"Geheimnisse im Privatesten werden von jedem geteilt"
Die Liebe ist ein wichtiges Motiv in zweiten Band der Autobiografie des norwegischen Schriftstellers Karl Ove Knausgard. Und sie ist auch ein wichtiges Motiv in seinem Leben. Im Buch erzählt er mit entwaffnender Ehrlichkeit von seinen Kindern, seiner Frau und seinem Wohnsitz, Malmö in Schweden.
Joachim Scholl: In Norwegen der größte Bestseller seit Jahrzehnten, mittlerweile in 14 Sprachen übersetzt, sechs Bände mit fast 3000 Seiten, das ist "Min Kamp", wie der Schriftsteller Karl Ove Knausgard sein autobiografisches Romanriesenwerk getauft hat, nach einem Ausspruch seiner Oma, die immer gesagt hat, das Leben ist ein Kampf. Auf Deutsch war dieser Titel aus verständlichem historischen Grund natürlich unmöglich, und so ist der erste Band im vergangenen Jahr unter dem Titel "Sterben" erschienen. Da ging es hauptsächlich um die Beziehung des Autors zu seinem Vater und dem Umgang mit dessen Tod. Jetzt folgt der zweite Band in deutscher Übersetzung, er heißt "Lieben". Karl Ove Knausgard ist bei uns zu Gast, wir sprechen Englisch mit ihm. Willkommen - welcome to Deutschlandradio Kultur!
Karl Ove Knausgard: Thank you very much!
Scholl: "Lieben", Herr Knausgard, ist ein sehr passender deutscher Titel, denn tatsächlich steht die Liebe im Zentrum der nahezu 800 Seiten: Die Liebe zu Ihrer Frau Linda, die Liebe zu Ihren Kindern Wanja, Heidi und John, aber auch die Liebe zur Literatur, die so brennend ist und intensiv, dass sie die Liebe zur Familie oft wie ein Schlachtfeld aussehen lässt. Rundheraus gefragt, Herr Knausgard: Sind Sie mit Linda noch verheiratet?
Knausgard: Ja, durchaus. Ich muss aber auch sagen, als ich ihr das Buch vorlegte, war sie entsetzt. Wir hatten eine Krise in unserer Beziehung. Sie hat das Buch gelesen und hat gesagt: Good bye, Romatik - alle Illusionen und Wahnvorstellungen, die sie hatte, hat sie über Bord geworfen, alles, was man in einer Beziehung ahnt, aber nicht erwähnt. Ich habe es jetzt erwähnt. Nun, Linda ist selbst Schriftstellerin, sie weiß doch, wie der Hase läuft. Ich glaube, es hat uns letztlich sogar gut getan, denn wir müssen doch zueinander ehrlich sein, nach allem, was geschehen ist. Wir können doch nicht so tun, als wäre das nicht geschehen. Das ist wirklich etwas Wohltuendes, aber es war für sie sehr, sehr hart. Auch die Tatsache, dass es ja veröffentlicht wurde und dass andere Menschen das jetzt wissen, war für sie nicht leicht.
Scholl: Ich frage das so direkt, Herr Knausgard, weil Ihr Buch einfach von einer solch schonungslosen Ehrlichkeit geprägt ist, von der Sie jetzt auch gesprochen haben, dass es einem wirklich den Atem verschlägt. Die ersten 100 Seiten etwa schildern einen Familienausflug, und danach will man eigentlich keine Kinder mehr haben. Wie schwer oder, ja, wie leicht ist Ihnen das gefallen, so zu schreiben?
