Gegen den Rechtsruck

Rezepte zum Erhalt der Demokratie

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In "Wie Demokratien sterben" machen die Autoren konkrete Vorschläge, wie sich demokratiefeindliche Politiker frühzeitig entlarven lassen. © Buchcover dva/ Hintergrund dpa/picture alliance/ Irene Perez
Von Jakob Schmidt |
Demokratien sind in der Vergangenheit oft mit Waffengewalt zerstört worden. Heute passiere das auch schleichend durch Wahlen, schreiben Daniel Ziblatt und Steven Levitsky in "Wie Demokratien sterben". Allerdings lassen sich Antidemokraten auch frühzeitig erkennen, sagen sie.
Chile, am 11. September 1973. Kampfflugzeuge werfen Bomben auf den Regierungspalast. Ein Militärputsch gegen den Präsidenten Salvador Allende. Der will mit demokratischen Mitteln eine sozialistische Gesellschaft aufbauen. Doch Waffengewalt verwandelt das Land mit rasanter Geschwindigkeit in eine Diktatur.
Es sind solche Ereignisse, die uns in den Sinn kommen, wenn wir an zerstörte Demokratien denken. Doch das ist ein angestaubtes Bild, sagt der Harvard-Professor für Regierungslehre Daniel Ziblatt.
"Wir dachten immer, dass Demokratien durch Militärputsche oder Revolutionen sterben. Das war auch in der Geschichte oft der Fall. Es gibt aber ein anderes Muster, das seit dem Kalten Krieg an Bedeutung gewinnt. Und das ist, dass die Wähler selbst eine politische Führungsfigur berufen, die dann demokratisch tatsächlich legitimiert ist.
Aber sobald diese dann Macht hat, attackiert eben dieser gewählte Führer die demokratischen Institutionen. Das Wahlrecht etwa. Oder Machtbegrenzungen. Das ist das Paradox: Autoritäre Herrscher können gewählt werden. Mit diesem Dilemma umzugehen, darum geht es vor allem in unserem Buch."

Vier Warnsignale

"Wie Demokratien sterben" heißt dieser weltweite Bestseller. Den er mit seinem Kollegen Steven Levitsky geschrieben hat. Die Forscher analysieren darin wiederkehrende Muster aus der politischen Geschichte, vor allem im 20. Jahrhundert. Und machen konkrete Vorschläge, wie sich demokratiefeindliche Politiker frühzeitig entlarven lassen.
"Wir haben vier Kriterien vorgeschlagen. Erstens: Wenn ein politischer Führer, vor oder während des Wahlkampfs, eine schwache Bindung an demokratische Spielregeln äußert. Wenn er sich nicht für Bürgerrechte interessiert oder äußert, dass er die Verfassung brechen will.
Zweitens: Der Wille, die Legitimität des politischen Gegners infrage zu stellen. Das ist ein Warnsignal. Das deutet nämlich darauf hin, dass sie, sobald sie an der Macht sind, die Rechte der Gegner nicht mehr anerkennen.
Drittens: Lassen sie vor ihrer Wahl bereits ahnen, dass sie Gewalt tolerieren oder fördern? Das ist heutzutage möglicherweise weniger direkt, aber es gibt immer wieder Politiker, die stillschweigend Gewalt durch ihre Unterstützer gutheißen.
Die vierte und letzte Dimension ist: Zeigen die gewählten Anführer den Willen, die Freiheitsrechte ihrer Gegenspieler, vor allem auch der Medien, einzuschränken?"

Der größte Fehler sei, diese Akteure zu normalisieren

Wenn nur einer der Punkte zuträfe, sei das ein Warnsignal. Träfen alle vier zu, müssten alle Alarmglocken schrillen. Was aber bleibt einer Gesellschaft in so einem Fall zu tun? Der größte Fehler, sagt Ziblatt, sei der Versuchung zu erliegen, diese Akteure zu normalisieren, sich ihnen gar anzubiedern.
"Natürlich gibt es dieses Dilemma, und das ist, was Verteidiger sagen: 'Sie repräsentieren einfach Wähler. Wenn man sie also vom politischen System ausschließt, verdeckt das nur ein Problem, das es tatsächlich gibt. Man muss sie eingliedern und normalisieren.' Diese Logik, auch wenn sie teilweise überzeugend klingt, ist äußerst gefährlich. Denn wenn wir in die Geschichte schauen, ist das eine immer wieder gemachte Fehlkalkulation."

Das 20. Jahrhundert sei voll von Beispielen, in denen die etablierte Politik demokratiefeindliche Gefahren unterschätzt habe. Die Diktaturen in den 20er-Jahren in Italien oder den 30ern in Deutschland seien damit erst möglich geworden. Nötig sei in solchen Fällen vielmehr ein starkes, übergreifendes Bündnis gegen demokratiefeindliche Politik.
"Wenn man mit einer existenziellen Gefahr durch einen Außenstehenden konfrontiert ist, der wenig von demokratischen Normen hält und Potenzial hat, an die Macht zu kommen und von dort das politische System zu verändern, dann ist es entscheidend, dass die beteiligten Gruppen bereit sind, über ihre ideologischen und politischen Differenzen hinwegzusehen, wenn sie sich ähnlich stark der Demokratie verpflichtet fühlen."
Die Autoren Steven Levitsky (l) und Daniel Ziblatt
Die Autoren Steven Levitsky (l) und Daniel Ziblatt© Stephanie Mitchell

Die AfD stelle eine Gefahr für die Demokratie dar

Als Experte für Europawissenschaften beobachtet Ziblatt besonders auch den Rechtsruck auf dem Europäischen Kontinent. Das politische System in Deutschland sei dabei in einer besonderen Lage.
"Mein Gefühl ist, dass die AfD eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Besonders an Deutschland scheint mir, dass durch die Idee des Verfassungsschutzes und die Möglichkeit, Parteien zu verbieten, die eine bestimmte Rhetorik verfolgen, die AfD möglicherweise strategisch vorsichtiger handelt, als Parteien und Politiker in anderen Ländern. Sie spielen quasi den Ball so nah an die Grenze wie gerade noch möglich.
Aber es ist wie beim Tennis: Der Ball berührt die Linie und dann ist er irgendwann im Aus. Wenn man also nah an der Grenze spielt, ist das ein schlechtes Zeichen und ein Warnsignal."
Das Perfide daran, wie viele Demokratien heute im Unterschied zu den Militärputschen im Kalten Krieg verschwinden, sei, dass der Niedergang anfangs in Zeitlupe geschehe, sagt Ziblatt:
"Was daran schädlich ist, ist, dass es schwerer zu erkennen ist. Wenn wir es aber schaffen, auszumachen, was vor sich geht, können Bürger etwas unternehmen. Gegen einen Militärputsch kann man viel schwerer angehen. Da sind die Oppositionsstrategien viel begrenzter. Wenn Sie mich also fragen, in was für einem Land ich lieber mit niedergehender Demokratie zu tun hätte, dann wäre ich also immer noch lieber in einem, in dem das über Wahlen geschieht. Aber Bürger und Politiker müssen wachsam den Gefahren gegenüber sein, um gewappnet zu sein!"
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