Jana Swiderski studierte Philosophie, Erziehungswissenschaften, Soziologie und promovierte über "Bildung der Bedürfnisse". Sie ist Arbeitsvermittlerin in einem Berliner Jobcenter.
Fallmanager sind keine Quälgeister, sondern auch Helfer
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Mit Hartz IV ist auch das Jobcenter in die Kritik geraten. Es sei ein seelenloser Apparat, der Menschen vorlädt, sanktioniert und am Ende nichts für sie tun könne. Das ist ein falsches Bild, sagt Jana Swiderski, Arbeitsvermittlerin in einem Berliner Jobcenter.
Stepan ist 57, Russe, wohnt in Berlin, Plattenbau im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Seine Frau hat die Scheidung eingereicht. Er hat in die Kündigung der Wohnung eingewilligt. Sonst hätte seine Frau keine eigene Wohnung gefunden. An sich hat er dabei nicht gedacht. Nun hält er die Bestätigung seiner Kündigung in der Hand. Stepan kann kaum einen klaren Gedanken fassen.
Die Wohnung verloren
Ich bin Fallmanagerin im Jobcenter. Stepan wurde mir erst kürzlich zugewiesen. Ich nehme mir Zeit für ihn, höre zu. Ich telefoniere mit dem Vermieter. Nichts. Eine kleinere Wohnung gibt es auch nicht. Der Vermieter wird auf Herausgabe der Wohnung klagen. Die Räumung ist sicher. Eine andere Wohnung finden für einen arbeitslosen, alten Mann? Unmöglich bei dem Wohnungsmarkt. Ich erkläre Stepan, dass er selbst seine Wohnung räumen muss, um Kosten zu sparen. Er schaut mich ungläubig an. Die Dokumente? Der Kühlschrank, die Waschmaschine, das Bett – kann er sie verkaufen? Und die vier Gitarren?
Er dürfe jetzt nur an eines denken, nämlich wo er von nun an schlafen könne, sage ich. Ein Wohnheimplatz sei das Dringendste. Ich weiß, dass Stepan die Möbel nicht auf die Straße stellen kann, die Auslegware nicht selbst herausreißen, die Gitarren nicht auf den Müll werfen. Verkaufen kann er auch nichts. Wie denn, ohne Computer, ohne Internet? Die Schulden für die Räumung und die Gerichtskosten scheinen unausweichlich. Schulden – für die Wohnungssuche ein Todesurteil. Ein Schlafplatz ist alles, was Stepan im besten Fall bleibt. Aber um den muss er sich selbst kümmern.
Keine Kraft zum Kämpfen
Er muss zum Sozialamt gehen oder zu einem Träger der sozialen Wohnhilfe. Er muss sein Anliegen aussprechen, muss zeigen, wie dringlich seine Situation ist. Stepan muss kämpfen. Aber Stepan hat keine Kraft zum Kämpfen. Nur mit Mühe steht er morgens auf. Er hat Schlafstörungen, Durchfall, fühlt sich matt und niedergeschlagen. Ich schreibe ihm einen Plan. Wann er zum Sozialamt gehen soll, wann zum Träger der sozialen Wohnhilfe, drucke Fahrverbindungen aus. Stepan kennt nur den Weg zum Arzt, zum Discounter und zum Jobcenter. Ich werde ihn wieder einladen, um ihn zu fragen, was er erreicht hat.
Hilfe der Jobcenter wird kaum wahrgenommen
Fast täglich stehen die Jobcenter in der Kritik der Medien. Sie würden die Kunden zwingen, ihre Privatsphäre ausspionieren und sie unter das Existenzminimum drücken. Ohne eine Einladung mit Rechtsfolge, wie die Sanktionsdrohung im Amtsdeutsch heißt, wäre Stepan vielleicht nicht im Jobcenter erschienen. Dann hätte auch ich nichts für ihn tun können. Ohne Informationen über seinen Alltag, seine Gesundheit und sein Befinden – ohne diese privaten Informationen hätte ich nicht auf Stepan eingehen können.
Diese Hilfestellung wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen oder gewürdigt. Das Fallmanagement prüft, wer besonderer Hilfe und Unterstützung bedarf, und dann bekommt er oder sie diese – bundesweit. Die einzige Bedingung ist, dass der Kunde oder die Kundin ins Jobcenter kommt. Auch hier gibt es Ausnahmen, zum Beispiel, wenn jemand krank und bettlägerig ist.
Warum sollte er tatenlos herumsitzen?
Ziel aller Unterstützung bleibt auch für mich die Integration in Arbeit. Gelänge es, Stepan wieder zu einer Wohnung zu verhelfen, warum sollte er tatenlos darin sitzen? Vielleicht würde er sich freuen, in einer Kita einen Hausmeisterjob anzunehmen oder bei einer Reinigungsfirma zu arbeiten? Ist es nicht gerade wichtig, insbesondere hilfsbedürftigen Menschen wieder zur Teilhabe an der Gesellschaft durch Arbeit zu verhelfen? Aber das wäre ein anderes Thema.