Knausgard: Am Anfang war es wirklich sehr schwer für mich, denn ich hab mich gefragt, kann ich das wirklich tun. Einer der springenden Punkte bei diesem Schreibvorgang war, dass ich wirklich mich einschloss in eine stille Kammer und nicht daran dachte, was darauf folgen konnte. Ich habe nicht an die Reaktionen von Linda oder von meinen Verwandten gedacht. Ich hab mir gedacht, ach, Mensch, ist mir doch egal, ich mach das jetzt einfach. Da ist natürlich auch eine Menge Aggressivität drin. Und dann hat sich die Situation völlig verwandelt, als das Buch in der Öffentlichkeit erschien. Ich musste dafür geradestehen. Meine Entdeckung aber bei diesem Buch ist, was man als Geheimnis im Privatesten hat, wird von jedem geteilt. Jeder hat doch solche schwierigen Zeiten beim Erziehen von Kindern. Es ist ganz wichtig, dass man das auch mal benennt - ich einem Roman, in einer gesteuerten Auseinandersetzung, in einem geschützten Umfeld. Die Reaktionen, die die Leute dann zeigen, ist immer das Wiedererkennen: Oh, das geschieht mir genauso in meinem Leben.
Scholl: "Ich lebe davon, über jede kleinste Peinlichkeit zu schreiben, die mir jemals zugestoßen ist", heißt es an einer Stelle, und eine solche Peinlichkeit ist die Szene, in der Sie mit Ihrer Tochter Wanja in der Babytanzgruppe auftreten. Sie fühlen sich so entsetzlich albern und müssen dennoch wacker mittun. Ist das so zu einer Art Trauma geworden? Ich könnte mir vorstellen, dass bei Lesungen die Männer wild im Publikum applaudieren und die Frauen, die Mütter vielleicht den Raum verlassen - ist das so?
Knausgard: Nun, genau diesen Teil habe ich einige Male vorgelesen. Das Erstaunliche ist, dass ich die Reaktionen nicht vorhersehen kann. Bei einer Lesung haben alle gelacht, beim anderen Vorlesen hingegen sind alle stumm geblieben und niemand hat den Raum verlassen. Das ist alles in Schweden geschehen. Es geht um das Vatersein, es geht auch um den Wandel des Männerbildes und um den Wandel der Vaterrolle. Das ist häufig ganz hart, das darf man aber nicht sagen, dass man sich erniedrigt fühlt als Mann, wenn man jetzt plötzlich in dieser Babytanzgruppe antanzen muss. Diese Szene ist wirklich heftig diskutiert worden in Schweden.
Scholl: Das ist gut, dass Sie es ansprechen, ich wollte Sie nämlich gerade nach Schweden fragen. Sie leben in Malmö, Herr Knausgard, und in Ihrem Buch erzählen Sie auch ausführlich von der Zeit, als Sie nach Schweden gezogen sind, und es gibt etliche, hm, ja, ziemlich bittere Passagen über Land und Leute, die den Schweden auch kaum gefallen haben dürften. Ein Satz lautet beispielsweise: "Oh, wie ich dieses kleine Scheißland hasste." Oder ein anderer: "In diesem Land haben sie wirklich nicht alle Tassen im Schrank." Ja, wie ist das so, wenn Sie in Malmö einkaufen gehen?
Knausgard: Na, das läuft ganz entspannt ab. Es gibt aber doch eine Art Hassliebe gegenüber diesem Buch in Schweden. Es gibt in Schweden ein gerüttelt' Maß an politischer Korrektheit. Ich habe natürlich an diesen Grenzfällen der politischen Korrektheit gerüttelt, und das hat manchmal zu heftigen Zusammenstößen geführt. In der größten schwedischen Tageszeitung wurde ich dreimal mit Anders Behring Breivik verglichen. Ich wurde in den Tageszeitungen tatsächlich Faschist genannt. In diesem Buch, das ich für ein ganz unschuldiges Buch hielt, ist doch auch eine Stelle, wo diese Fragen aufgeworfen werden. Es hat mit Sexualität zu tun, mit Mann, Frau, mit Männlichkeitsvorstellungen, da sind ganz harte Reibungen spürbar, und das fühlt sich fast so an, ja, ich wusste das nicht, als hätte ich da irgendein Mal, wie soll ich das jetzt sagen, an mir, eine Art Wespenschwarm hat sich dann plötzlich erhoben und um mich herum gebrummt.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem norwegischen Schriftsteller Karl Ove Knausgard. Dieser Vergleich mit Anders Breivik, der zieht einem natürlich jetzt irgendwie aber ein bisschen Boden unter den Füßen weg, aber wenn wir schon dabei sind - Sie sind Norweger und wir müssen Sie natürlich auch darauf ansprechen: In der nächsten Woche beginnt der Prozess gegen Anders Breivik. Vor einem Jahr, Karl Ove Knausgard, haben Sie am Schluss Ihres Werks gearbeitet, als einem sechsten Band, und damals sagten Sie, dass Sie ihn noch aktualisieren wollten. Es war genau die Zeit, als in Norwegen dieses furchtbarste Verbrechen geschah, das das Land je erlebt hat, also die Anschläge und den Mord an 77 Menschen durch den Killer Anders Breivik. Schreiben Sie darüber im sechsten Band, haben Sie es eingearbeitet, in the sixth volume?
