Spaziergang zu Gott
Der fast 90-jährige buddhistische Zenmeister Thich Nhat Hanh lehrt seit einigen Jahren im nordrhein-westfälischen Waldbröl. Auch Pfarrer besuchen regelmäßig seine Kurse. Dort finden sie, was ihnen im Christentum fehlt.
"In der buddhistischen Tradition sprechen wir vom Reinen Land des Buddha. Das Königreich Gottes und das Reine Land des Buddha sind beide im Hier und Jetzt erreichbar. Wir müssen nicht sterben, um dorthin zu gelangen. Dann wird es zu spät sein."
Thich Nhat Hanh, buddhistischer Mönch: Stets setzt der zierliche in brauner Mönchskutte gekleidete Mann das "Königreich Gottes" und das "Reine Land des Buddha" gleich. Hat in seinem Buch "Buddha und Christus heute", einem von über hundert, die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Buddhismus filigran herausgearbeitet. Und betont diese Gemeinsamkeiten immer wieder. Deshalb kann man in seinem buddhistischen Zentrum in Waldbröl auch das christliche Halleluja hören. Und vermutlich deshalb trifft man bei seinen Retreats – spirituellen Rückzugszeiten – immer wieder auch Pfarrer.
"In der religiösen Praxis sehe ich Jesus und Buddha sehr nahe beieinander. In der Ethik, in dem was sie gesagt und gelehrt haben, sind sie sehr nah beieinander. Wenn man Äußerungen von Buddha liest oder von Jesus besonders aus der Bergpredigt, die sind inhaltlich fast identisch an vielen Punkten, und was den Weg der Meditation angeht, den gibt es im Christentum auch ..."
... sagt Pfarrer Matthias Schippel. Er besucht die jährlichen Retreats bei dem Zenmeister Thich Nhat Hanh in Waldbröl regelmäßig. Meditiert, nimmt teil an den täglichen Gehmeditationen gemeinsam mit vielen anderen Menschen, Jungen, Alten, Kindern teil. Schweigend gehen, ganz langsam, ganz bewusst, und sich auf das Gehen und Atmen konzentrieren: Einatmen – ein Schritt, ausatmen – ein Schritt, einatmen – ein Schritt. Spüren, wie die Füße die Erde berühren und dabei ruhig werden 20 Minuten lang.
Gehen, schweigen und atmen
Vor der Gehmeditation haben alle den Vorlesungen zur buddhistischen Praxis zugehört. In einem großen weißen Zelt, das mit Orchideen geschmückt ist. Die Räume des buddhistischen Zentrums sind viel zu klein, um den Besucherstrom, aufzunehmen, der aufkommt, immer dann wenn Thay lehrt. Ihm lauschen mehr als tausend Menschen. "Thay" heißt auf Vietnamesisch Lehrer. Pfarrer Schippel nach einer Gehmeditation:
"Also das Wesentliche war für mich das Zusammensein mit sehr wachen, aufmerksamen und interessanten und spirituellen Menschen an einem Ort, der auch sehr spirituell ist für mich, der auch sehr viel Frieden und Ruhe ausstrahlt. Die ganze Atmosphäre, das Singen, das Gehen, das Schweigen. Und zu Thays Worten kann ich nur sagen, dass für mich das Wichtigste ist, was er über die verschiedenen Qualitäten der Liebe sagt."
Die Liebe ist auch im Christentum zentral; ebenso der Glaube. Anders im Buddhismus. Im Buddhismus, so wie Thich Nhat Hanh ihn versteht und lehrt, soll man nichts glauben, gar nichts. Sondern man soll ausprobieren, wie die von ihm gelehrten Methoden wirken. Durch tägliches Üben. Beispielsweise Meditationen, in denen man lernt, den eigenen Geist zu beobachten. Oder die Methode des "tiefen Schauens", bei der man Ursachen und Wirkungen erkennen kann. Erkennen, wie man oft selbst schwierige Situationen verursacht.
Wege zu Mitgefühl und Frieden
Thich Nhat Hanh lehrt auch, wie regelmäßige liebevolle und gewaltfreie Kommunikation im Alltag zu mehr Verständnis führen kann, zu Mitgefühl und Frieden in jedem Einzelnen. Dazu gibt er konkrete Beispiele für Liebesbeziehungen, Erziehung und so weiter. Auch das soll man nicht glauben, sondern üben. Und herausfinden, ob es im Alltag hilft. Und vielleicht sogar dabei seinen eigenen Glauben vertiefen.
