Geheime Gespräche mit Piraten
Im Rahmen eines Piratenprojektes hat das Hamburger Theater Kampnagel Fragen von Kindern per Video an Seeräuber in Somalia übermittelt. Die Aufzeichnungen fanden eingang in das Stück "Parlez! Echte Piraten", das während des "Sommerfestivals 2011" zu sehen ist.
Laura, Leonie, Karoline, Mel und Joan, zwischen acht und zwölf Jahre alt, haben alle "Fluch der Karibik" gesehen und sich entsprechend verkleidet: mit Pumphose und Kopftuch, Augenklappe und Totenkopf-T-Shirt. Aus 200 Schülern hat die Hamburger Performance-Gruppe Geheimagentur sie ausgewählt für ihr Piratenprojekt. In zehn Tagen hat es Premiere beim Sommerfestival, später ist es bei den Wiener Festwochen zu sehen. Die fünf Kinder werden echten Piraten in Somalia Fragen stellen.
"Was macht ihr genau als Piraten, und wie viele Piraten seid ihr eigentlich? – Warum überfallen die Piraten nicht nur die Fischerboote, sondern auch die großen Containerschiffe?"
Das Parlez, die Unterredung der Kinder mit den Piraten, tatsächlich herzustellen, das war nur virtuell möglich. Und selbst dann ausgesprochen schwierig. Zwei Mitarbeiter der Geheimagentur, die ihre Namen unter allen Umständen geheim halten wollen, sind mit den Kinderfragen in die kenianische Hauptstadt Nairobi gereist und haben dort auf Video die Antworten ehemaliger Piraten aufgezeichnet.
Die bekommen, wie alle Somalier, keine Einreisegenehmigung für Deutschland. Doch immerhin wird der somalische Kontaktmann der Geheimagentur an dem Theaterabend teilnehmen, er besitzt nämlich einen kenianischen Pass. Und die Videobotschaften werden, in Verbindung mit der Präsenz der Kinder auf der Bühne, genügend dramatische Wirkung entfalten, glaubt die Geheimagentur.
"Uns geht es darum, dass Leute ihre Geschichte, ihre Sicht der Dinge erzählen. In einem Setting, das nicht von vornherein heißt: Wir müssen uns vor einem Gericht verteidigen."
Diese Geschichte hat, so Festivalleiter Matthias von Hartz, unmittelbar mit dem Thema Gemeingut zu tun oder eben mit dessen Verlust:
"Irgendwann war nämlich der zerfallende somalische Staat nicht mehr in der Lage, das Wasser und die Fische vor Somalia zu schützen. A wurde alles leer gefischt, und b wurde dort jede Menge Giftmüll verklappt. Und irgendwann war es für die Fischer nicht mehr möglich, von ihren Fischen zu leben. Und so ist der somalische Pirat geboren worden."
Hamburger Reeder würden womöglich eine ganz andere Version erzählen. Viele Produktionen des Festivals beschäftigen sich eben damit, mit Umdeutungen und Deutungshoheit. So "Tomorrow’s Parties" von "Forced Entertainment".
"Diese Gruppe aus England, die es immer wieder schafft, Theater so auf die Essenz zu reduzieren, mit ganz einfachen Fragen wie: Lüg ich dich an, lieber Zuschauer, wenn ich auf der Bühne bin. Oder spielst du mit mir das Illusionsspiel mit."
Es braucht nämlich bloß zwei Schauspielerinnen und vier Stühle, beweist die spanische Konzeptkünstlerin Cuqui Jerez in ihrem Stück "The Nowness Mistery", das auf Kampnagel seine Uraufführung feierte. Die Stühle sind mal die Sitze in einem Taxi, dann wieder die eines Motorrads, auf dem Angelina Jolie Brad Pitt ins Krankenhaus fährt. Sie hat ihm die Nase gebrochen, weil er sie verlassen will. Diesen Moment nehmen die beiden Darstellerinnen immer wieder neu auf. Mal ist er nur eine Fiktion, Anlass für das Theaterstück, das sie da vor unseren Augen entwickeln, mal sind sie Angelina und Brad. Doch da sie in der vorigen Szene bereits den Faustschlag auf die Nase gespielt haben, verhindert der nun gerade die große Trennungsaussprache.