Knausgard: Ja, und ich glaube, da führte mich kein Weg dran vorbei, denn damals schrieb ich auch über Hitlers "Mein Kampf". Ich schrieb auch über die Weimarer Republik, über die Zeit in Wien, über Antisemitismus und so weiter. Und genau da geschah das dann. Und da war es für mich offenkundig, dass ich darüber schreiben musste. Es gab so viele Parallelen zwischen Hitlers "Mein Kampf" und Breiviks Manifest. Ich hatte also wirklich das Gefühl, ich hatte die Werkzeuge in der Hand, um das zu analysieren. Und das hab ich auch gemacht. Anders Breivik, den ich persönlich nicht kenne, den kann ich doch lesen. Wir haben dieselbe Sprache, wir entstammen derselben Kultur, wir haben sehr viel gemeinsam. Es gibt also ganz entscheidende brennende Fragen. Jeder in Norwegen hat das Gefühl, das kommt von uns ... wenn man das so sagt, das ist auch meine Generation, es gibt jemanden in dieser Gesellschaft, der so ein Manifest geschrieben hat. Ich habe mich auch von der Gesellschaft entfernt in gewisser Weise und habe über mich selbst geschrieben. Es gibt also gewisse Ähnlichkeiten, also dieser Vorgang, sich von der Gesellschaft abzuwenden. Natürlich haben wir ganz unterschiedliche Ansichten, aber es gibt auch diese Gemeinsamkeit eben, sich abzuwenden und ein Buch oder einen großen Text zu schreiben.
Scholl: Am kommenden Montag beginnt der Prozess gegen Anders Breivik, Karl Ove Knausgard, die ganze Welt wird zuschauen, Sie vermutlich auch - wie denken Sie darüber als Norweger und vielleicht auch als Schriftsteller, wie ist mit diesem Mann umzugehen?
Knausgard: Als das geschah, schrieb ich über das, was geschah. Ich habe wie alle das auch im Fernsehen miterlebt. Durch das Betrachten im Fernsehen schiebt man eine Art Filter dazwischen. Wenn man solche Geschehnisse in anderen Ländern sieht, dann schiebt man das weit von sich weg. Diesmal fehlte dieser Filter. Das hat wirklich im eigenen Land stattgefunden, das gehörte zu uns. Ich hab also tatsächlich drei, vier Tage geweint und mich abgeschlossen. Ich glaube, die Reaktion der Regierung war in gewisser Weise herausragend, großartig. Es wurde gesagt, wir werden das gemeinsam durchstehen, wir werden die Demokratie dagegensetzen, diese Gemeinsamkeit wurde angerufen. Dann wurden die Dinge wieder so wie vorher. Anders Breivik wurde in eine Art Witzfigur verzerrt. Der Realitätsaspekt des Geschehens wurde mehr oder minder begraben. Das liegt jetzt schon ein Jahr zurück. Ich glaube aber, sobald der Prozess anfängt, werden diese frischen Gefühle wieder aufbrechen. Das wird eine sehr große Herausforderung, sehr schwierig, sehr packend sein, aber ich habe großes Zutrauen, dass es in diesem Falle wirklich angemessen verarbeitet wird.
