Können Zellklumpen fühlen?
07:14 Minuten
Wenn man menschliche Stammzellen mit Nährstoffen versorgt, entwickeln sich Nervenzellen, die unter einander Kontakt aufnehmen und elektrische Signale austauschen. Über sogenannte Hirnorganoide und ein mögliches Bewusstsein gibt es aus ethischer Sicht Streit.
Man nehme menschliche Stammzellen, gebe ihnen in einer Art Gelee voller Nährstoffe und Wachstumsfaktoren eine neue Heimat und nach ein paar Wochen oder Monaten entwickeln sich Nervenzellen, die unter einander Kontakt aufnehmen und irgendwann auch elektrische Signale austauschen. Ein Hirnorganoid, erbsengroß und faszinierend, findet Jürgen Knoblich vom Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien, in dessen Labor einige der ersten Hirnorganoide entstanden.
"Ich glaube, das Organoide ein unglaubliches Potenzial haben, dass sie Tierversuche ersetzen können, dass sie es uns erlauben werden, Medikamente zu entwickeln auf eine Art und Weise, wie wir es bisher nicht können."
Auf der Tagung der Society for Neuroscience in Chicago wurden Organoide zum Studium der ersten Schritte der Hirnentwicklung vorgestellt. Sie dienen der Untersuchung von Autismus und Alzheimer, Muskellähmung und Mikrozephalie, Parkinson, Schlaganfall und Drogensucht. Hirnorganoide bieten großes Potential für die Wissenschaft, aber genau darin sehen manche auch Probleme, fürchten die Nervenzellklumpen könnten ein eigenes Bewusstsein in der Petrischale entwickeln. In einem Beitrag für dieselbe Tagung schreibt Elen Ohayon:
"Die aktuelle Organoidforschung ist gefährlich nahe daran, diesen ethischen Rubikon zu überschreiten, vielleicht hat sie es schon getan. Entgegen der Wahrnehmung des Feldes (…) sind derzeitige Zellkulturen bereits isomorph zu Gehirnstrukturen des Bewusstseins und deshalb vielleicht in der Lage, bewusste Aktivität und Verhalten zu unterstützen."
"Ich glaube, das Organoide ein unglaubliches Potenzial haben, dass sie Tierversuche ersetzen können, dass sie es uns erlauben werden, Medikamente zu entwickeln auf eine Art und Weise, wie wir es bisher nicht können."
Auf der Tagung der Society for Neuroscience in Chicago wurden Organoide zum Studium der ersten Schritte der Hirnentwicklung vorgestellt. Sie dienen der Untersuchung von Autismus und Alzheimer, Muskellähmung und Mikrozephalie, Parkinson, Schlaganfall und Drogensucht. Hirnorganoide bieten großes Potential für die Wissenschaft, aber genau darin sehen manche auch Probleme, fürchten die Nervenzellklumpen könnten ein eigenes Bewusstsein in der Petrischale entwickeln. In einem Beitrag für dieselbe Tagung schreibt Elen Ohayon:
"Die aktuelle Organoidforschung ist gefährlich nahe daran, diesen ethischen Rubikon zu überschreiten, vielleicht hat sie es schon getan. Entgegen der Wahrnehmung des Feldes (…) sind derzeitige Zellkulturen bereits isomorph zu Gehirnstrukturen des Bewusstseins und deshalb vielleicht in der Lage, bewusste Aktivität und Verhalten zu unterstützen."
Ein Forscher relativiert
Elen Ohayon leitete das Green Neuroscience Laboratory in San Diego, das sich einer ethischen Hirnforschung verschrieben hat. Wobei auf der Internetseite nicht unbedingt klar wird, was damit gemeint ist. Ohayon versucht, mit Computermodellen die Minimalbedingungen für Bewusstsein auszuloten und sieht offenbar Parallelen zu den Organoiden. Die entwickeln komplexe elektrische Aktivität und einige Forscher haben tatsächlich auch Vergleiche zu Hirnwellen von Feten gezogen.
Knoblich: "Es gibt hier im Feld lebhafte Diskussion darüber, ob das nicht vielleicht eine bisschen eine sehr optimistische Interpretation dieser Ergebnisse war. Nur dass ein neuronales Netzwerk oszilliert, das sagt uns noch lange nicht, dass das irgendetwas mit kognitiven Prozessen eines neugeborenen Babys zu tun hat."
