Geheimgänge und Widergänger
Es scheint konsequent, dass Hartmut Lange, der mit allen Wassern gewaschene Aufklärungsskeptiker, sein neues Buch in einem Museum spielen lässt. Ist dies doch der Ort, an dem sich Menschen seit der Aufklärung die Welt ordnend aneignen.
Man wundert sich allenfalls, dass der 74-jährige Dramatiker und Prosa-Autor, der das Genre der Novelle in den letzten Jahrzehnten auf beeindruckende Weise wiederbelebt hat, sich damit soviel Zeit ließ. Denn was lag näher, als dass der Meister unter den fantastischen Rationalisten seine heimlich-unheimlichen, seine unerhörten Begebenheiten zwischen den Relikten vergangener Zeiten ansiedelte?
Schauplatz der sieben, thematisch lose miteinander verwobenen Geschichten ist das Deutsche Historische Museum in Berlin, wo mehr als 8000 Exponate, vom restaurierten Tongefäß aus dem Mittelalter bis zum VEB-Kaffeeservice, 2000 Jahre deutscher Geschichte einfangen sollen. Doch es geht nicht so sehr um Rüstungen und Seidenschuhe, es geht um die Menschen, die das Museum bevölkern, und um ihre Fantasien, um das Dienstpersonal, das die Zeit tagaus, tagein mit Warten und Tagträumen verbringt. Mancher Besucher folgt einer fixen Idee und verschwindet schon mal in einem Geheimgang, und historische Figuren steigen aus Bildern oder Vitrinen und stolpern als Widergänger durch die Räume.
Es ist wie immer bei Hartmut Lange: Die Wirklichkeit scheint Risse zu haben. Hinter ihr gibt es noch eine andere Welt, die sich der gesunde Menschenverstand nicht erklären kann. Etwa wenn ein später Museumsbesucher von der Drehtür nicht mehr ins Freie gelassen wird und sich kampflos damit abfindet, in den menschenleeren Hallen gefangen zu sein. Wenn eine Aufseherin einem leichten Luftzug nachgeht und spurlos verschwindet. Oder wenn sich ein diensteifriger Volontär wie selbstverständlich auf die Suche nach einer Mutter mit ihrem Kind begibt, die aus einer anderen Epoche zu stammen scheinen und nachts auf der Suche nach dem Himmel und dem Trost der Sterne herumgeistern.
Langes Geschichten spielen mit dem Unheimlichen, dem Verdrängten, und scheuen nicht zurück vor alptraumhaften Konsequenzen. Die Tradition der schwarzen Romantik aufgreifend, entwickeln sie umso größere Suggestion, als sie in einer klaren, schnörkellosen Sprache verfasst sind. Während unauffällig gelegte Spuren wie in Kriminalgeschichten die Spannung erhöhen, wächst die Verunsicherung des Lesers. Dazu trägt auch Langes Umgang mit der Erzählperspektive bei: Sein zunächst allwissender Erzähler staunt bald über die eigenen Figuren, spekuliert dann über ihre Motive und schlüpft schließlich sogar in sie, auch wenn sie spurlos verschwinden. Dem Leser wird so der Museumsboden unter den Füßen weggezogen.
Seit jeher widmet Lange sich der dunklen Seite der menschlichen Existenz, den Lebenslügen, der ungesühnten Schuld, vor allem aber der Angst vor der eigenen Endlichkeit. Doch seine Figuren leiden nicht unter seelischen Defekten. Darum erspart er uns jede Art von Psychologie. Fesselnd in ihrer Lakonie verweisen seine Phantasiestücke darauf, wie in der vernünftigen (Museums-) Welt der Dinge das Unerklärliche im Menschen hervorbricht. Denn "Literatur hat", weil sie von Menschen handelt, "ihren eigenen Wahrheitsgrund."
Besprochen von Edelgard Abenstein
Hartmut Lange: Im Museum. Unheimliche Begebenheiten
Diogenes Verlag, Zürich 2011
114 Seiten, 19,90 Euro
Schauplatz der sieben, thematisch lose miteinander verwobenen Geschichten ist das Deutsche Historische Museum in Berlin, wo mehr als 8000 Exponate, vom restaurierten Tongefäß aus dem Mittelalter bis zum VEB-Kaffeeservice, 2000 Jahre deutscher Geschichte einfangen sollen. Doch es geht nicht so sehr um Rüstungen und Seidenschuhe, es geht um die Menschen, die das Museum bevölkern, und um ihre Fantasien, um das Dienstpersonal, das die Zeit tagaus, tagein mit Warten und Tagträumen verbringt. Mancher Besucher folgt einer fixen Idee und verschwindet schon mal in einem Geheimgang, und historische Figuren steigen aus Bildern oder Vitrinen und stolpern als Widergänger durch die Räume.
Es ist wie immer bei Hartmut Lange: Die Wirklichkeit scheint Risse zu haben. Hinter ihr gibt es noch eine andere Welt, die sich der gesunde Menschenverstand nicht erklären kann. Etwa wenn ein später Museumsbesucher von der Drehtür nicht mehr ins Freie gelassen wird und sich kampflos damit abfindet, in den menschenleeren Hallen gefangen zu sein. Wenn eine Aufseherin einem leichten Luftzug nachgeht und spurlos verschwindet. Oder wenn sich ein diensteifriger Volontär wie selbstverständlich auf die Suche nach einer Mutter mit ihrem Kind begibt, die aus einer anderen Epoche zu stammen scheinen und nachts auf der Suche nach dem Himmel und dem Trost der Sterne herumgeistern.
Langes Geschichten spielen mit dem Unheimlichen, dem Verdrängten, und scheuen nicht zurück vor alptraumhaften Konsequenzen. Die Tradition der schwarzen Romantik aufgreifend, entwickeln sie umso größere Suggestion, als sie in einer klaren, schnörkellosen Sprache verfasst sind. Während unauffällig gelegte Spuren wie in Kriminalgeschichten die Spannung erhöhen, wächst die Verunsicherung des Lesers. Dazu trägt auch Langes Umgang mit der Erzählperspektive bei: Sein zunächst allwissender Erzähler staunt bald über die eigenen Figuren, spekuliert dann über ihre Motive und schlüpft schließlich sogar in sie, auch wenn sie spurlos verschwinden. Dem Leser wird so der Museumsboden unter den Füßen weggezogen.
Seit jeher widmet Lange sich der dunklen Seite der menschlichen Existenz, den Lebenslügen, der ungesühnten Schuld, vor allem aber der Angst vor der eigenen Endlichkeit. Doch seine Figuren leiden nicht unter seelischen Defekten. Darum erspart er uns jede Art von Psychologie. Fesselnd in ihrer Lakonie verweisen seine Phantasiestücke darauf, wie in der vernünftigen (Museums-) Welt der Dinge das Unerklärliche im Menschen hervorbricht. Denn "Literatur hat", weil sie von Menschen handelt, "ihren eigenen Wahrheitsgrund."
Besprochen von Edelgard Abenstein
Hartmut Lange: Im Museum. Unheimliche Begebenheiten
Diogenes Verlag, Zürich 2011
114 Seiten, 19,90 Euro