Scholl: Karl Ove Knausgard, vielen Dank für Ihren Besuch und das Gespräch! Thank you for coming!
Knausgard: Thank you for letting me come!
Scholl: Und das Buch "Lieben" von Karl Ove Knausgard ist jetzt im Luchterhand-Verlag erschienen, aus dem Norwegischen übersetzt von Paul Berf, mit 762 Seiten zum Preis von 24,99 Euro. Und aus diesem Buch wird Karl Ove Knausgard heute Abend in Hannover lesen und am Montag in Berlin. Die Übersetzung unseres Gespräches, die hat Johannes Hampel besorgt, auch ihm vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Karl Ove Knausgard: Thank you very much!
Scholl: "Lieben", Herr Knausgard, ist ein sehr passender deutscher Titel, denn tatsächlich steht die Liebe im Zentrum der nahezu 800 Seiten: Die Liebe zu Ihrer Frau Linda, die Liebe zu Ihren Kindern Wanja, Heidi und John, aber auch die Liebe zur Literatur, die so brennend ist und intensiv, dass sie die Liebe zur Familie oft wie ein Schlachtfeld aussehen lässt. Rundheraus gefragt, Herr Knausgard: Sind Sie mit Linda noch verheiratet?
Knausgard: Ja, durchaus. Ich muss aber auch sagen, als ich ihr das Buch vorlegte, war sie entsetzt. Wir hatten eine Krise in unserer Beziehung. Sie hat das Buch gelesen und hat gesagt: Good bye, Romatik - alle Illusionen und Wahnvorstellungen, die sie hatte, hat sie über Bord geworfen, alles, was man in einer Beziehung ahnt, aber nicht erwähnt. Ich habe es jetzt erwähnt. Nun, Linda ist selbst Schriftstellerin, sie weiß doch, wie der Hase läuft. Ich glaube, es hat uns letztlich sogar gut getan, denn wir müssen doch zueinander ehrlich sein, nach allem, was geschehen ist. Wir können doch nicht so tun, als wäre das nicht geschehen. Das ist wirklich etwas Wohltuendes, aber es war für sie sehr, sehr hart. Auch die Tatsache, dass es ja veröffentlicht wurde und dass andere Menschen das jetzt wissen, war für sie nicht leicht.
Scholl: Ich frage das so direkt, Herr Knausgard, weil Ihr Buch einfach von einer solch schonungslosen Ehrlichkeit geprägt ist, von der Sie jetzt auch gesprochen haben, dass es einem wirklich den Atem verschlägt. Die ersten 100 Seiten etwa schildern einen Familienausflug, und danach will man eigentlich keine Kinder mehr haben. Wie schwer oder, ja, wie leicht ist Ihnen das gefallen, so zu schreiben?
Knausgard: Am Anfang war es wirklich sehr schwer für mich, denn ich hab mich gefragt, kann ich das wirklich tun. Einer der springenden Punkte bei diesem Schreibvorgang war, dass ich wirklich mich einschloss in eine stille Kammer und nicht daran dachte, was darauf folgen konnte. Ich habe nicht an die Reaktionen von Linda oder von meinen Verwandten gedacht. Ich hab mir gedacht, ach, Mensch, ist mir doch egal, ich mach das jetzt einfach. Da ist natürlich auch eine Menge Aggressivität drin. Und dann hat sich die Situation völlig verwandelt, als das Buch in der Öffentlichkeit erschien. Ich musste dafür geradestehen. Meine Entdeckung aber bei diesem Buch ist, was man als Geheimnis im Privatesten hat, wird von jedem geteilt. Jeder hat doch solche schwierigen Zeiten beim Erziehen von Kindern. Es ist ganz wichtig, dass man das auch mal benennt - ich einem Roman, in einer gesteuerten Auseinandersetzung, in einem geschützten Umfeld. Die Reaktionen, die die Leute dann zeigen, ist immer das Wiedererkennen: Oh, das geschieht mir genauso in meinem Leben.
