Das Volk der Khwe soll entscheiden
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Der Afrikanist Oswin Köhler hat bis vor 30 Jahren aus Namibia Gegenstände, Heilpflanzen, Kleidung der Khwe nach Frankfurt gebracht. Die Goethe-Universität will dem Volk nun die Entscheidung überlassen, was damit geschieht. Nichts soll in falsche Hände kommen.
Der schlichte Flur des Instituts für Afrikanistik an der Goethe-Uni Frankfurt am Main. Hier stehen überall Vitrinen an den Wänden. Unter dem Glas zu sehen: Reste von geflochtenen Körben, Pfeil und Bogen, Kleidungsstücke und Schuhe. Sie stammen aus der Khwe-Kultur im südlichen Afrika. Nach Deutschland gebracht hat sie der Afrikanist Oswin Köhler (1911-1996), der erst zwischen den 1950er und 1990er Jahren regelmäßig ethnologische Forschungsreisen vor allem nach Namibia unternahm.
Die Wissenschaftlerin Gertrud Boden ist für die Aufarbeitung seiner mehreren tausend Kultgegenstände, Audios und Fotos umfassenden Sammlung in Frankfurt am Main zuständig.
Sie geht an den Vitrinen entlang, die im vergangenen Herbst von zwei Mitgliedern des Khwe-Volkes mit kuratiert wurden. Sie waren auf Einladung der Uni Frankfurt zu Gast und sichteten die Köhler-Sammlung gemeinsam mit Gertrud Boden: "Das ist so ein Ausstellungsentwurf, den die zwei Khwe aus Namibia, die hier zu Besuch waren und zusammen mit den Wissenschaftlern der Sammlung des Archivs bearbeitet haben, entworfen haben. Die Objekte angeguckt und dazu Geschichten erzählt haben und dann eben überlegt haben, was für Botschaften und was für Inhalte sie präsentieren wollen zu ihrer Kultur."
Heilpflanzen, die in Vergessenheit geraten
Der 60 Jahre alte Thaddeus Chedau war einer der beiden Gäste aus Namibia. Er sagte damals, er freue sich sehr, in Frankfurt am Main getrocknete Pflanzen entdeckt zu haben, die sein Volk der Khwe in Namibia lange Zeit als Heilpflanzen verwendeten, die aber inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten seien.
"Die Dinge, die wir hier in Frankfurt fanden, gehören uns, sind Teil unserer Kultur", betont Thaddeus Chedau. Drei Wochen lang sichtete er gemeinsam mit seinem Begleiter die Objekte: "Wir verlieren zu Hause langsam die Namen der Heilpflanzen", berichtet Thaddeus Chedau. "Denn die Alten, die noch das Wissen haben, sterben. Und viele Jungen kennen die Pflanzen nicht mehr."
Das Pflanzenarchiv in Frankfurt am Main kann da helfen. Gerade wird aus den rund 120 Pflanzenfunden im Stadtteil Bockenheim ein Bestimmungsbuch hergestellt, erzählt Gertrud Boden.
Khwe planen Kulturzentrum
Die Frankfurter Afrikanistin stoppt bei der Vitrine, in der Fotos einiger Heilpflanzen zu sehen sind. Die Khwe wollen sich mit ihnen zu Hause intensiv beschäftigen: "Und da haben sie sich so ein Buch gewünscht, also mit Fotos von diesen Pflanzenpräparaten. Wo die dann eigentlich eine eigene Forschung aufbauen wollen; damit zu Pflanzenkundigen gehen wollen, um noch mehr selbst zu erfahren. Das ist in der Mache. Das wird dann irgendwann dahin gebracht."
Das Khwe-Volk in Namibia und anderen Teilen des südlichen Afrikas zählt heute noch rund 10.000 Menschen. Sie gehören den San an, die ursprünglich als reine Jäger und Sammler lebten.