"Wait. Angelina. I have been thinking, and I want to tell you something. Listen. – Brad? – Angelina, listen, this is important! – I know, but your nose! – What happened with my nose? – Your nose is growing! – What do you say? – Let me see! – It’s huge! And it’s growing second by second, let me see."
Amüsant verhandelt Cuqui Jerez die Frage: Wie hätte ich mich entschieden, was hätte ich anders gemacht, wenn irgendein Detail früher oder später eingetreten wäre? Die Konstruktion von Wirklichkeiten um diesen Angelpunkt ist wesentlich unterhaltsamer als die spätere Dekonstruktion: Als der Vorhang, der den leeren Spiel-Raum nach hinten abschließt, fällt, kommt dahinter ein perfekt ausgestattetes Zimmer zum Vorschein. Wie die beiden Darstellerinnen es allmählich zerlegen und die Topfpflanze zum Wald erklären oder den Tisch zur Weltraumstation, ergibt allerdings keine Geschichte mehr. Der Charme des Beginns, der Theaterillusion ohne Hilfsmittel, ist dahin.
Mit dem Verfließen der Zeit und ihrer Darstellung auf der Bühne beschäftigt sich auch ein Stück aus Buenos Aires: Regisseur Mariano Pensotti lässt zehn Jahre im Leben vier junger Menschen an uns vorüberziehen. Auf einer Drehbühne, unterteilt in vier Zimmer, die im Hintergrund ständig umdekoriert werden. Auch die vier Darsteller wechseln laufend die Rollen, verkörpern abwechselnd eine der vier Hauptpersonen und dann wieder Freundin, Mutter, Arbeitgeber des nächsten Protagonisten. Oder den Erzähler, der mit dem Mikrofon durch die Handlung führt: Tierarzthelferin Vicky hat wegen persönlichen Kummers versehentlich einen Hund kastriert:
"Vicky behauptet weiterhin, es gebe kein Problem, aber dann sagt sie etwas, das sie nicht hätte sagen dürfen: ‚Sie müssen wissen, dass kastrierte Hunde seltener krank werden.’"
Der 11. September, Selbstmordattentate in Israel, die Finanzkrise Argentiniens greifen in das Leben der Protagonisten ein. Nach zehn Jahren sind sie ungefähr wieder am Ausgangspunkt angelangt, wie um dem Titel des Stücks Recht zu geben: "Die Vergangenheit ist ein groteskes Tier". Es kommt eben immer darauf an, wie man sie in Erzählungen oder im Theater präsentiert.
Link zum Thema:
Hamburger Theater Kampnagel: "Parlez! Echte Piraten"
"Was macht ihr genau als Piraten, und wie viele Piraten seid ihr eigentlich? – Warum überfallen die Piraten nicht nur die Fischerboote, sondern auch die großen Containerschiffe?"
Das Parlez, die Unterredung der Kinder mit den Piraten, tatsächlich herzustellen, das war nur virtuell möglich. Und selbst dann ausgesprochen schwierig. Zwei Mitarbeiter der Geheimagentur, die ihre Namen unter allen Umständen geheim halten wollen, sind mit den Kinderfragen in die kenianische Hauptstadt Nairobi gereist und haben dort auf Video die Antworten ehemaliger Piraten aufgezeichnet.
Die bekommen, wie alle Somalier, keine Einreisegenehmigung für Deutschland. Doch immerhin wird der somalische Kontaktmann der Geheimagentur an dem Theaterabend teilnehmen, er besitzt nämlich einen kenianischen Pass. Und die Videobotschaften werden, in Verbindung mit der Präsenz der Kinder auf der Bühne, genügend dramatische Wirkung entfalten, glaubt die Geheimagentur.
"Uns geht es darum, dass Leute ihre Geschichte, ihre Sicht der Dinge erzählen. In einem Setting, das nicht von vornherein heißt: Wir müssen uns vor einem Gericht verteidigen."
Diese Geschichte hat, so Festivalleiter Matthias von Hartz, unmittelbar mit dem Thema Gemeingut zu tun oder eben mit dessen Verlust:
"Irgendwann war nämlich der zerfallende somalische Staat nicht mehr in der Lage, das Wasser und die Fische vor Somalia zu schützen. A wurde alles leer gefischt, und b wurde dort jede Menge Giftmüll verklappt. Und irgendwann war es für die Fischer nicht mehr möglich, von ihren Fischen zu leben. Und so ist der somalische Pirat geboren worden."