Scholl: "Ich lebe davon, über jede kleinste Peinlichkeit zu schreiben, die mir jemals zugestoßen ist", heißt es an einer Stelle, und eine solche Peinlichkeit ist die Szene, in der Sie mit Ihrer Tochter Wanja in der Babytanzgruppe auftreten. Sie fühlen sich so entsetzlich albern und müssen dennoch wacker mittun. Ist das so zu einer Art Trauma geworden? Ich könnte mir vorstellen, dass bei Lesungen die Männer wild im Publikum applaudieren und die Frauen, die Mütter vielleicht den Raum verlassen - ist das so?
Knausgard: Nun, genau diesen Teil habe ich einige Male vorgelesen. Das Erstaunliche ist, dass ich die Reaktionen nicht vorhersehen kann. Bei einer Lesung haben alle gelacht, beim anderen Vorlesen hingegen sind alle stumm geblieben und niemand hat den Raum verlassen. Das ist alles in Schweden geschehen. Es geht um das Vatersein, es geht auch um den Wandel des Männerbildes und um den Wandel der Vaterrolle. Das ist häufig ganz hart, das darf man aber nicht sagen, dass man sich erniedrigt fühlt als Mann, wenn man jetzt plötzlich in dieser Babytanzgruppe antanzen muss. Diese Szene ist wirklich heftig diskutiert worden in Schweden.
Scholl: Das ist gut, dass Sie es ansprechen, ich wollte Sie nämlich gerade nach Schweden fragen. Sie leben in Malmö, Herr Knausgard, und in Ihrem Buch erzählen Sie auch ausführlich von der Zeit, als Sie nach Schweden gezogen sind, und es gibt etliche, hm, ja, ziemlich bittere Passagen über Land und Leute, die den Schweden auch kaum gefallen haben dürften. Ein Satz lautet beispielsweise: "Oh, wie ich dieses kleine Scheißland hasste." Oder ein anderer: "In diesem Land haben sie wirklich nicht alle Tassen im Schrank." Ja, wie ist das so, wenn Sie in Malmö einkaufen gehen?
Knausgard: Na, das läuft ganz entspannt ab. Es gibt aber doch eine Art Hassliebe gegenüber diesem Buch in Schweden. Es gibt in Schweden ein gerüttelt' Maß an politischer Korrektheit. Ich habe natürlich an diesen Grenzfällen der politischen Korrektheit gerüttelt, und das hat manchmal zu heftigen Zusammenstößen geführt. In der größten schwedischen Tageszeitung wurde ich dreimal mit Anders Behring Breivik verglichen. Ich wurde in den Tageszeitungen tatsächlich Faschist genannt. In diesem Buch, das ich für ein ganz unschuldiges Buch hielt, ist doch auch eine Stelle, wo diese Fragen aufgeworfen werden. Es hat mit Sexualität zu tun, mit Mann, Frau, mit Männlichkeitsvorstellungen, da sind ganz harte Reibungen spürbar, und das fühlt sich fast so an, ja, ich wusste das nicht, als hätte ich da irgendein Mal, wie soll ich das jetzt sagen, an mir, eine Art Wespenschwarm hat sich dann plötzlich erhoben und um mich herum gebrummt.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem norwegischen Schriftsteller Karl Ove Knausgard. Dieser Vergleich mit Anders Breivik, der zieht einem natürlich jetzt irgendwie aber ein bisschen Boden unter den Füßen weg, aber wenn wir schon dabei sind - Sie sind Norweger und wir müssen Sie natürlich auch darauf ansprechen: In der nächsten Woche beginnt der Prozess gegen Anders Breivik. Vor einem Jahr, Karl Ove Knausgard, haben Sie am Schluss Ihres Werks gearbeitet, als einem sechsten Band, und damals sagten Sie, dass Sie ihn noch aktualisieren wollten. Es war genau die Zeit, als in Norwegen dieses furchtbarste Verbrechen geschah, das das Land je erlebt hat, also die Anschläge und den Mord an 77 Menschen durch den Killer Anders Breivik. Schreiben Sie darüber im sechsten Band, haben Sie es eingearbeitet, in the sixth volume?