Hirnorganoide sind erstens viel kleiner als selbst das Gehirn einer Maus und zweitens sind sie unstrukturiert. Ihre Nervenzellen entstehen und verbinden sich zufällig nicht nach einem Plan, wie bei der Gehirnentwicklung. Die Neuroethikerin Sabine Müller von der Berliner Charite bezweifelt sowieso aus grundsätzlichen Erwägungen, dass ein Hirnorganoid in einer Petrischale überhaupt so etwas wie Bewusstsein entwickeln kann.
Knoblich: "Es gibt hier im Feld lebhafte Diskussion darüber, ob das nicht vielleicht eine bisschen eine sehr optimistische Interpretation dieser Ergebnisse war. Nur dass ein neuronales Netzwerk oszilliert, das sagt uns noch lange nicht, dass das irgendetwas mit kognitiven Prozessen eines neugeborenen Babys zu tun hat."
Hirnorganoide sind erstens viel kleiner als selbst das Gehirn einer Maus und zweitens sind sie unstrukturiert. Ihre Nervenzellen entstehen und verbinden sich zufällig nicht nach einem Plan, wie bei der Gehirnentwicklung. Die Neuroethikerin Sabine Müller von der Berliner Charite bezweifelt sowieso aus grundsätzlichen Erwägungen, dass ein Hirnorganoid in einer Petrischale überhaupt so etwas wie Bewusstsein entwickeln kann.
Sabine Müller: "Also diese Vorstellung, dass ein Bewusstsein komplett ohne Körper entstehen kann, kommt eigentlich aus der Computertechnologie. Das Bewusstsein ist eine Funktion, die der Organismus für das Überleben braucht und ohne Organismus gibt es überhaupt keinen Bedarf für Bewusstsein. Wenn das Organoid einfach nur in einer Petrischale ist, halte ich es für ausgeschlossen, dass es Bewusstsein entwickeln kann."
Entwickeln ist hier das entscheidende Stichwort. Psychologie und Hirnforschung arbeiten immer klarer heraus, dass so etwas wie Wahrnehmung und Bewusstsein erst in der Interaktion des Körpers mit seiner Umgebung entsteht. Und auch scheinbar direkte Erlebnisse wie das Schmerzempfinden ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Sensoren in der Peripherie und spezialisierten Gehirnzentren, die deren Signale als Schmerz interpretieren. Im Labor von Jürgen Knoblich entstehen zwar Hirnorganoide, die die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Gehirnzentren nachstellen. Aber er bezweifelt, dass in Zukunft immer größere Hirnorganoide in den Laboren gezüchtet werden.
Knoblich: "Es ist nicht das Ziel des Feldes, hier hochgeordnete Gehirnfunktion nachzubauen. Denn man kann Effekte in Epilepsie, wo es darum geht, dass Nervenzellen einfach unkoordiniert feuern, das kann man auch nachbilden, ohne dass man ein menschliches Gehirn oder ein kognitive Prozesse nachbilden."
Entwickeln ist hier das entscheidende Stichwort. Psychologie und Hirnforschung arbeiten immer klarer heraus, dass so etwas wie Wahrnehmung und Bewusstsein erst in der Interaktion des Körpers mit seiner Umgebung entsteht. Und auch scheinbar direkte Erlebnisse wie das Schmerzempfinden ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Sensoren in der Peripherie und spezialisierten Gehirnzentren, die deren Signale als Schmerz interpretieren. Im Labor von Jürgen Knoblich entstehen zwar Hirnorganoide, die die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Gehirnzentren nachstellen. Aber er bezweifelt, dass in Zukunft immer größere Hirnorganoide in den Laboren gezüchtet werden.
Knoblich: "Es ist nicht das Ziel des Feldes, hier hochgeordnete Gehirnfunktion nachzubauen. Denn man kann Effekte in Epilepsie, wo es darum geht, dass Nervenzellen einfach unkoordiniert feuern, das kann man auch nachbilden, ohne dass man ein menschliches Gehirn oder ein kognitive Prozesse nachbilden."
Menschliche Hirnorganoide im Gehirn von Mäusen
Es gibt allerdings Forscher, die menschliche Hirnorganoide in das Gehirn von Mäusen übertragen haben, um ihnen so bessere Wachstumsbedingungen zu verschaffen. Solche Experimente lassen die Grenze von Mensch und Tier verschwimmen, schrieb schon vergangenes Jahr eine Gruppe von Forschern um die Neurophilosophin Nita Farahahny von der Duke University. Auch Sabine Müller plädiert hier für Zurückhaltung.
Müller: "Grundsätzlich bekommt die Maus ja dadurch mehr Gehirnkapazität, jedenfalls wenn sie die verwenden kann und wir die nicht einfach wie so eine Art Tumor, der nutzlos ist, da drauf setzt. Mit mehr Gehirnkapazität ist es möglich, dass sie mehr empfindet und dass sie intelligenter ist und dass sie dann mehr leidet. Also wie gesagt, das ist eine Möglichkeit."