Hamburger Reeder würden womöglich eine ganz andere Version erzählen. Viele Produktionen des Festivals beschäftigen sich eben damit, mit Umdeutungen und Deutungshoheit. So "Tomorrow’s Parties" von "Forced Entertainment".
"Diese Gruppe aus England, die es immer wieder schafft, Theater so auf die Essenz zu reduzieren, mit ganz einfachen Fragen wie: Lüg ich dich an, lieber Zuschauer, wenn ich auf der Bühne bin. Oder spielst du mit mir das Illusionsspiel mit."
Es braucht nämlich bloß zwei Schauspielerinnen und vier Stühle, beweist die spanische Konzeptkünstlerin Cuqui Jerez in ihrem Stück "The Nowness Mistery", das auf Kampnagel seine Uraufführung feierte. Die Stühle sind mal die Sitze in einem Taxi, dann wieder die eines Motorrads, auf dem Angelina Jolie Brad Pitt ins Krankenhaus fährt. Sie hat ihm die Nase gebrochen, weil er sie verlassen will. Diesen Moment nehmen die beiden Darstellerinnen immer wieder neu auf. Mal ist er nur eine Fiktion, Anlass für das Theaterstück, das sie da vor unseren Augen entwickeln, mal sind sie Angelina und Brad. Doch da sie in der vorigen Szene bereits den Faustschlag auf die Nase gespielt haben, verhindert der nun gerade die große Trennungsaussprache.
"Wait. Angelina. I have been thinking, and I want to tell you something. Listen. – Brad? – Angelina, listen, this is important! – I know, but your nose! – What happened with my nose? – Your nose is growing! – What do you say? – Let me see! – It’s huge! And it’s growing second by second, let me see."
Amüsant verhandelt Cuqui Jerez die Frage: Wie hätte ich mich entschieden, was hätte ich anders gemacht, wenn irgendein Detail früher oder später eingetreten wäre? Die Konstruktion von Wirklichkeiten um diesen Angelpunkt ist wesentlich unterhaltsamer als die spätere Dekonstruktion: Als der Vorhang, der den leeren Spiel-Raum nach hinten abschließt, fällt, kommt dahinter ein perfekt ausgestattetes Zimmer zum Vorschein. Wie die beiden Darstellerinnen es allmählich zerlegen und die Topfpflanze zum Wald erklären oder den Tisch zur Weltraumstation, ergibt allerdings keine Geschichte mehr. Der Charme des Beginns, der Theaterillusion ohne Hilfsmittel, ist dahin.
Mit dem Verfließen der Zeit und ihrer Darstellung auf der Bühne beschäftigt sich auch ein Stück aus Buenos Aires: Regisseur Mariano Pensotti lässt zehn Jahre im Leben vier junger Menschen an uns vorüberziehen. Auf einer Drehbühne, unterteilt in vier Zimmer, die im Hintergrund ständig umdekoriert werden. Auch die vier Darsteller wechseln laufend die Rollen, verkörpern abwechselnd eine der vier Hauptpersonen und dann wieder Freundin, Mutter, Arbeitgeber des nächsten Protagonisten. Oder den Erzähler, der mit dem Mikrofon durch die Handlung führt: Tierarzthelferin Vicky hat wegen persönlichen Kummers versehentlich einen Hund kastriert:
"Vicky behauptet weiterhin, es gebe kein Problem, aber dann sagt sie etwas, das sie nicht hätte sagen dürfen: ‚Sie müssen wissen, dass kastrierte Hunde seltener krank werden.’"
Der 11. September, Selbstmordattentate in Israel, die Finanzkrise Argentiniens greifen in das Leben der Protagonisten ein. Nach zehn Jahren sind sie ungefähr wieder am Ausgangspunkt angelangt, wie um dem Titel des Stücks Recht zu geben: "Die Vergangenheit ist ein groteskes Tier". Es kommt eben immer darauf an, wie man sie in Erzählungen oder im Theater präsentiert.
Link zum Thema:
Hamburger Theater Kampnagel: "Parlez! Echte Piraten"