Gegen Klischees und Vorurteile
Als Hiobsbotschaft empfindet der evangelische Religionslehrer Lauer die Nachricht, dass seine Tochter Odette sich von dem jungen Muslim Jamal angezogen fühlt. Eine dramatische Liebesgeschichte bahnt sich an - auf der Bühne. "Was du nicht siehst" heißt ein Theaterstück für Jugendliche über Vorurteile zwischen Christen und Muslimen.
Das Projekt wurde vom interkulturellen Theaterzentrum Berlin, dem Türkisch-Deutschen Zentrum und der evangelischen Landeskirche entwickelt. Die Initiatoren wollen den Klischees, Beleidigungen und Vorurteilen, wie sie tagtäglich an vielen Schulen vorkommen, etwas entgegensetzen. Das Stück wurde von Jugendlichen nicht nur an Schulen, sondern auch in einer Moschee aufgeführt.
Theaterstück:
"Lehrer Lauer: ‚Bist du da, Jamal?’ Romeo und Julia, Kinder zweier verfeindeter Clans, verlieben sich ineinander und bezahlen dafür mit ihrem Leben. Wir verlegen die Love-Story in unsere Tage, in unsere Stadt: eine Bande von Muslimen und eine Christen-Gang. Romeo, das bist du, liebt Julia, gespielt von meiner Tochter Odette, aber die gehört zu den anderen, zu den Todfeinden."
Im Gemeindesaal der Berliner Sehitlik-Moschee sitzen rund 100 Menschen und verfolgen die Geschichte von Jamal und Odette. Jamal ist 19, Araber und gläubiger Muslim, Odette ist 16 und Christin, aber hat – wie viele in Deutschland - mit Religion nicht viel am Hut. Die beiden versuchen zwar, in den Theaterproben offen miteinander umzugehen, doch letztlich brechen Verallgemeinerungen und Vorurteile immer wieder durch – entlang der religiösen Trennlinie.
Theaterstück:
Jamal: "Hör mal: Ich liebe meine Religion. Ihr Christen geht einmal die Woche in die Kirche, wenn überhaupt, fertig aus. Unser Glaube ist unser Leben, Muslime sind eine Gemeinschaft. Selbst ein Moslem, der die Gebote nicht einhält, sagt: Ich bin ein Moslem. Christen sagen das nicht. Warum? Weil sie keinen Stolz haben."
Odette: "Ich kenne solche Prediger. Massieren ihr Gewissen in der Moschee mit Koran und Allah, danach seid ihr umso schlimmer. Deutsche Mädchen haltet ihr für Huren und Mutti ist die Beste, ha."
Im Publikum sitzt auch Rolf Kemnitzer, Theaterregisseur und Autor von "Was du nicht siehst".
Kemnitzer: "Ich hab ne Freundin, die ist Lehrerin und die hat mir immer gesagt: Meine Schüler, die beschimpfen sich die ganze Zeit, die sagen sich gegenseitig ‚Schweinefleischfresser’. Das sind aber vorwiegend muslimische Schüler, offenbar wissen die gar nicht, was sie sich da an den Kopf werfen. Und diese Konflikte sind wohl in den letzten Jahren, diese religiösen oder pseudoreligiösen Konflikte, an Schulen, mehr geworden, nach allem, was ich erfahren habe.
Und das war dann der Auslöser, zu sagen, das wär’ doch interessant, das mal in die Schulen reinzutragen, ein Stück zu schreiben, ... also ne spannende Liebesgeschichte zu schreiben, aber wo es im Hintergrund um Religion geht. Und wo auch konkrete ... Vorurteile ausgesprochen werden, sodass man ... diesen sehr, sehr ungefähren Konflikt, der von Muslimen und Christen oder Atheisten ausgetragen wird, mal konkretisiert."
Im Stück treten die Vorurteile aber nicht nur zwischen Jamal und Odette offen zutage. Auch Odettes Vater, der sich als Deutsch- und Religionslehrer als Mittler zwischen den Kulturen und Religionen sieht, ist Teil des Konfliktes.
Theaterstück:
Jamal: "Sie brauchen das Toleranzgeschwafel, weil Ihr Glaube keine Kraft hat."
Lauer: "Na klar, Toleranz, das ist ja nix für Muslime. Eurem Propheten ging es ja hauptsächlich um Macht, und um genügend Frauen in seinem Harem, ist doch ein seltsamer Prophet, den ihr da verehrt!"
Jamal: "Ist doch besser, als einen Mensch anbeten. Jesus war ein Prophet, aber kein Gott!"
Lauer: "So, jetzt kocht dein Glaube aber über. Und warum: Ihr habt ein Gewaltproblem."
