Gegen den Strich

Von Gerd Brendel · 26.03.2009
Als <papaya:link href="http://www.borishoppek.de/" text="Boris Hoppek" title="Boris Hoppek" target="_self" /> vor sieben Jahren die Plakate zur Bundestagswahl mit Graffiti-Figuren überklebte, ermittelte der Staatsschutz. Hoppek kam über Nacht hinter Gitter. Inzwischen werden seine aus wenigen Strichen gezeichneten Gesichter in der Kunstwelt anerkannt.
Neulich nachts auf einer U-Bahnstation in Berlin-Mitte. Ein schmächtiger junger Mann mit Brille und Bart, den Kapuzenpullover tief ins Gesicht gezogen, kniet auf dem Bahnsteig und zeichnet mit raschen Kreidestreichen eine lebensgroße Figur.

Hoppek: "Wollte es einfach testen, ist lange her, dass ich in Berlin aufm Boden einer U-Bahnstation gezeichnet hab mit Kreide."

Boris Hoppek ist für ein paar Tage nach Berlin zurückgekehrt, als Ehrengast eines Festivals mit dem klingenden Titel "New Character Worlds". "Character", so werden die Zeichentrickfiguren genannt, die zum ersten Mal vor zehn Jahren als Piktogramme und als Graffiti-Figuren Internet und Großstadtstraßen eroberten. Hoppek gilt als Star der Szene. Zum ersten Mal nahmen die Medien von ihm zur Bundestagswahl 2002 Notiz. Über Nacht hatte Hoppek in Berlin die Kandidatenköpfe auf den Plakaten mit seinen "Bimbo-Cut-Outs" überklebt. Die kugelrunden Gesichter erinnerten an rassistische Karikaturen von Schwarzen, gezeichnet nach dem immer gleichen Muster – nein, nicht: Punkt, Punkt, Komma, Strich, sondern 0 – 0 – und eine liegende rote Null als Schmollmund. Kunst, Sachbeschädigung oder Terrorismus? Der Staatsschutz ermittelte erfolgreich:

"Also als ich das mit den Wahlplakaten gemacht habe, bin ich mit meinem Galeristen rausgegangen und wir wurden direkt aufgegabelt von einer Spezialeinheit und es wurde direkt als politische Aktion gewertet und wir wurden in Untersuchungshaft gesteckt. Es war eigentlich ein schönes Gefühl, mit seinem Galeristen im Gefängnis zu stecken."

Es war nicht das erste Mal, dass Hoppek mit der Staatsgewalt in Kontakt kam.

"Also ich bin nicht vorbestraft. Sonst alles."

Mehr sagt der schüchterne Künstler nicht. Aber man kann sich die ratlosen Gesichter der Streifenpolizisten gut vorstellen, als die Ende der 90er-Jahre zum ersten Mal Hoppeks Figuren an Häuserwänden in Siegen entdeckten. Der stille Junge aus dem wenige Kilometer entfernten Kreuztal hatte gerade seine Lehre als technischer Zeichner abgeschlossen und ihm war klar, dass er alles lieber machen wollte, als von Montag bis Freitag Schraubenmuttern und Kurbelwellen zu entwerfen. Hoppek zog nach Köln, weiter nach Berlin und Barcelona.

Sein Assistent Alexander Vargan erinnert sich:

"Ich traf Boris zum ersten auf einer Party von mir. Er hatte einen Karton mit von ihm bemalten Glasuntersetzern dabei. Wir sprachen kein Wort, aber am Ende des Abends hatte er alles verkauft und mir komplett die Schau gestohlen. Dieses sympathische Potential fiel auch professionellen Marketing-Fachleuten auf."

Der Erfolg kam 2006, als die Reklame-Abteilung einer deutschen Automarke bei Hoppek eine Stoffpuppenband in Auftrag gab. Und Boris Hoppeks Bimbo-Dolls zogen von der Straße in die Ausstellungsräume angesagter Galerien.

Im werbefreien Kunstraum zeigten die niedlichen Comic-Figuren ihre subversive Seite: Für die Ausstellung "86 negritos" vor zwei Jahren in Cádiz zum Beispiel packte Hoppek ein Dutzend seiner lebensgroßen schwarzen Bimbo-Puppen in ein kleines Ruderboot, das nach einer Tour durch den Hafen am Stadtstrand vor Anker ging, ganz so wie die unzähligen Boote illegaler Flüchtlinge aus Afrika. Die Räume der ehemaligen Hafenfestung übersäte Hoppek mit naiven Zeichnungen drastischen Inhalts: Niedliche Strichmännchen mit Riesengenitalien, die mit niedlichen Strich-Weibchen kopulieren. Fragt man Hoppek nach seinem Lieblings-Character, kommt die Antwort prompt:

"Die Latex Pussy."

Auf Hoppeks Homepage sieht man die Latex-Pussy als Trickfilm: Eine Bimbo-Puppe nach der andern fällt aus der Vagina. Aber jede x-te Figur erinnert an eine Hitler-Karikatur. Der Trickfilm wirkt wie eine virtuelle Version von Gustavae Courbets Skandalbild "Der Ursprung der Welt". Hoppek behauptet, das Aktbild, dass das Model ohne Gesicht zeigt, nicht zu kennen und er hat auch keine Lust zu erklären, was es mit der Latex Pussy auf sich hat.

"Muss jetzt los."

Er entschuldigt sich, in ein paar Minuten beginnt eine Podiumsdiskussion über sein Werk. Auf der Bühne sagt er kein Wort, während Galeristen und Künstler sein Werk abwechselnd als tiefsinnig, beeindruckend oder einmalig interpretieren. Das schönste Kompliment allerdings macht ihm sein australischer Kollege Steve Alexander, als die Mikrofone lange ausgeschaltet sind.

"Ich glaube, Boris ist unglaublich intelligent, aber vielleicht ist auch nur unglaublich schüchtern. Auf jeden Fall kommt er mir immer so vor, als käme er aus einer anderen Welt."

Ganz gleich, ob Hoppek wirklich so weltfremd ist, wie er scheint: Auf jeden Fall lassen einem seine Characters diese Welt wenigstens hin und wieder mit anderen Augen sehen.