Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft zu Köln. Sie studierte Kognitions- und Neurowissenschaften, unter anderem an der McGill University (Kanada), und wurde am University College London (England) in Neurowissenschaften promoviert. 2016 gründete sie das Online-Magazin Perspective Daily für Konstruktiven Journalismus mit. Ihr neues Buch "Raus aus der ewigen Dauerkrise" (München: Droemer 2021) ist ein Spiegel-Bestseller.
Wer Angst hat, trifft keine guten Entscheidungen
04:11 Minuten
Die „German Angst“ hat es sogar in den internationalen Sprachgebrauch geschafft. Sie beschreibt, wie wir eher mit Sorgen statt mit Lust auf anstehende Veränderungen reagieren. Schluss damit, fordert die Neurowissenschaftlerin Maren Urner.
Die letzten Monate und der zunehmend hitzigere Wahlkampf sind geprägt von der Beschwörung der Angst. Und sei es nur die Angst vor einer jungen Kanzlerin ohne Regierungserfahrung. Angst vor Alpha bis Delta+. Doch wie schon der Volksmund vermutet, wissen wir längst aus zahlreichen Studien der Psychologie und Neurowissenschaften: Angst ist ein schlechter Berater, weil ein Gehirn in Angst nicht in der Lage ist, gute Entscheidungen zu treffen.
Ein Gehirn in Angst will bloß überleben
Haben wir Angst, schaltet unser Steinzeitgehirn automatisch in den Überlebensmodus. Der besteht aus genau zwei möglichen Reaktionen: kämpfen oder rennen. Das Angstgehirn versetzt unseren gesamten Körper in einen Alarmzustand, sodass wir schnell – aber eben unüberlegt – reagieren. Um uns am Leben zu halten, sind die Hirnregionen für langfristiges Planen entsprechend blockiert, wie bei einer Sackgasse ist die Zufahrt auf neuronaler Ebene gesperrt.
Schlimmer noch: Je ängstlicher wir sind, desto schlechter können wir Aufgaben unterschiedlichster Natur lösen und unser IQ sinkt. Ja, Angst macht uns dümmer. Getrieben von Angst treffen wir also vor allem Entscheidungen mit kurzfristiger und damit kurzsichtiger Perspektive. Im Hinblick auf die Frage nach dem besten Verhalten bei akuten Gefahren ist das durchaus ein sinnvoller Mechanismus. Denn im Angesicht von Bär oder Löwe über den beruflichen oder privaten Zehn-Jahres-Plan nachzudenken, wäre wenig sinnvoll.
Doch um den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, brauchen wir vor allem eins: Eine Lang- oder mindestens mittelfristige Perspektive beziehungsweise Gehirne, die weiter als bis zur nächsten sicheren Höhle, dem nächsten Wahlsieg oder dem nächsten Shareholder-Meeting denken.
Schlimmer noch: Je ängstlicher wir sind, desto schlechter können wir Aufgaben unterschiedlichster Natur lösen und unser IQ sinkt. Ja, Angst macht uns dümmer. Getrieben von Angst treffen wir also vor allem Entscheidungen mit kurzfristiger und damit kurzsichtiger Perspektive. Im Hinblick auf die Frage nach dem besten Verhalten bei akuten Gefahren ist das durchaus ein sinnvoller Mechanismus. Denn im Angesicht von Bär oder Löwe über den beruflichen oder privaten Zehn-Jahres-Plan nachzudenken, wäre wenig sinnvoll.
Doch um den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, brauchen wir vor allem eins: Eine Lang- oder mindestens mittelfristige Perspektive beziehungsweise Gehirne, die weiter als bis zur nächsten sicheren Höhle, dem nächsten Wahlsieg oder dem nächsten Shareholder-Meeting denken.
Wenn die Angst an die Tür klopft und der Mut öffnet
Wie kommen wir raus aus dem Angstmodus? Schauen wir uns die von Politik und Medien ausgelösten Ängste einmal näher an, fällt eine Gemeinsamkeit auf. Immer geht es um ein Festhalten am Status quo, am vermeintlichen Normalzustand. Stichwort: back to normal. Die wohl stärkste Art der Angst ist die vor dem Unbekannten. Das liegt an der Funktionsweise unseres Gehirns: Es ist im Wesentlichen damit beschäftigt, Vorhersagen zu treffen. So sorgt es für ein Verhalten, das uns am Leben hält. Laufen die Vorhersagen aufgrund von Unsicherheit ins Leere, stresst uns das und kann im Extremfall zu einem Gefühl des Kontrollverlusts führen.
Und das spielt wiederum der Angst in die Hände – ein Teufelskreis. Glücklicherweise kennen wir alle den Gegenspieler: den Mut. Wenn die Angst an die Tür klopft und der Mut öffnet, ist niemand da, heißt es treffend. Wenn wir mutig persönliche, wirtschaftliche und politische Türen öffnen und Debatten führen, hat die Angst keine Chance. Konkret bedeutet das, statt ständig über Ängste und Probleme sollten wir häufiger über Chancen und Lösungen sprechen.
Vom statischen Denken zum dynamischen Denken
Dafür müssen wir aufhören, an alten Gewohnheiten festzuhalten. Denn genau das gefährdet am Ende des Tages – und der Legislaturperiode – nicht nur unseren Wohlstand, sondern sogar unsere Lebensgrundlage. Wir müssen also über Lösungen sprechen. Statt statisch zu denken, sollten wir dynamisch denken. Damit können wir ganz einfach beginnen, indem wir uns öfters fragen: "Wofür?" statt "Wogegen?".
Dass wir und unser Steinzeitgehirn dazu durchaus in der Lage sind, haben wir in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Oder wie sonst wären Menschen auf dem Mond gelandet, hätten Smartphones entwickelt und innerhalb weniger Monate neuartige Impfstoffe gegen ein bis dato unbekanntes Virus erfolgreich getestet?