Gegen Einsamkeit, Stille und Leere
Der Band "Irgendwo" bündelt Prosaminiaturen, kleine Geschichten, Parabeln und Traumsequenzen. Sie künden von den Anfängen der jungen ungarischen Schriftstellerin Agota Kristof, die nach dem gescheiterten Aufstand in Ungarn in die Schweiz flüchtete. Man ahnt bereits die Kraft der Sprache, die die heute 71-jährige Schriftstellerin bekannt machte.
In ihrer autobiographischen Prosa "Die Analphabetin" berichtete Agota Kristof von ihren Anfängen als Schriftstellerin. Nach dem gescheiterten Ungarn-Aufstand im Jahr 1956 floh sie im Alter von 21 Jahren in den Westen und strandete in der französischsprachigen Schweiz. Dort musste sie als Fremde eine neue Sprache lernen, in der sie mit dem Wörterbuch in der Hand auch zu schreiben begann. Die Texte, die damals entstanden, sind nun unter dem Titel "Irgendwo" erschienen – Prosaminiaturen, kleine Geschichten, Parabeln und Traumsequenzen, die Agota Kristof als "Nouvelles" bezeichnet. Man kann an ihnen beobachten, wie eine Schriftstellerin sich erfindet, indem sie ihren Stil findet. "Ich bin ein großer Schriftsteller", heißt es in einer Geschichte. "Das weiß noch niemand, weil ich noch nichts geschrieben habe." Aber da ist sie schon mitten drin.
Die erste Geschichte ist der bitterböse Monolog einer Frau, die einen Arzt herbeiruft, weil ihr Mann aus dem Bett gefallen und genau in die dort platzierte Axt gestürzt sei. Sie selbst habe gut geschlafen und habe nichts bemerkt, könne sich den Hergang des Geschehens auch nicht erklären. In der letzten Geschichte reist die Erzählerin zur Beerdigung ihres Vaters, der in einer Industriestadt, die ihm nie Heimat geworden war, ein Urnengrab erhält. Mit dem Satz "Nirgends ist mein Vater mit mir an der Hand spazierengangen", endet diese Episode in einer knappen Metapher auf die ererbte Unzugehörigkeit.
Die Themen, die ihr Werk prägen – Fremdheit, Heimatverlust und der Verlust familiärer Zugehörigkeit – sind alle schon da. Politisches spielt keine Rolle. Was in den Zeitungen steht, ist uninteressant; die Welt erschließt sich über das Alltägliche. "Wohin gehst du", heißt es in einer Skizze mit dem Titel "Egal":
"Nirgendwohin. Oder vielleicht gehe ich doch irgendwohin. Egal, man fühlt sich sowieso nirgends wohl."
Diese Haltung einer grundsätzlichen Distanz zum Leben ist der Ausgangspunkt dieses Schreibens, das gegen "Einsamkeit, Stille und Leere" die neu entdeckte Sprache setzt. Dabei überlagert sich bei Kristof die eigene Erfahrung der Flucht und des Exils mit dem in den 50er Jahren dominierenden Existentialismus Jean-Paul Sartres, der von ähnlichen Grundbefindlichkeiten ausgeht. Auch die Wirkung Kafkas, dessen klaustrophobe Szenerien damals mächtigen Einfluss auf viele Autoren besaßen, ist zu spüren.
Agota Kristof hat dabei aber noch nicht die schmucklose Klarheit ihrer späteren Romane erreicht, die kühle Mitleidlosigkeit des Blicks, die sezierende Härte, mit der sie vor allem in "Das große Heft" Gefühlen zu Leibe rückte. Noch ist sie nicht ganz frei von Sentimentalitäten oder symbolistischen Versuchungen. Wenn sie schreibt:
"Gefühle werden zur Zeit in der Kunst nicht sonderlich geschätzt. Eine gleichsam wissenschaftliche Nüchternheit ist jetzt Mode"
– dann ist noch ein Bedauern spürbar, auf das Romantisch-Schwelgerische verzichten zu müssen. Dabei ist diese Prosa jedoch schon ganz und gar auf dieses Ziel hin ausgerichtet.