Knausgard: Ja, und ich glaube, da führte mich kein Weg dran vorbei, denn damals schrieb ich auch über Hitlers "Mein Kampf". Ich schrieb auch über die Weimarer Republik, über die Zeit in Wien, über Antisemitismus und so weiter. Und genau da geschah das dann. Und da war es für mich offenkundig, dass ich darüber schreiben musste. Es gab so viele Parallelen zwischen Hitlers "Mein Kampf" und Breiviks Manifest. Ich hatte also wirklich das Gefühl, ich hatte die Werkzeuge in der Hand, um das zu analysieren. Und das hab ich auch gemacht. Anders Breivik, den ich persönlich nicht kenne, den kann ich doch lesen. Wir haben dieselbe Sprache, wir entstammen derselben Kultur, wir haben sehr viel gemeinsam. Es gibt also ganz entscheidende brennende Fragen. Jeder in Norwegen hat das Gefühl, das kommt von uns ... wenn man das so sagt, das ist auch meine Generation, es gibt jemanden in dieser Gesellschaft, der so ein Manifest geschrieben hat. Ich habe mich auch von der Gesellschaft entfernt in gewisser Weise und habe über mich selbst geschrieben. Es gibt also gewisse Ähnlichkeiten, also dieser Vorgang, sich von der Gesellschaft abzuwenden. Natürlich haben wir ganz unterschiedliche Ansichten, aber es gibt auch diese Gemeinsamkeit eben, sich abzuwenden und ein Buch oder einen großen Text zu schreiben.
Scholl: Am kommenden Montag beginnt der Prozess gegen Anders Breivik, Karl Ove Knausgard, die ganze Welt wird zuschauen, Sie vermutlich auch - wie denken Sie darüber als Norweger und vielleicht auch als Schriftsteller, wie ist mit diesem Mann umzugehen?
Knausgard: Als das geschah, schrieb ich über das, was geschah. Ich habe wie alle das auch im Fernsehen miterlebt. Durch das Betrachten im Fernsehen schiebt man eine Art Filter dazwischen. Wenn man solche Geschehnisse in anderen Ländern sieht, dann schiebt man das weit von sich weg. Diesmal fehlte dieser Filter. Das hat wirklich im eigenen Land stattgefunden, das gehörte zu uns. Ich hab also tatsächlich drei, vier Tage geweint und mich abgeschlossen. Ich glaube, die Reaktion der Regierung war in gewisser Weise herausragend, großartig. Es wurde gesagt, wir werden das gemeinsam durchstehen, wir werden die Demokratie dagegensetzen, diese Gemeinsamkeit wurde angerufen. Dann wurden die Dinge wieder so wie vorher. Anders Breivik wurde in eine Art Witzfigur verzerrt. Der Realitätsaspekt des Geschehens wurde mehr oder minder begraben. Das liegt jetzt schon ein Jahr zurück. Ich glaube aber, sobald der Prozess anfängt, werden diese frischen Gefühle wieder aufbrechen. Das wird eine sehr große Herausforderung, sehr schwierig, sehr packend sein, aber ich habe großes Zutrauen, dass es in diesem Falle wirklich angemessen verarbeitet wird.
Scholl: Karl Ove Knausgard, vielen Dank für Ihren Besuch und das Gespräch! Thank you for coming!
Knausgard: Thank you for letting me come!
Scholl: Und das Buch "Lieben" von Karl Ove Knausgard ist jetzt im Luchterhand-Verlag erschienen, aus dem Norwegischen übersetzt von Paul Berf, mit 762 Seiten zum Preis von 24,99 Euro. Und aus diesem Buch wird Karl Ove Knausgard heute Abend in Hannover lesen und am Montag in Berlin. Die Übersetzung unseres Gespräches, die hat Johannes Hampel besorgt, auch ihm vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.