Bisher spricht allerdings wenig dafür, meint Jürgen Knoblich.
Müller: "Grundsätzlich bekommt die Maus ja dadurch mehr Gehirnkapazität, jedenfalls wenn sie die verwenden kann und wir die nicht einfach wie so eine Art Tumor, der nutzlos ist, da drauf setzt. Mit mehr Gehirnkapazität ist es möglich, dass sie mehr empfindet und dass sie intelligenter ist und dass sie dann mehr leidet. Also wie gesagt, das ist eine Möglichkeit."
Bisher spricht allerdings wenig dafür, meint Jürgen Knoblich.
"Experimente in dieser Art wurden natürlich schon viel früher gemacht. Man kann zum Beispiel große Mengen an Nervenzellen einer Maus durch menschliche Nervenzellen austauschen, da passiert mit den kognitiven Fähigkeiten der Maus eigentlich nichts. Ethische Probleme hätte ich dann, wenn wir in irgendeiner Art und Weise Tiere oder tierische Organismen herstellen, bei denen ein großer Anteil des Gehirns menschlich ist. Und das gilt es zu vermeiden, ich glaube, da stimmen eigentlich alle Wissenschaftler überein."
"Man sollte mit Forschungsarbeit sehr vorsichtig umgehen"
Menschlich meint hier nicht nur menschliche Zellen, sondern menschliche Hirnstrukturen. Jürgen Knoblich hat selbst schon Artikel zur Ethik der Organoidforschung geschrieben, leitet aktuelle auch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften zu diesem Thema.
"Wir hatten eine erste Diskussion, und wenn man zusammenfassen kann, was das Fazit dieser Diskussion war, dann glaube ich, muss man sagen, dass einhellig von all diesen Experten sehr, sehr, sehr klar festgehalten wurde, dass wir Kilometer, meilenweit entfernt sind von irgendeiner Struktur, die in irgendeiner Art und Weise kognitive Prozesse nachbilden könnte."
Die relevanten ethischen Probleme sieht Jürgen Knoblich nicht in fernen Grenzüberschreitungen, sondern in ganz praktischen Fragen, die heute schon aktuell sind. Etwa wie Patienten aufgeklärt werden sollen, die Zellen spenden, aus denen dann Hirnorganoide gezüchtet werden. Und dann sollten die Wissenschaftler auch über einen ethischen Kodex zur Kommunikation ihrer Ergebnisse nachdenken.
"Es gibt im Augenblick meines Erachtens eine Schwemme an Publikationen, die über Dinge berichten, zum Beispiel Oszillationen von Netzwerken in Organoiden, die, wenn man genau in die Publikation hinein schaut, da eigentlich da gar nicht so richtig drin stehen auch nicht richtig belegt werden. Und ich glaube, das ist für uns alle als Wissenschaftler eine vorrangige ethische Aufgabe, unsere Arbeit sorgfältig zu machen und sehr, sehr vorsichtig damit um zu gehen und sie vorsichtig zu interpretieren.
"Wir hatten eine erste Diskussion, und wenn man zusammenfassen kann, was das Fazit dieser Diskussion war, dann glaube ich, muss man sagen, dass einhellig von all diesen Experten sehr, sehr, sehr klar festgehalten wurde, dass wir Kilometer, meilenweit entfernt sind von irgendeiner Struktur, die in irgendeiner Art und Weise kognitive Prozesse nachbilden könnte."
Die relevanten ethischen Probleme sieht Jürgen Knoblich nicht in fernen Grenzüberschreitungen, sondern in ganz praktischen Fragen, die heute schon aktuell sind. Etwa wie Patienten aufgeklärt werden sollen, die Zellen spenden, aus denen dann Hirnorganoide gezüchtet werden. Und dann sollten die Wissenschaftler auch über einen ethischen Kodex zur Kommunikation ihrer Ergebnisse nachdenken.
"Es gibt im Augenblick meines Erachtens eine Schwemme an Publikationen, die über Dinge berichten, zum Beispiel Oszillationen von Netzwerken in Organoiden, die, wenn man genau in die Publikation hinein schaut, da eigentlich da gar nicht so richtig drin stehen auch nicht richtig belegt werden. Und ich glaube, das ist für uns alle als Wissenschaftler eine vorrangige ethische Aufgabe, unsere Arbeit sorgfältig zu machen und sehr, sehr vorsichtig damit um zu gehen und sie vorsichtig zu interpretieren.