Gertrud Boden deutet auf eine Vitrine, in der ein DIN A4–Blatt mit einem aufgemalten großen Fragezeichen zu sehen ist. Darunter die Schrift: "Wer hilft uns". Ein lokales Kulturzentrum, wo man die Ausstellung mit den Objekten aus Frankfurt zeigen könnte, gibt es noch nicht. Aber es sei eines in Planung, berichtete Thaddeus Chedau bei seinem Besuch am Main.
Angst vor Patentierung von Pflanzen
Im November will die Frankfurter Afrikanistin Gertrud Boden mit Postern nach Namibia reisen, auf denen alle Objekte schon einmal als Foto zu sehen sein werden.
Ob Jagdwaffen oder Musikinstrumente, Lederschuhe oder ein großer, geflochtener Korb: Thaddeus Chedau betont immer wieder den Seltenheitswert, den diese Dinge heute für sein kleines Volk der Khwe haben.
Auch wenn es sich nicht um klassisches Raubgut aus der Kolonialzeit handelt, sollen die Khwe das Recht bekommen, selbst zu entscheiden, was mit ihren Objekten aus dem deutschen Uni-Archiv langfristig geschehen soll. Diese Haltung gab die Uni im vergangenen Jahr bei einer internationalen Konferenz zum Umgang mit Kulturgütern in Afrika in Frankfurt am Main bekannt.
Bis das Archiv zurück nach Afrika gebracht werden kann, bleibt man hierzulande dafür verantwortlich, dass etwa keine Khwe-Heilpflanzen in die Hände von Biotechnologie-Konzernen fallen und von ihnen patentiert werden: "Es gab ja auch einen bekannten Fall im südlichen Afrika mit dieser Hoodia-Pflanze", berichtet Boden. Daraus sei ein Schlankheitsmittel produziert worden. "Die San haben das gekaut, um den Hunger zu unterdrücken – und das ist dann eben kommerziell ausgenutzt wurden. Das haben sie halt im Kopf: Vielleicht wird das mit unserem Wissen auch passieren."
Wir konnten noch nicht entscheiden, wie wir letztendlich mit den Pflanzen und den anderen Dingen verfahren sollen, sagte Thaddeus Chedau bei seinem Besuch in Frankfurt am Main. Wir müssen das noch weiter diskutieren.
Präsentation im Netz
Gertrud Boden wird die Ergebnisse dieser Diskussion bei der Reise im kommenden Herbst erfahren. Sie deutet auf ein Blatt Papier in der nächsten Vitrine: "Hier, dieser Brief, da geht es um Unterricht in der Muttersprache. Dann war auch die Frage, wie die Sachen im Netz präsentiert werden sollen. Vor einigen Jahren sind die Objekte auch schon mal digitalisiert und ins Netz gestellt worden, allerdings ohne viele Informationen. Und da ist halt irgendwie die Frage, was sie dann auch vor Ort diskutieren wollen, wie das präsentiert werden soll, wer das Zugang zu haben soll."
Klar ist aber: Die gemeinsame Ausstellung soll sich nicht nur auf die Vergangenheit richten. In einer Vitrine ist unter anderem eine Packung Rasta-Locken aus Plastik. Sie soll zeigen, welche reichhaltigen Kulturtechniken früherer Jahre gerade endgültig verloren gehen.
"Da ist das Original-Wörterbuch von Oswin Köhler ausgestellt, das der per Hand im Feld geschrieben hat und eine Grammatik. Dann eine Karte aus der deutschen Kolonialzeit. Und diese Karte ist halt auch im heutigen, politischen Kontext wichtig. Weil das Gebiet, in dem die Khwe heute leben, ist ein Nationalpark", sagt Boden.
Koloniale Karte und die Landrechte heute
Die Wissenschaftlerin fährt fort. "Und es geht um Landrechte. Eben auch zu belegen, dass das ursprünglich ihr Land war. Und da kann so eine Karte, obwohl sie aus dem kolonialen Kontext ist, dann auch unter Umständen hilfreich sein."
Das wäre eine Ironie der Geschichte: Mit Hilfe einer deutschen Karte aus der Kolonialzeit könnten gegebenenfalls heute die Landansprüche der Khwe gegen die aktuellen Bodenbesitzer oder die Regierung in Namibia durchgesetzt werden.