Gegen den Wachstumswahn
Die Wachstumsraten in den Industriestaaten werden "so sicher wie das Amen in der Kirche" zurückgehen, sagt Reinhard Loske, Vorsitzender der Studiengruppe für Globale Zukunftsfragen. Er kritisiert die Fixierung der Politik auf Wachstumsstimulierung und Wachstumsbeschleunigung. Neue Lebensformen wie gemeinschaftliches Wohnen oder Car Sharing seien dagegen eine ermutigende Entwicklung.
Jan-Christoph Kitzler: Jahrzehntelang war Wachstum das Credo von Wirtschaft und Politik. Durch Wachstum wächst der Wohlstand und die Lebensqualität, so die herrschende Meinung. Doch inzwischen machen sich Zweifel breit am ewigen Wachstum. Der Bericht des "Club of Rome" über die Grenzen des Wachstums ist zwar schon 40 Jahre alt, aber erst jetzt beginnt man so langsam auch auf breiterer Basis, über eine Postwachstumsökonomie zu sprechen, über eine Wirtschaft jenseits des Wachstums. Reinhard Loske tut das schon seit Längerem, er war Umweltsenator in Bremen und Grünen-Politiker. 2010 hat sein Essay "Abschied vom Wachstumszwang" eine kontroverse Debatte ausgelöst, und in diesem Jahr ist sein Buch "Wie weiter mit der Wachstumsfrage?" erschienen. Schönen guten Morgen, Herr Loske!
Reinhard Loske: Schönen guten Morgen, Herr Kitzler!
Kitzler: Wie nehmen Sie das denn wahr? Wer hat denn zurzeit die Mehrheit in den Debatten? Die Wachstumsgläubigen, die es noch gibt, oder die, die über eine Wirtschaft jenseits des Wachstums nachdenken?
Loske: Also die ganz kruden Wachstumsgläubigen werden seltener, wenngleich sie die Politik natürlich nach wie vor in hohem Maße bestimmen oder beispielsweise auch die Verbandsmeinungen von Wirtschaftsverbänden und anderen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich eine sehr facettenreiche Debatte. Da gibt es auf der einen Seite die Freunde des grünen Wachstums, die sagen, okay, wir müssen das Ganze nur grün machen, dann kann alles so bleiben. Aber es gibt eben auch eine starke Bewegung, die zunehmend an Anerkennung und Zustimmung gewinnt, das ist die sogenannte Postwachstumsgesellschaft, wo sich Leute Gedanken darüber machen, wie können wir eigentlich unsere Gesellschaft so umbauen, dass sie mit weniger Wachstum auskommt und nicht kollabiert, wenn das Wachstum wegbleibt.
Kitzler: Sie haben schon die Green Economy, das grüne Wachstum angesprochen, den New Green Deal. Sie sind kein Fan davon, das kann man wohl sagen. Es gibt ja die Theorie, dass die drängenden Probleme der Menschheit, zum Beispiel der Klimawandel oder den Hunger, dass man den lösen kann mit technischen Mitteln – und mit diesen neuen Technologien gäbe es dann eben auch neues Wachstum. Warum reicht Ihnen das nicht?
Loske: Also zunächst mal gehört natürlich technischer Wandel dazu, das ist ja gar keine Frage. Wenn wir unser Energiesystem auf erneuerbare Energieträger umstellen und auf Energieeffizienz, Energieeinsparung et cetera, dann ist das eine ganz dringende, wichtige Voraussetzung, aber eben keine hinreichende Voraussetzung. Wir brauchen mindestens genauso sehr soziale Innovation und Kulturwandel. Und bei dieser ganzen Technikorientierung darf man natürlich zweierlei nicht vergessen: Es gibt zum einen, wenn wir über grünes Wachstum reden, auf der anderen Seite natürlich auch Schrumpfung. Das heißt, das Richtige muss wachsen, aber das Falsche, wenn ich es mal so allgemein sagen darf, muss schrumpfen. Das wird oft vergessen in diesen Diskussionen. Also, dass wir noch gar nicht wissen, was der Effekt auf das Bruttoinlandsprodukt ist, und je nachdem, wie wir messen, ob wir alternative Messindikatoren entwickeln, wie sich das dann darstellt. Und das Zweite ist das, was die Ökonomen mit einem Fremdwort den Rebound-Effekt nennen. Ich nenne das lieber das Hase-und-Igel-Rennen, das heißt, das, was wir durch technischen Fortschritt, ich sag es mal martialisch, an der Effizienzfront gewinnen, das verlieren wir durch Wachstumseffekte. Das heißt, ja, wir haben sparsamere Autos, aber immer mehr davon. Ja, wir haben sparsamere Elektrogeräte, aber immer mehr elektrische Anwendungen. Das könnte man so beliebig fortsetzen, das heißt, der Ressourcenverbrauch bleibt auf hohem Niveau trotz technischen Fortschritts, das ist das Problem mindestens im Weltmaßstab, aber zunehmend eben auch in den Industrieländern.
