Gegen Homophobie im Fußball

Solidarität für "11 schwule Freunde"

06:08 Minuten
Eine Regenbogenflagge steckt im Rasen bei einem Fußballspiel.
Schwerer Schritt: Ein Outing im Profifußball ist noch immer eine absolute Seltenheit. © picture alliance / AP Photo / Jens Dreßling
Marcus Urban im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
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Zu elft stehen sie normalerweise auf dem Platz, nun sind es 800. So viele Fußballprofis beteiligen sich an einer Aktion gegen Homophobie. Ex-Kicker Marcus Urban hätte sich das schon vor Jahrzehnten gewünscht.
"Elf Freunde müsst ihr sein" lautet der Titel von Sammy Drechsels Fußballroman aus dem Jahr 1955. Im Jahr 2021 steigt die Zahl auf 800: So viele Fußballerinnen und Fußballer haben einen Appell des Magazins "11 Freunde" unterzeichnet, in dem sie ihre Solidarität mit Kollegen bekunden, die sich bisher nicht getraut haben, ihre Sexualität offen zu leben.
Die Aktion steht unter dem Motto "#IhrKönntAufUnsZählen". Mit dabei sind Profis wie Max Kruse (1. FC Union Berlin), Niklas Stark (Hertha BSC), Jonas Hector (1. FC Köln) oder Bakery Jatta (Hamburger SV) sowie die Nationalspielerinnen Almuth Schult und Alexandra Popp (VfL Wolfsburg).
Zurückhaltend zeigt sich dagegen Philipp Lahm, einst Kapitän der deutschen Nationalmannschaft und damit Vertreter der Kickerelite. Er warnt Spielerinnen und Spieler sogar davor, sich während der aktiven Karriere zu ihrer LGBTQ-Zugehörigkeit zu bekennen. So hat es auch Marcus Urban gemacht, der einst in verschiedenen Altersklassen der DDR-Nationalmannschaft kickte und sich lange Zeit verstecken musste.

"Es war eine 24-stündige Quälerei"

"Ich habe mich nicht einmal zu denken getraut, eventuell schwul oder bisexuell zu sein", erzählt Urban. Er habe bereits zu Schulzeiten viel Mobbing und tägliche Diskriminierungen erlebt, berichtet er. Daher habe er seine Sexualität stets verborgen. "Es war eine 24-stündige Quälerei", sagt Urban, der deswegen auch an Depressionen litt. Er spricht von einem "Überlebenskampf".

Hören Sie zum Thema auch das Interview mit dem Sportjournalisten und Fußballexperten Ronny Blaschke. Er sagt: Der "11 Freunde"-Appell sei wichtig. Blaschke kritisiert jedoch, die Diskussion über homosexuelle Spielerinnen und Spieler werde zu sehr auf "ein fiktives Coming-Out" reduziert. Statt dessen solle man lieber jene zu Wort kommen und den Weg bereiten lassen, die sich ohnehin schon äußerten – etwa Verbände aus der LGBTQ+-Community.
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Der 50-Jährige beklagt auch Jahre nach dem Ende seiner aktiven Spielerkarriere noch immer "Diskriminierungen zu verschiedenen gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten: Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Ableismus" auf dem Fußballplatz. Im Gegensatz zu sichtbaren Merkmalen wie Hautfarbe oder körperlicher Beeinträchtigungen sei die Sexualität aber auf den ersten Blick nicht erkennbar, sagt er. "Bei so einem unsichtbaren Merkmal hat man die Wahl, dann beginnt man zu zweifeln und entscheidet sich dagegen, sich zu zeigen."

Diversität zunutze machen

Urban rät deshalb dazu, Merkmale wie die eigene sexuelle Orientierung zu nutzen, um beispielsweise gezielt Sponsoren zu werben. "Wir haben in den letzten Jahren in der Werbeindustrie viel zum Thema Diversity gesehen." Dahingehend habe es eine Veränderung gegeben, so Urban.
Porträt des ehemaligen Fußballspielers Marcus Urban.
In seiner Biografie „Versteckspieler“ spricht Marcus Urban offen über seine Sexualität.© picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Daher empfindet er die "11 Freunde"-Aktion auch als starkes Signal. Es gehe darum, den Kollegen den Rücken zu stärken und ihnen nicht in den Rücken zu fallen. "Ich hätte mir das vor 30 Jahren gewünscht, als ich in großer Not war und es ums Überleben ging", sagt er.
"So ein Thema normalisiert sich erst, wenn wir offen darüber sprechen", meint Urban. "Und wenn es normal ist, dass jede Art von Liebe gelebt werden kann – auch im Fußball." Er hat sich 2007 öffentlich dazu bekannt, homosexuell zu sein. 2014 folgte Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger mit seinem Outing.
Urban spricht daher von "einer Art Sinuskurve", die alle sieben Jahre ihre Amplitude erreicht. Für die Zukunft sieht er aber einen kürzeren Abstand: Er prognostiziert eine Normalisierung des Themas innerhalb von zwei Jahren.
(lsc)
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