Diese Rationalität findet Pfarrer Allan Grave nicht immer ausreichend:
"Das buddhistische Denken, dem ich Waldbröl begegne, ist sehr auf dieses rationale Prinzip, alles hat eine Ursache, alles hat eine Wirkung konzentriert. Für mein Empfinden ist das etwas naiv, weil ich immer wieder die Erfahrung mache, dass es viele Leute genau wissen, was gut und richtig ist und es trotzdem nicht tun. Wir haben noch den Begriff der Sünde, der darauf hinweist, es gibt Dinge, die sind irrational und ein Stück Erfahrung mit den Abgründen des Menschen, das viel tiefer ist, als jegliche Meditation, als jegliche Selbsterkenntnis. Und dass daher der Buddhismus für meinen Geschmack recht optimistisch ist, und es widerspricht meinen Lebenserfahrungen."
Es ist dieser Optimismus der Pfarrer Schippel anspricht.an. Und "Tugenden" wie Mitgefühl und Verständnis für sich und den anderen, die in Thich Nhat Hanhs Lehre wichtig sind:
"Über das Mitfühlende reden, weil das eben in meinem Beruf auch eine wichtige Rolle spielt, in der Seelsorge und Beratung. Dass das mitfühlende Reden eben auch dazu führt, dass ein Mensch sich verstanden fühlt, und dann verändert sich viel. Das ist für mich auch das, was hier in der buddhistischen Praxis sehr authentisch rüberkommt für mich. Ich vertiefe es hier noch mal, man könnte auch sagen, ich erde es noch mal. Hier bekommt man nochmal so einen spirituellen Hintergrund oder so eine gewisse Energie, die hier für mich auch spürbar wird, mit der ich dann auch wieder in diese Arbeit gehe."
Konzentration und Achtsamkeit entwickeln
Diese Energie entstehe laut Thich Nhat Hanh durch Konzentration und Achtsamkeit. Beides lasse sich sogar im stressigen Alltag täglich erzeugen – beispielswiese beim achtsamen Gehen. Jeder Gang könne zu einer kleinen Geh-Meditation werden. Egal, ob man spazieren geht oder im Büro auf dem Weg zum Computer ist.
"Du gehst. Und Du bist dabei vollkommen frei von der Vergangenheit, der Zukunft und von Deinen Projekten."
Diese Methode nutzt auch Pfarrer Allan Grave in Waldbröl für sich:
"Also wenn ich dort bin, werde ruhiger, achte mal auf dich selber, achte mal auf die anderen, du brauchst gar nicht so viel leisten, du kannst mal den Augenblick jetzt akzeptieren, und das habe ich auch gelernt. Wir leben jetzt, nicht gestern, nicht morgen - jetzt, und es wäre natürlich schade, dann die Gegenwart zu verpassen."
Aus dem Leistungsdenken herauskommen, in die innere Ruhe hineinkommen, das erleichtert den Pfarrern ihren stressigen Alltag. Und auch den ihrer Gemeinden:
"Wir haben auch Gottesdienste, die diese Stille mehr berücksichtigen wo auch lange Stille gemacht wird. Also da gibt es schon die Möglichkeit."
"Ich bin hier im Kirchenkreis für die Begegnung der Religionen zuständig. Ich denke, ich kann auch einiges von ihm lernen und ich denke die Auseinandersetzung mit dem, was er vertritt, hilft mir also auch zur Selbstreflexion, ist dann vielleicht auch ein Stück Reinigung von manchem, was wir an Ballast, an Tradition, Dogmen mitschleppen."
"Vielleicht ist es auch das, dass wir von den Buddhisten auch wirklich in der ganzen Ernsthaftigkeit, wie hier eben auch Meditation und der Weg der Achtsamkeit gegangen wird, wieder mehr etwas lernen können, unsere eigenen Wurzeln zu vertiefen - in der Praxis der Achtsamkeit und Meditation, aber eben auch christliche Mediation, die Tradition haben wir, und umgekehrt, die Buddhisten auch von uns mitnehmen können, und das sich ergänzt."