"Was du nicht siehst" ist ein Stück über die blinden Flecken in der eigenen Wahrnehmung – vor allem dort, wo es um tief sitzende Bilder und Gefühle geht. Das muss auch der Religionslehrer erfahren, als er merkt, dass seine Tochter sich in ihren Romeo verliebt – oder zumindest von dessen unhinterfragtem Glauben fasziniert ist.
Theaterstück:
Odette: "Jamal, der bekommt solche Augen, wenn er von seinem Gott spricht, und wenn du was von Gott sagst, dann klingt das so peinlich und so weit weg. Jamal sagt, wenn man fastet, dann kommt einem Gott näher, und der Koran ist ein Liebesbrief von Gott an die Menschen."
Lauer: "Ja klar! Und die Bibel wird nur von Menschen für Menschen geschrieben. Diese Sprüche kenn ich. Sieh dich vor was diesen jungen Mann angeht."
Als Odette schließlich mit dem Gedanken spielt, zum Islam überzutreten, ist es mit dem Verständnis des Lehrers vorbei. Jamals Freundin Gülay wirft ihm vor:
Theaterstück:
Gülay: "Erst machen Sie auf Toleranz auf großer Bühne: Ihr Völker, ihr Weltreligionen, umarmt euch, und jetzt sehen Sie Odette als Kanakenbraut."
Das Theaterstück, das sich vor allem an Jugendliche wendet, wurde bislang an sieben Schulen aufgeführt, mit anschließenden Workshops, damit die Schüler nicht bloße Zuschauer bleiben. Das größte Interesse haben die Jugendlichen an der Liebesgeschichte, sagt Workshop-Leiterin Verena Mosen. Doch auch die religiöse Seite des Stückes ist immer wieder Thema.
Mosen: "Zum Beispiel ist es so, dass, wenn die eine Schauspielerin sagt, sie ist Muslima aber sie praktiziert nicht, dass es durchaus Schülergruppen gibt, die da sehr, sehr tief dran diskutieren und die da auch teilweise Unverständnis haben oder auch verletzt sind. Und auf der anderen Seite ist es so, dass ich ne christlich-religiöse Schülerin erlebt hab, die gesagt hat: Wir kommen so schlecht weg in dem Stück und werden da so hingestellt als intolerante Religion, das sind wir ja auch nicht."
Auch in der Sehitlik-Moschee gibt es nach der Aufführung ein Gespräch. Auf dem Podium diskutieren der Vorsitzende der Moschee-Gemeinde, Ender Cetin, die Pfarrerin Elisabeth Kruse, sowie Regisseur und Schauspieler über Religion, Identität und die Freiheit der Wahl. Michael Gerlinger, der Odettes Vater gespielt hat, plädiert, wie schon auf der Bühne, für Toleranz.
Diskussion:
Gerlinger: "Ich denke, die Menschen müssen wissen, dass sie auf sich selber hören müssen und gucken müssen, dass sie tolerant sind gegenüber den Dingen, die die anderen Menschen machen. So!"
Kruse: "Ja ich glaube, so einfach ist es leider nicht, weil es Gesellschaften gibt, in denen die individuelle Lösung nicht greift, sondern da ist der gesellschaftliche Druck so groß, dass jemand völlig rausfällt aus allem, wenn er die Regeln, die gesetzt sind, nicht befolgt, und da hilft dann nicht das Credo der individuellen freien Entscheidung. Das ist leider so."
Kruse ist Pfarrerin in der Genezareth-Kirche im Norden Neuköllns, wo Menschen unterschiedlichster Kulturen und Religionen leben. Nicht alle jungen Migranten, so ihre Erfahrung, können bei der Wahl ihres Partners frei entscheiden – ohne den Ausschluss aus ihrer Familie oder Herkunftsgesellschaft befürchten zu müssen.
Auch in der Sehitlik-Moschee gab es anfangs gewisse Befürchtungen, erklärt Regisseur Rolf Kemnitzer: Ein Theaterstück im Gotteshaus, in dem es dazu noch um Liebe geht, kann das nicht die Gefühle der Gläubigen verletzen?
Kemnitzer: "Es gab Vorgespräche mit dem Vorsitzenden der Moschee und da haben wir dann uns entschlossen, eine Szene, in der Odette bauchfrei ist, in der Moschee-Vorstellung nicht bauchfrei zu spielen. Und ich fühlte mich überhaupt nicht zensiert, kann ich sagen, sondern ich finde das unheimlich spannend, dass man hier einen Ort hat, einen Ort der Reibung.
Wenn ich das in einem Stadttheaterstudio spielen lasse, das kümmert doch keinen, was da gespielt wird. Da kann kommen was will, man nimmt das als Kunst wahr – und gut ist. Und hier sind Menschen, die da wirklich noch zuhören, und das hat mich als Theatermacher interessiert, das Theater in einer ganz anderen Konfrontation mit der Realität zu erleben."
