Geheimnisverrat

Jeder Bürger ist eine Supermacht

Ein Demonstrant der Gruppe Anonymous steht vor dem Brandenburger Tor bei Nacht und hält ein Plakat mit einem Foto von Edward Snowden in die Höhe.
Die Frage, ob Edward Snowden vor den NSA-Untersuchungsausschuss geladen werden soll, polarisiert. © picture alliance / dpa / Florian Schuh
Von Michael Meyer |
Whistleblower sind ein Geschenk für die Demokratie, finden Journalisten und Bürgerrechtler. Für Regierungsvertreter sind sie Verräter, die Geheimnisse ausplaudern und Menschen in Gefahr bringen. Eine Debatte in Berlin.
Chelsea Manning, Julian Assange, Edward Snowden – drei Namen, drei Fälle, die jedoch eines gemeinsam haben. Alle drei Geheimnisverräter haben ihr Durchstechen von Informationen amerikanischer Geheimdienste teuer bezahlt, und sind, bis auf weiteres, ausgeschaltet. Gerade die Amerikaner schlugen mit unverhältnismäßiger Härte zurück, sagt die amerikanische Journalistin Alexa O'Brien, die den Manning-Prozess beobachtet und darüber berichtet hat.
Chelsea Manning, die früher ein Mann namens Bradley Manning war, leakte vor einigen Jahren tausende diplomatische Dokumente. Doch kann man sie wirklich als Heldin bezeichnen? Alexa O' Brien findet die Frage etwas simpel:
"Ich habe mich gefragt, wem ist ein Geheimnisverräter eigentlich loyal gegenüber? Die Antwort: Dem Gesetz, der Durchsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien. In diesem Sinne dachte Chelsea Manning, dass die Weltöffentlichkeit ein Recht darauf hatte, sich kritisch mit der amerikanischen Sicherheitspolitik auseinander zu setzen, und dieses Denken war nicht ideologisch geprägt, sondern es beruhte auf Fakten, auf den Dokumenten, die aussagten, was passiert war. Das macht sie schon zu einer Heldin."
Die grundsätzliche Frage lautet: Wenn geheime Papiere veröffentlicht werden, wen gefährdet das möglicherweise? Sind Informanten, Geheimagenten, informelle Kanäle gefährdet?
"Whistleblower überlegen sehr genau, was sie rausbringen"
Torsten Krauel, Chefkommentator bei der "Welt"-Gruppe im Axel Springer Verlag, meint, dass es im Falle Edward Snowden sensible Daten und Informationen mitveröffentlicht wurden:
"Unter anderem hat Al Qaida gelernt, welche Telefonnetze im Nordirak von den Amerikanern überwacht werden und wie erfolgreich. Al Qaida weiß inzwischen, dass die geheimen Chatrooms, die sie eingerichtet hatten, für die Amerikaner zugänglich waren. Das hat mit Whistleblowing in Sachen amerikanische Verfassung nichts zu tun. Dasselbe gilt für Chelsea Manning, sie hat Amerika über eine Politik aufklären wollen, sie hat viele Dokumente an die Öffentlichkeit gebracht, die für die Beurteilung, ob es Kriegsverbrechen gab oder nicht, sehr wichtig sind. Man muss, wenn man das moderne Zeitalter sieht, das Internet, sehr deutlich sehen, dass inzwischen jeder Bürger eine Macht hat, die ihn zu einer Supermacht machen. Das führt zu einer völlig neuen Beurteilung dieser Lage und führt dazu, dass Whistleblower sehr genau überlegen, was sie rausbringen und was nicht."
Doch das sagen einige Diskussionsteilnehmer deutlich anders: Georg Mascolo, Chef des Investigativressorts der Süddeutschen Zeitung und des NDR und WDR meint, dass, wenn es nach den staatlichen Stellen ginge, sie fast jedes Dokument zum Geheimnis erklären würden. Mascolo erinnerte daran, dass der Bundesgerichtshof schon in den 60er-Jahren festgelegt hat, dass es bei Vergehen von Institutionen und Organen kein Staatsgeheimnis mehr geben kann:
"Da, wo es einen Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gibt, da steht es dem Staat nicht frei, sein eigenes Fehlverhalten, im Extremfall sogar sein eigenes Verbrechen im Nachhinein zum Staatsgeheimnis zu erklären. Die Folter in Guantánamo und in Abu Ghraib war formal natürlich ein Staatsgeheimnis, und die Geheimgefängnisse der CIA, die unter anderem in Polen waren, waren ein Staatsgeheimnis."
Es gebe seitens des Staates gerade in den USA auch so etwas wie eine Paranoia, dass jeder noch so kleine Geheimnisverrat gleich gefährlich sei. Hierzulande ist die Stimmung etwas entspannter, allerdings gab es auch bei uns vor zehn Jahren einen tiefen Eingriff in die Pressefreiheit: Die Privatwohnungen des Journalisten Bruno Schirra wurde durchsucht, ebenso wie die Redaktion des Magazins "Cicero". Schirra hatte aus geheimen Papieren des BKA zitiert. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Razzia drei Jahre später für rechtswidrig, eine Stärkung der Pressefreiheit.
"Das schädigt unsere Arbeit"
Dennoch gab Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz zu bedenken, dass so mancher Scoop einer Redaktion natürlich auch aus wirtschaftlichen Interessen geschehe. Geheime Papiere interessierten eben die Leser. Im Falle des NSU-Untersuchungsausschusses, ein eher schlechtes Beispiel für die Arbeit der Geheimdienste, wurden viele Dokumente weitergegeben:
"Wenn ich allein daran denke, dass zum Zeitpunkt des NSU-Untersuchungsausschusses ... da hat mir ein Journalist gesagt, dass er über ein Gigabyte Daten Geheimmaterial verfügte, das waren Daten gewesen, die wirklich nicht zur Aufklärung von Missständen waren, die einfach interessant waren und wo es sich lohnte, mal darüber zu berichten. Dann muss ich sagen, das schädigt unsere Arbeit, und das Schädigen der Arbeit hat man daran festgestellt, dass sich zum Beispiel Personen losgesagt haben, nicht mehr bereit waren, als Quellen zu arbeiten, und die Folge ist, dass wir dann keine Zugänge haben in bestimmte Extremismusbereiche."
Georg Mascolo meint, dass man in einer international vernetzten Welt mit Geheimdiensten leben müsse. Das hieße aber längst nicht, alles hinzunehmen, was dort geschehe. Man dürfe sich nicht abschrecken lassen von Drohkulissen staatlicher Stellen. Würde Mascolo sensible Informationen veröffentlichen, aus denen die genaue Kooperation amerikanischer und deutscher Geheimdienste hervorgeht?
"Natürlich würden wir. Und ich glaube dass alles in allem, bei allen Fehlern die Journalisten und Blätter machen, ihre Aufgaben so schlecht nicht erfüllen. Die Vorstellung, dass solche Informationen nicht publiziert würden, genau solche, das sehe ich nicht."
Mascolo warte nur darauf, dass einmal ein Whistleblower aus Russland oder China komme. Dann werde es richtig interessant, Einblicke in diese Staatsgeheimnisse zu bekommen.
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