Gegenwart lesen

Das schwarze und das deutsche Krokodil

Der Literaturkritiker Ijoma Mangold bei einer Debatte
Der Literaturkritiker Ijoma Mangold bei einer Debatte © imago/MAVERICKS
Ijoma Mangold im Gespräch mit René Aguigah |
In "Das deutsche Krokodil" erzählt der Literaturkritiker Ijoma Mangold seinen Werdegang und seine Geschichte als Sohn eines Nigerianers und einer Schlesierin. Es geht um Irritationen der Integration, um Scham und Selbstbewusstsein. Ein Buch über die deutsche Gegenwart.
Zu Beginn erinnert sich Ijoma Mangold an erste Lektüren während der Kindheit und Jugend: "Wo die wilden Kerle wohnen", weil da am Ende die gute Ordnung wieder hergestellt wurde; Wolfgang Leonhards "Die Revolution entlässt ihre Kinder", weil da so schwierig schöne Fremdwörter vorkamen; später Thomas Mann, wegen der langen Sätze. Manchmal habe ihm seine Mutter afrikanische Märchen vorlesen wollen. "Das habe ich gehasst", sagt er.
Wie überhaupt "dem Jungen" – so nennt Mangold im Buch sich selbst während der Kindheitsjahre – alles unangenehm war, was von der Norm abwich. In Heidelberg wuchs er mit seiner Mutter auf, die er als unkonventionelle Frau charakterisiert. Behütete, gebildete Verhältnisse, aber nicht zuletzt wirtschaftlich fragil. Ein Krokodil aus Ebenholz im heimischen Wohnzimmer erinnerte daran, dass dieser Haushalt eine Verbindung mit Afrika hatte. Dafür habe er sich eher geschämt, als dass er etwa stolz darauf gewesen wäre. "Da hätte man sich ja gleich selbst bei der Polizei anzeigen können." Das Krokodil habe auf zwei "Irregularitäten" verwiesen: einen afrikanischen und einen abwesenden Vater zu haben.

Er sollte in Nigeria leben

Ausgrenzung wegen seiner Hautfarbe habe er in Heidelberg nicht erfahren. Wenn es Diskriminierung gegeben habe, dann "Selbstdiskriminierung" – die Sorge nämlich, es könnte etwas passieren, "und diese Sorge bin ich nie losgeworden".
Als Ijoma Mangold Anfang zwanzig ist, taucht sein Vater plötzlich auf – und mit ihm dessen Wunsch, der in Deutschland aufgewachsene Sohn möge in Nigeria leben, heiraten, das Krankenhaus des Vaters leiten. In der wuchtigen Begegnung mit seiner nigerianischen Familie erfährt Mangold viel, was ihm fremd ist. "Beheimatung heißt für mich schon, dass man dem anderen das Herz öffnet und über die eigenen Sorgen, Werdegang, Wünsche redet. Nur so entsteht Nähe." Dies habe ihm in Nigeria gefehlt. Heute habe er liebevollen Kontakt mit seinen Geschwistern. Eine "wahlverwandtschaftliche" Nähe zu Nigeria habe sich aber nicht ergeben.

Deutscher als die Deutschen?

Ob er in Deutschland überangepasst sei, Deutscher als die Deutschen? "Wenn Sie wissen, dass Sie optisch aus dem Rahmen fallen, haben Sie eine Möglichkeit, diesen Eindruck zu zerstreuen, nämlich durch Sprache. Deshalb hat Reden in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt." Einmal habe er erfahren, dass diese "vorauseilende Markierung, dazuzugehören", nicht nötig gewesen sei: bei einem längeren Aufenthalt in Los Angeles. Und das war tatsächlich "entspannend".
Und, noch einmal, Rassismus in Deutschland? Wenn dieser Tage der AfD-Politiker Alexander Gauland die Integrationsbeauftrage der Bundesregierung in Anatolien "entsorgen" wolle, sei das "lupenreiner Rassismus". Ihm selbst sei Derlei aber selten widerfahren. Möglichweise sei er allerdings auch zurückhaltend in der Bewertung mancher Erlebnisse. "Vielleicht bin ich kulant, weil das für meinen Seelenfrieden auch angenehmer ist. Aber ich glaube nicht, dass ich wirklich schlimme Erfahrungen verdränge."
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