Kitzler: Das Ganze muss ergänzt werden durch neue Formen des sozialen Zusammenlebens, durch auch einen Kulturwandel – was heißt denn das konkret?
Loske: Also wenn Sie mal die Wachstumsdebatte der 70er sich anschauen: Die speiste sich ja im Wesentlichen aus zwei Quellen. Das war einmal das, was Sie schon genannt haben, die ökologischen Grenzen des Wachstums. Aber es gab natürlich auch eine kulturelle Wachstumskritik. 75 das berühmte Buch von Erich Fromm, "Haben oder Sein", wo also die These vertreten wurde, dass Konsum jenseits eines bestimmten Niveaus, das wir alle brauchen, eher was Pathologisches hat, also eher Kompensation, eher Ersatz für entgangenes Leben ist. So, und wenn wir diese Debatte der 70er-Jahre uns anschauen und die vergleichen mit der heutigen Debatte, dann können wir einen Unterschied feststellen. Die 70er-Jahre hatten so eine leicht kulturpessimistische Tonlage, würde ich mal sagen, während die heutige Debatte sehr stark geprägt ist von sozialen Innovationen. Also, man macht Dinge beispielsweise wie gemeinschaftliche Nutzungsformen, ein ganz wichtiges Thema. Von Car-Sharing über gemeinschaftliche Wohnformen bis hin zu städtischen Gärten, also Urban Gardening ist das Schlagwort, Pflege der Gemeinschaftsgüter, Energiegenossenschaften, Bauteilebörsen und viele, viele Dinge. Da passiert sehr viel, das ist eine unglaublich lebendige Entwicklung, und auf den Veranstaltungen, wo geredet wird über Transition Towns, also Städte im Wandel, oder über die Pflege der Commons, der menschlichen Gemeinschaftsgüter, da ist nicht die Rede von grünem Wachstum, sondern von menschlicher Entwicklung. Das ist der Unterschied.
Kitzler: Die klassische Nachhaltigkeitspartei ist ja eigentlich theoretisch die grüne Partei, ihre Partei. Stimmt denn eigentlich der Eindruck aber, dass die Grünen in der Debatte um das künftige Wachstum oder auch Nicht-Wachstum, nicht so profiliert ist, wie sie es eigentlich sein müsste?
Loske: Ja gut, ich hab ja selbst 2009 beispielsweise diese Wachstumsenquete des Deutschen Bundestages vorgeschlagen mit anderen zusammen, und das ist auch gemacht worden, die Grünen haben sich sehr stark dafür eingesetzt. Nur, wenn ich die Arbeit der Enquetekommission so verfolge, dann kommt ja maximal ein Ergebnis raus, das Wohlstand anders gemessen werden muss, aber diese fundamentalen Fragen, die aber dringend gesellschaftlich geklärt werden müssen, da brauchen wir eine Verständigungspolitik, die stehen nicht oben auf der Agenda. Und die Grünen haben sich eben im Wesentlichen entschieden, das Thema grünes Wachstum nach vorn zu stellen, und das andere Thema ist etwas im Hintergrund. Das kann man ja gar nicht in Abrede stellen, und insofern würde ich den Grünen raten, auch diese Fragen, die gesellschaftlich ganz tief verwurzelt sind, stärker zu bearbeiten.
Kitzler: Woran liegt denn das eigentlich, dass die Politik sich so schwer tut, da den Rahmen zu setzen? Liegt das daran, dass die neue Wirtschaft, die nötig ist, immer noch mit Verzicht assoziiert sind, und dass man mit Verzicht keinen Blumentopf gewinnen kann?
Loske: Ja, das hat sicherlich auch damit zu tun, das man ein gebranntes Kind ist durch die Debatten der 70er-Jahre oder auch später, Stichwort Ökosteuer, wo dann so getan wurde, aha, das sind die Verzichtsapostel, Miesmacher, Technikfeinde, die wollen uns den Fortschritt vergällen. Aber in Wahrheit ist das ja – es ist ja eine neue Fortschrittsdebatte. Wenn Sie sich diese vielen sozialen Innovationen angucken, die häufig auch gepaart sind übrigens mit technischen Innovationen, dann ist das ja gar kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch; aber Fakt ist eben, dass die Politik doch sehr, sehr stark auf Wachstumsstimulierung, Wachstumsbeschleunigung, wie es ja vor Kurzem sogar noch in einem Satz fixiert ist. Aber man kann sich auf den Kopf stellen – wir werden in den entwickelten Industriestaaten, das könnte man vielleicht dann ironisch in Anlehnung an ein berühmtes Marx-Zitat sagen, einen tendenziellen Fall der Wachstumsrate haben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, und deswegen tun wir gut daran, uns auf diese neue Situation vorzubereiten, also quasi unabhängiger vom Wachstum zu werden.