Zehn Mal ist "Was du nicht siehst" inzwischen gelaufen, ob es weitere Aufführungen geben wird, ist unklar. Die bisherigen Vorführungen hat die Stiftung Deutsche Klassenlotterie finanziert, ein neuer Geldgeber hat sich noch nicht gefunden. Die Schauspieler würden auf alle Fälle gern weitermachen, sagt Kemnitzer: Schüler und Lehrer hätten gleichermaßen mit großer Begeisterung reagiert.
Theaterstück:
"Lehrer Lauer: ‚Bist du da, Jamal?’ Romeo und Julia, Kinder zweier verfeindeter Clans, verlieben sich ineinander und bezahlen dafür mit ihrem Leben. Wir verlegen die Love-Story in unsere Tage, in unsere Stadt: eine Bande von Muslimen und eine Christen-Gang. Romeo, das bist du, liebt Julia, gespielt von meiner Tochter Odette, aber die gehört zu den anderen, zu den Todfeinden."
Im Gemeindesaal der Berliner Sehitlik-Moschee sitzen rund 100 Menschen und verfolgen die Geschichte von Jamal und Odette. Jamal ist 19, Araber und gläubiger Muslim, Odette ist 16 und Christin, aber hat – wie viele in Deutschland - mit Religion nicht viel am Hut. Die beiden versuchen zwar, in den Theaterproben offen miteinander umzugehen, doch letztlich brechen Verallgemeinerungen und Vorurteile immer wieder durch – entlang der religiösen Trennlinie.
Theaterstück:
Jamal: "Hör mal: Ich liebe meine Religion. Ihr Christen geht einmal die Woche in die Kirche, wenn überhaupt, fertig aus. Unser Glaube ist unser Leben, Muslime sind eine Gemeinschaft. Selbst ein Moslem, der die Gebote nicht einhält, sagt: Ich bin ein Moslem. Christen sagen das nicht. Warum? Weil sie keinen Stolz haben."
Odette: "Ich kenne solche Prediger. Massieren ihr Gewissen in der Moschee mit Koran und Allah, danach seid ihr umso schlimmer. Deutsche Mädchen haltet ihr für Huren und Mutti ist die Beste, ha."
Im Publikum sitzt auch Rolf Kemnitzer, Theaterregisseur und Autor von "Was du nicht siehst".
Kemnitzer: "Ich hab ne Freundin, die ist Lehrerin und die hat mir immer gesagt: Meine Schüler, die beschimpfen sich die ganze Zeit, die sagen sich gegenseitig ‚Schweinefleischfresser’. Das sind aber vorwiegend muslimische Schüler, offenbar wissen die gar nicht, was sie sich da an den Kopf werfen. Und diese Konflikte sind wohl in den letzten Jahren, diese religiösen oder pseudoreligiösen Konflikte, an Schulen, mehr geworden, nach allem, was ich erfahren habe.
Und das war dann der Auslöser, zu sagen, das wär’ doch interessant, das mal in die Schulen reinzutragen, ein Stück zu schreiben, ... also ne spannende Liebesgeschichte zu schreiben, aber wo es im Hintergrund um Religion geht. Und wo auch konkrete ... Vorurteile ausgesprochen werden, sodass man ... diesen sehr, sehr ungefähren Konflikt, der von Muslimen und Christen oder Atheisten ausgetragen wird, mal konkretisiert."
Im Stück treten die Vorurteile aber nicht nur zwischen Jamal und Odette offen zutage. Auch Odettes Vater, der sich als Deutsch- und Religionslehrer als Mittler zwischen den Kulturen und Religionen sieht, ist Teil des Konfliktes.
Theaterstück:
Jamal: "Sie brauchen das Toleranzgeschwafel, weil Ihr Glaube keine Kraft hat."
Lauer: "Na klar, Toleranz, das ist ja nix für Muslime. Eurem Propheten ging es ja hauptsächlich um Macht, und um genügend Frauen in seinem Harem, ist doch ein seltsamer Prophet, den ihr da verehrt!"
Jamal: "Ist doch besser, als einen Mensch anbeten. Jesus war ein Prophet, aber kein Gott!"
Lauer: "So, jetzt kocht dein Glaube aber über. Und warum: Ihr habt ein Gewaltproblem."
"Was du nicht siehst" ist ein Stück über die blinden Flecken in der eigenen Wahrnehmung – vor allem dort, wo es um tief sitzende Bilder und Gefühle geht. Das muss auch der Religionslehrer erfahren, als er merkt, dass seine Tochter sich in ihren Romeo verliebt – oder zumindest von dessen unhinterfragtem Glauben fasziniert ist.
Theaterstück:
Odette: "Jamal, der bekommt solche Augen, wenn er von seinem Gott spricht, und wenn du was von Gott sagst, dann klingt das so peinlich und so weit weg. Jamal sagt, wenn man fastet, dann kommt einem Gott näher, und der Koran ist ein Liebesbrief von Gott an die Menschen."
