sollen bei den Kurden bleiben
Kritik daran, dass die Mission ausgeweitet wird, kann Helgurd Ali nicht nachvollziehen. So weist er zurück, dass deutsche Waffen über die Kurden in die falsche Hände geraten könnten – zum Beispiel in die der PKK, jener türkisch-kurdischen Partei, die in Deutschland verboten ist.
Der General betont, dass zwischen der Bundesregierung und der Regionalregierung von Irakisch-Kurdistan ein Vertrag geschlossen wurde. Der verpflichtet die Kurden dazu, dass die Waffen bei ihnen bleiben. Wie Munition seien sie deshalb in der Waffenkammer eingeschlossen, bis sie zum Einsatz ausgegeben würden. Um Missbrauch vorzubeugen. General Helgurd Ali schließt aber nicht aus, dass Waffen gefallener Peschmerga in die Hände des Feindes geraten.
Solange keine ausländischen Soldaten Krieg gegen den IS führen, bräuchten die irakischen Kurden Unterstützung, sagt General Helgurd Ali. Daher hofft er, dass bald mehr deutsche Hilfe nach Erbil kommt. Diese Hoffnung teilen die meisten Zivilisten, ganz normale Bewohner von Erbil.
Im Bazar von Erbil herrscht das übliche rege Treiben. Von der Panik, die hier im vergangenen Sommer herrschte, als die IS-Kämpfer auf die Stadt vorrückten, ist nichts mehr zu spüren. Aber die Menschen sagen ganz klar, dass die Kurden den Kampf gegen den IS verlören, wenn sie keine Hilfe aus dem Ausland bekämen. Sie bräuchten mehr Ausbilder und schwerere Waffen wie zum Beispiel Panzer und Milan-Raketen.
Einhellig sagen das Kurden in Erbil, aber auch Araber. Zum Beispiel ein Zigarettenverkäufer, der vor der Gewalt aus Bagdad nach Irakisch-Kurdistan geflohen ist:
"Wir sind froh über jeden ausländischen Soldaten, der in den Irak kommt, um uns vom Terrorismus zu befreien – denn der IS ist nichts, was wir mit dem Islam gleichsetzen, mit Religionen überhaupt, oder mit dem Irak, oder mit sonst irgendwas. Und jeder, der hierher kommt – deutsche Soldaten, amerikanische, französische oder australische Soldaten – jeder, der hierher kommt, um uns von diesem Feind zu befreien, ist uns willkommen!"
Im Irak gibt es neben den regulären Streitkräften sunnitische Milizen und schiitische Milizen, turkmenische Milizen und sogar assyrisch-christliche. Aber unter allen bewaffneten Kräften im Irak sieht der Zigarettenverkäufer keine Alternative zu den Peschmerga.
Erst wenn die irakische Armee neu organisiert ist, werde sie effizient gegen den IS kämpfen können. Und solange brauche das Land die Kurden – und Hilfe aus dem Ausland. Der Oberbürgermeister von Erbil teilt die Meinung des Zigarettenverkäufers. Nihad Qoja:
"Wir sind nicht dazu in der Lage, allein ISIS zu schlagen!"
Kampf für alle demokratischen Geslellschaften
Qoja hat mehrere Jahrzehnte in Deutschland gewohnt, sieht das Land als seine zweite Heimat. Kritik an dem Auslandseinsatz der Bundeswehr im Nord-Irak, bei den Kurden, kann Nihad Qoja nachvollziehen. Aber er hält ihr auch etwas entgegen; sagt, dass IS das Leben von Millionen Menschen in der gesamten Region bedrohe und die Stabilität in der gesamten Region. Da die jedoch an Europa grenzt, so der Oberbürgermeister von Erbil, bedrohe der IS auch den Westen insgesamt:
"Dieser Kampf gegen ISIS ist nicht nur unser Kampf, sondern – leider, muss ich sagen – ein vertretender Kampf für gesamte demokratische Gesellschaften, weil diese mörderische Terroristen-Organisation... wenn die sich ausbreiten und sich stärken, die werden nicht nur Probleme für uns bereiten, sondern für alle demokratischen Gesellschaften, für alle demokratischen Länder, die werden ein Problem darstellen."
Bisher setzt die Anti-IS-Allianz auf eine Kombination im Krieg gegen die Islamisten: Luftschläge beispielsweise amerikanischer Kampfjets; und irakische – auch kurdische Verbände – auf dem Boden. Dabei konnten die Kämpfer des IS mancherorts zurückgedrängt werden, während sie allerdings andernorts ihre Stellungen ausgebaut haben.
Was Fragen aufwirft: Wird die Strategie, die Kombination aus ausländischen Luftschlägen und irakischen Boden-Einheiten, am Ende reichen, um den IS niederzuringen? Oder müssen eines Tages vielleicht doch ausländische Soldaten in den Irak gesandt werden, um auch am Boden gegen den IS zu kämpfen? Noch sagen die meisten Politiker im In- und Ausland "Nein". Ihre Militärs halten sich mit Äußerungen zurück.
Rund 1000 gefallene Peschmerga; das sind Verluste, die mutlos machen könnten. Ein Ansporn für die Peschmerga, die weiterhin in den Krieg gegen den IS ziehen, dürfte aber das Vertrauen sein, das ihnen die kurdische Bevölkerung entgegenbringt. Der Presseoffizier der deutschen Soldaten in Erbil, Major Habermann, hat das bereits gespürt:
"Wenn ich sehe, mit welchem Engagement die kurdischen Kämpfer hier auftreten und mit welcher Aufmerksamkeit hier ihre Offiziere gemeinsam mit uns die Einweisung planen und koordinieren, dann sehe ich, dass den Kurden hier die Sache sehr, sehr ernst ist. Sie wissen, dass sie hier ihre Familien verteidigen. Und mehr Motivation braucht wahrscheinlich kein Soldat."