Kitzler: Die Grenzen des Wachstums und der notwendige gesellschaftliche Wandel. Das war der frühere Bremer Umweltsenator Reinhard Loske. Haben Sie vielen Dank!
Loske: Gerne!
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Kitzler: Sie haben schon die Green Economy, das grüne Wachstum angesprochen, den New Green Deal. Sie sind kein Fan davon, das kann man wohl sagen. Es gibt ja die Theorie, dass die drängenden Probleme der Menschheit, zum Beispiel der Klimawandel oder den Hunger, dass man den lösen kann mit technischen Mitteln – und mit diesen neuen Technologien gäbe es dann eben auch neues Wachstum. Warum reicht Ihnen das nicht?
Loske: Also zunächst mal gehört natürlich technischer Wandel dazu, das ist ja gar keine Frage. Wenn wir unser Energiesystem auf erneuerbare Energieträger umstellen und auf Energieeffizienz, Energieeinsparung et cetera, dann ist das eine ganz dringende, wichtige Voraussetzung, aber eben keine hinreichende Voraussetzung. Wir brauchen mindestens genauso sehr soziale Innovation und Kulturwandel. Und bei dieser ganzen Technikorientierung darf man natürlich zweierlei nicht vergessen: Es gibt zum einen, wenn wir über grünes Wachstum reden, auf der anderen Seite natürlich auch Schrumpfung. Das heißt, das Richtige muss wachsen, aber das Falsche, wenn ich es mal so allgemein sagen darf, muss schrumpfen. Das wird oft vergessen in diesen Diskussionen. Also, dass wir noch gar nicht wissen, was der Effekt auf das Bruttoinlandsprodukt ist, und je nachdem, wie wir messen, ob wir alternative Messindikatoren entwickeln, wie sich das dann darstellt. Und das Zweite ist das, was die Ökonomen mit einem Fremdwort den Rebound-Effekt nennen. Ich nenne das lieber das Hase-und-Igel-Rennen, das heißt, das, was wir durch technischen Fortschritt, ich sag es mal martialisch, an der Effizienzfront gewinnen, das verlieren wir durch Wachstumseffekte. Das heißt, ja, wir haben sparsamere Autos, aber immer mehr davon. Ja, wir haben sparsamere Elektrogeräte, aber immer mehr elektrische Anwendungen. Das könnte man so beliebig fortsetzen, das heißt, der Ressourcenverbrauch bleibt auf hohem Niveau trotz technischen Fortschritts, das ist das Problem mindestens im Weltmaßstab, aber zunehmend eben auch in den Industrieländern.
Kitzler: Das Ganze muss ergänzt werden durch neue Formen des sozialen Zusammenlebens, durch auch einen Kulturwandel – was heißt denn das konkret?
Loske: Also wenn Sie mal die Wachstumsdebatte der 70er sich anschauen: Die speiste sich ja im Wesentlichen aus zwei Quellen. Das war einmal das, was Sie schon genannt haben, die ökologischen Grenzen des Wachstums. Aber es gab natürlich auch eine kulturelle Wachstumskritik. 75 das berühmte Buch von Erich Fromm, "Haben oder Sein", wo also die These vertreten wurde, dass Konsum jenseits eines bestimmten Niveaus, das wir alle brauchen, eher was Pathologisches hat, also eher Kompensation, eher Ersatz für entgangenes Leben ist. So, und wenn wir diese Debatte der 70er-Jahre uns anschauen und die vergleichen mit der heutigen Debatte, dann können wir einen Unterschied feststellen. Die 70er-Jahre hatten so eine leicht kulturpessimistische Tonlage, würde ich mal sagen, während die heutige Debatte sehr stark geprägt ist von sozialen Innovationen. Also, man macht Dinge beispielsweise wie gemeinschaftliche Nutzungsformen, ein ganz wichtiges Thema. Von Car-Sharing über gemeinschaftliche Wohnformen bis hin zu städtischen Gärten, also Urban Gardening ist das Schlagwort, Pflege der Gemeinschaftsgüter, Energiegenossenschaften, Bauteilebörsen und viele, viele Dinge. Da passiert sehr viel, das ist eine unglaublich lebendige Entwicklung, und auf den Veranstaltungen, wo geredet wird über Transition Towns, also Städte im Wandel, oder über die Pflege der Commons, der menschlichen Gemeinschaftsgüter, da ist nicht die Rede von grünem Wachstum, sondern von menschlicher Entwicklung. Das ist der Unterschied.
Kitzler: Die klassische Nachhaltigkeitspartei ist ja eigentlich theoretisch die grüne Partei, ihre Partei. Stimmt denn eigentlich der Eindruck aber, dass die Grünen in der Debatte um das künftige Wachstum oder auch Nicht-Wachstum, nicht so profiliert ist, wie sie es eigentlich sein müsste?
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Kitzler: Die Grenzen des Wachstums und der notwendige gesellschaftliche Wandel. Das war der frühere Bremer Umweltsenator Reinhard Loske. Haben Sie vielen Dank!
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