Gegenwehr mit der Kopftuchnadel

Von Hans-Ulrich-Pönack |
Drei Frauen in Ägypten und sie haben eines gemeinsam: Sie werden von Männern unterdrückt und sexuell belästigt. Der Film "Kairo 678", benannt nach einer Buslinie, rückt ihren Kampf und ihre Gegenwehr in den Fokus.
"Kairo 678" ist von einem renommierten, jungen, ägyptischen Drehbuchschreiber, dessen Regiedebüt inzwischen auf internationalen Filmfestivals wie Dubai oder Chicago lief und dort auf positive Aufnahme stieß. Es ist in diesen Wochen rund ein Jahr her, dass in der ägyptischen Hauptstadt die Unruhen und Proteste gegen das Mubarak-Regime begannen. Dieser Film entstand zwar davor, kann und darf aber als eine Art gedanklicher Wegbereiter betrachtet werden. Auch, weil es gegen ihn zu Hause - von Männern - vehemente Proteste gab. So wurde dem Filmemacher potenzielle Anstiftung zur Genitalverstümmelung von Männern durch Frauen vorgeworfen.

Als in Kairo im Vorjahr die Massenproteste begannen und zum Arabischen Frühling führten, rebellierten Männer und Frauen gleichzeitig wie gleichberechtigt Seite an Seite. Was ansonsten in Ägypten eher die Ausnahme ist. Denn laut einer Studie aus dem Jahr 2008 ist die überwiegende Mehrzahl der einheimischen Frauen, sind über 80 Prozent der Ägypterinnen täglicher sexueller Belästigung ausgesetzt,ohne dass dies angeprangert, verfolgt und gerichtet wird. Davon handelt, darüber erzählt der aufwühlende Film, in dem drei gesellschaftlich sehr unterschiedliche Frauen in den Mittelpunkt des Geschehens rücken.

678 ist eine Buslinie in Kairo. Die zweifache Mutter Fayza fährt mit dieser Buslinie tagtäglich zur Arbeit und wird hier, im engen Gedrängel, ständig betatscht. Ihre Proteste verpuffen in der allgemeinen Gleichgültigkeit. Durch Seba , eine Frau aus der Oberschicht, die vor Jahren von einem Männermob vergewaltigt wurde und seitdem eine Selbsthilfegruppe leitet, lernt die traumatisierte Fayza sich zu wehren - zunächst nur mit einer Kopftuchnadel. Die junge Künstlerin Nelly ist die erste Frau, die "dagegen offiziell aufbegehrt und Klage wegen sexueller Belästigung einreicht. Anfangs belächelt, weder wahr- noch ernst genommen, lässt sie nicht locker. Drei Frauen, ihre vergleichbaren Schicksale und ihre tiefen Wunden.

"Kairo 678" besitzt durchaus Ähnlichkeiten mit dem vorjährigen, hochdekorierten iranischen Meisterwerk "Nader und Simin - Eine Trennung" von Asghar Farhadi (im Vorjahr "Goldener Berlinale Bär"; soeben Auslandsoscar). In beiden Filmen wird das veraltete, verstaubte und frauenfeindliche System kritisch beobachtet. Während Farhadi vergleichsweise Strenge zelebrierte, setzt Mohamed Diab hier auf Verstand und Emotionen. Zum Beispiel, wenn es - endlich - um die praktische Gegenwehr von Frauen gegenüber ihren Peinigern geht, oder wenn sich eine solidarische Verbundenheit zeigt.

"Kairo 678" ist ein aufrüttelnder, intelligenter Film zu einer aktuellen Betrachtung.

Ägypten 2010; Originaltitel: Cairo 678; Regie: Mohamed Diab; Darsteller: Nelly Karim, Nahed El Sebaï, Boshra, Bassem Samra, Omar El Saedd, Ahmed El Feshawy, Maged El Kedwany, Sawsan Badr, Yara Goubran; 100 Minuten

Filmhomepage "Kairo 678"