Lauer: "Ja klar! Und die Bibel wird nur von Menschen für Menschen geschrieben. Diese Sprüche kenn ich. Sieh dich vor was diesen jungen Mann angeht."
Als Odette schließlich mit dem Gedanken spielt, zum Islam überzutreten, ist es mit dem Verständnis des Lehrers vorbei. Jamals Freundin Gülay wirft ihm vor:
Theaterstück:
Gülay: "Erst machen Sie auf Toleranz auf großer Bühne: Ihr Völker, ihr Weltreligionen, umarmt euch, und jetzt sehen Sie Odette als Kanakenbraut."
Das Theaterstück, das sich vor allem an Jugendliche wendet, wurde bislang an sieben Schulen aufgeführt, mit anschließenden Workshops, damit die Schüler nicht bloße Zuschauer bleiben. Das größte Interesse haben die Jugendlichen an der Liebesgeschichte, sagt Workshop-Leiterin Verena Mosen. Doch auch die religiöse Seite des Stückes ist immer wieder Thema.
Mosen: "Zum Beispiel ist es so, dass, wenn die eine Schauspielerin sagt, sie ist Muslima aber sie praktiziert nicht, dass es durchaus Schülergruppen gibt, die da sehr, sehr tief dran diskutieren und die da auch teilweise Unverständnis haben oder auch verletzt sind. Und auf der anderen Seite ist es so, dass ich ne christlich-religiöse Schülerin erlebt hab, die gesagt hat: Wir kommen so schlecht weg in dem Stück und werden da so hingestellt als intolerante Religion, das sind wir ja auch nicht."
Auch in der Sehitlik-Moschee gibt es nach der Aufführung ein Gespräch. Auf dem Podium diskutieren der Vorsitzende der Moschee-Gemeinde, Ender Cetin, die Pfarrerin Elisabeth Kruse, sowie Regisseur und Schauspieler über Religion, Identität und die Freiheit der Wahl. Michael Gerlinger, der Odettes Vater gespielt hat, plädiert, wie schon auf der Bühne, für Toleranz.
Diskussion:
Gerlinger: "Ich denke, die Menschen müssen wissen, dass sie auf sich selber hören müssen und gucken müssen, dass sie tolerant sind gegenüber den Dingen, die die anderen Menschen machen. So!"
Kruse: "Ja ich glaube, so einfach ist es leider nicht, weil es Gesellschaften gibt, in denen die individuelle Lösung nicht greift, sondern da ist der gesellschaftliche Druck so groß, dass jemand völlig rausfällt aus allem, wenn er die Regeln, die gesetzt sind, nicht befolgt, und da hilft dann nicht das Credo der individuellen freien Entscheidung. Das ist leider so."
Kruse ist Pfarrerin in der Genezareth-Kirche im Norden Neuköllns, wo Menschen unterschiedlichster Kulturen und Religionen leben. Nicht alle jungen Migranten, so ihre Erfahrung, können bei der Wahl ihres Partners frei entscheiden – ohne den Ausschluss aus ihrer Familie oder Herkunftsgesellschaft befürchten zu müssen.
Auch in der Sehitlik-Moschee gab es anfangs gewisse Befürchtungen, erklärt Regisseur Rolf Kemnitzer: Ein Theaterstück im Gotteshaus, in dem es dazu noch um Liebe geht, kann das nicht die Gefühle der Gläubigen verletzen?
Kemnitzer: "Es gab Vorgespräche mit dem Vorsitzenden der Moschee und da haben wir dann uns entschlossen, eine Szene, in der Odette bauchfrei ist, in der Moschee-Vorstellung nicht bauchfrei zu spielen. Und ich fühlte mich überhaupt nicht zensiert, kann ich sagen, sondern ich finde das unheimlich spannend, dass man hier einen Ort hat, einen Ort der Reibung.
Wenn ich das in einem Stadttheaterstudio spielen lasse, das kümmert doch keinen, was da gespielt wird. Da kann kommen was will, man nimmt das als Kunst wahr – und gut ist. Und hier sind Menschen, die da wirklich noch zuhören, und das hat mich als Theatermacher interessiert, das Theater in einer ganz anderen Konfrontation mit der Realität zu erleben."
Zehn Mal ist "Was du nicht siehst" inzwischen gelaufen, ob es weitere Aufführungen geben wird, ist unklar. Die bisherigen Vorführungen hat die Stiftung Deutsche Klassenlotterie finanziert, ein neuer Geldgeber hat sich noch nicht gefunden. Die Schauspieler würden auf alle Fälle gern weitermachen, sagt Kemnitzer: Schüler und Lehrer hätten gleichermaßen mit großer Begeisterung reagiert.