Immer wieder sind es die Kinder, von denen mehr zu erhoffen ist als von den in ihrer Arbeit stumpf gewordenen Erwachsenen. Auch in diesem Motiv steckt ein romantischer, verklärender Kern, der aber mit Ironie ausgetrieben wird. Eines der auftretenden Kinder wünscht sich ein Spielzeuggewehr, schließlich hat es seinen Vater beim Militär mit einem richtigen Gewehr gesehen. Doch sein Wunsch wird ihm aus pädagogischen Gründen verweigert. "Ihr seid ungezogen", schreit darauf das Kind, "ihr tut nur so, als wärt ihr nett. Wenn ich groß bin, bringe ich euch um!" Nicht nur in solchen Momenten ist schon das Geschwisterpaar aus dem "großen Heft" und die ganze Kraft der Prosa Agota Kristofs zu ahnen.
Rezensiert von Jörg Magenau
Agota Kristof: Irgendwo. Nouvelles.
Aus dem Französischen von Carina von Enzenberg.
Piper Verlag, München 2007, 122 Seiten, 14,90 Euro
Die erste Geschichte ist der bitterböse Monolog einer Frau, die einen Arzt herbeiruft, weil ihr Mann aus dem Bett gefallen und genau in die dort platzierte Axt gestürzt sei. Sie selbst habe gut geschlafen und habe nichts bemerkt, könne sich den Hergang des Geschehens auch nicht erklären. In der letzten Geschichte reist die Erzählerin zur Beerdigung ihres Vaters, der in einer Industriestadt, die ihm nie Heimat geworden war, ein Urnengrab erhält. Mit dem Satz "Nirgends ist mein Vater mit mir an der Hand spazierengangen", endet diese Episode in einer knappen Metapher auf die ererbte Unzugehörigkeit.
Die Themen, die ihr Werk prägen – Fremdheit, Heimatverlust und der Verlust familiärer Zugehörigkeit – sind alle schon da. Politisches spielt keine Rolle. Was in den Zeitungen steht, ist uninteressant; die Welt erschließt sich über das Alltägliche. "Wohin gehst du", heißt es in einer Skizze mit dem Titel "Egal":
"Nirgendwohin. Oder vielleicht gehe ich doch irgendwohin. Egal, man fühlt sich sowieso nirgends wohl."
Diese Haltung einer grundsätzlichen Distanz zum Leben ist der Ausgangspunkt dieses Schreibens, das gegen "Einsamkeit, Stille und Leere" die neu entdeckte Sprache setzt. Dabei überlagert sich bei Kristof die eigene Erfahrung der Flucht und des Exils mit dem in den 50er Jahren dominierenden Existentialismus Jean-Paul Sartres, der von ähnlichen Grundbefindlichkeiten ausgeht. Auch die Wirkung Kafkas, dessen klaustrophobe Szenerien damals mächtigen Einfluss auf viele Autoren besaßen, ist zu spüren.
Agota Kristof hat dabei aber noch nicht die schmucklose Klarheit ihrer späteren Romane erreicht, die kühle Mitleidlosigkeit des Blicks, die sezierende Härte, mit der sie vor allem in "Das große Heft" Gefühlen zu Leibe rückte. Noch ist sie nicht ganz frei von Sentimentalitäten oder symbolistischen Versuchungen. Wenn sie schreibt:
"Gefühle werden zur Zeit in der Kunst nicht sonderlich geschätzt. Eine gleichsam wissenschaftliche Nüchternheit ist jetzt Mode"
– dann ist noch ein Bedauern spürbar, auf das Romantisch-Schwelgerische verzichten zu müssen. Dabei ist diese Prosa jedoch schon ganz und gar auf dieses Ziel hin ausgerichtet.
Immer wieder sind es die Kinder, von denen mehr zu erhoffen ist als von den in ihrer Arbeit stumpf gewordenen Erwachsenen. Auch in diesem Motiv steckt ein romantischer, verklärender Kern, der aber mit Ironie ausgetrieben wird. Eines der auftretenden Kinder wünscht sich ein Spielzeuggewehr, schließlich hat es seinen Vater beim Militär mit einem richtigen Gewehr gesehen. Doch sein Wunsch wird ihm aus pädagogischen Gründen verweigert. "Ihr seid ungezogen", schreit darauf das Kind, "ihr tut nur so, als wärt ihr nett. Wenn ich groß bin, bringe ich euch um!" Nicht nur in solchen Momenten ist schon das Geschwisterpaar aus dem "großen Heft" und die ganze Kraft der Prosa Agota Kristofs zu ahnen.
Rezensiert von Jörg Magenau
Agota Kristof: Irgendwo. Nouvelles.
Aus dem Französischen von Carina von Enzenberg.
Piper Verlag, München 2007, 122 Seiten, 14,90 Euro