Geister

Ein ganz normaler Spuk

Von Dorothee Adrian |
Es gibt aufgeklärte Menschen, die einem ernsthaft von Spuk in ihrer Umgebung berichten. Mit solchen Phänomenen hat sich die Evangelische Akademie Baden beschäftigt, denn auch Pfarrer werden mit diesen Geschichten konfrontiert.
"Mich interessiert das Thema vor allen Dingen deswegen, weil ja viele Leute sagen: Spuk, damit will ich nichts zu tun haben, und solche Phänomene, die man sich nicht erklären kann, die können einfach nicht sein. Und ich erkenne das auch in meiner Arbeit, dass mich Leute fragen: Was kann ich denn machen, ich hab dies und das erlebt, aber kein Mensch glaubt mir."
Die Religionspädagogin Karin Sauer arbeitet bei der Informationsstelle für Weltanschauung der Evangelischen Landeskirche in Baden. Immer wieder erzählen ihr Ratsuchende von Dingen, die sie nicht einordnen können, beispielsweise dass sie Stimmen oder Geräusche gehört haben. Wie können kirchliche Mitarbeitende mit solchen Anfragen umgehen? Wie steht die Kirche zu übersinnlichen Erfahrungen?
Einen einheitlichen Standpunkt gibt es zumindest in der Evangelischen Theologie nicht. Geister, Dämonen und transzendente Erlebnisse werden selten thematisiert. Umso mehr hat es den Pfarrer, Kultur- und Religionswissenschaftler Gernot Meier gereizt, zu diesem weiten Themenfeld eine interdisziplinäre Tagung zu veranstalten.
"Das ist ein Thema in den Medien, in Computerspielen, wenn man das Fernsehen anmacht, sieht man diese Darstellungen zuhauf, und die Frage ist, wie gehen wir als Christinnen und Christen damit um, es sind existenzielle Fragen, die da bearbeitet werden, es werden Narrative, also Erzählungen, angeboten, die diese existenziellen Fragen einkleiden in Lösungen, und dem wollte ich gerne nachgehen, wie das heute ist."
Als "Narrative" versteht er Geschichten, die Unerklärliches aufgreifen und deuten. Das können biblische Erzählungen sein, zum Beispiel wenn in der Weihnachtsgeschichte ein Engel Josef erscheint, um ihm zu erklären was auf ihn zukommen, oder die Begebenheit, in der Jesus die Dämonen in die Schweine fahren lässt - es können aber auch neue Erzählungen sein, wie sie in Filmen oder Romanen vorkommen. Historiker, Kulturwissenschaftler und Theologen zeigen bei der Tagung auf, wie sich die Darstellungen von Teufeln, Geistern und Dämonen in der Geschichte bis hinein in die heutige Popkultur entwickelt haben.
Spuk ist einer psychosomatischen Krankheit ähnlich
Dass Spuk nicht nur ein Thema in Filmen und der Literatur ist, berichtet Walter von Lucadou. Der promovierte Physiker und Psychologe leitet die Parapsychologische Beratungsstelle in Freiburg und erhält rund 3000 Anfragen im Jahr. Zunächst untersucht er die Vorfälle physikalisch, um herauszufinden, ob es sich um eine technische Störung handelt. Wenn dies ausgeschlossen ist, forscht er als Psychologe weiter.
"Spukphänomene unterscheiden sich von technischen Störungen dadurch, dass Spukphänomene sowas wie eine symbolische Bedeutung haben und einen psychologischen Anteil."
Spuk sei einer psychosomatischen Krankheit ähnlich, die jedoch nicht im Körper, sondern in seiner Umgebung, beispielsweise in der Wohnung, auftrete. Von Lucadou ist überzeugt, dass diese Dinge tatsächlich passieren können und keine Hirngespinste sind:
"Ein Spuk hat eigentlich immer die gleichen Muster, es sind im Wesentlichen Geräusche die man nicht erwartet, Bewegungen von Gegenständen, die man nicht erklären kann, häufig passiert totale Unordnung oder elektrische Geräte spielen verrückt, Telefone klingeln, die gar nicht angeschlossen sind, oder: Fernseher schaltet sich ein, und ähnliche Geschichten.
Es ist so ne Art Rätsel, was man lösen muss. Das ist natürlich psychodynamisch begründet, denn das, was da verborgen ist, ist für die Leute meistens so belastend, dass sie es nicht direkt sehen können, dass also Tabuthemen umgeformt werden, symbolisch ausgedrückt werden, so dass sie die Psyche nicht sehr belasten."
Ein Beispiel erzählt von Lucadou immer wieder gerne: In einem Wirtshaus wurden Weinfässer im Keller wie von Geisterhand hin und her gerollt. Das Haustier traute sich nicht in den Raum, das Baby schrie. Im Gespräch stellte sich heraus, dass es immer dann anfing zu spuken, wenn der Ehemann außer Haus war. Dieser hätte viel lieber mit seiner Frau das Wirtshaus geführt, glaubte aber, an seinen ungeliebten Bürojob gebunden zu sein. Erst, als er diesen aufgab, hörte der Spuk auf:
"Weil die Spukphänomene so strange sind, so merkwürdig, und weil wir Angst davon haben, neigen wir dazu immer zu denken, da steht Mord und Totschlag dahinter, also schreckliche Verbrechen, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung und so weiter, das wird ja auch in Gruselfilmen so dargestellt, aber in Wirklichkeit sind das normale Lebensprobleme, aber es gibt Leute, die die Tendenz haben, sowas eher durch einen Spuk zu verarbeiten als durch eine psychosomatische Reaktion, und das find ich ja gar nicht schlecht."
Der Mechanismus hinter den Kräften ist noch nicht genau erforscht
Der Physiker und Psychologe von Lucadou spricht dann von einem "ganz normalen Spuk". Offen bleibt die Frage, welche Kräfte auf Gegenstände einwirken, die sich dann im Raum bewegen? Der Mechanismus sei noch nicht genau erforscht, sagt von Lucadou, aber mit offenen Fragen müssten eben auch Wissenschaftler leben.
Dem Tagungsleiter Gernot Meier ist es wichtig, verschiedene Erklärungsmöglichkeiten anzubieten. Relevant wird dies auch für seine Pfarrerskollegen in der Seelsorge:
"Wenn Menschen Verstorbene wiedersehen, wie geh ich dann damit um? Ist es eine Form des Abschieds? Ist es das, was Herr Lucadou mit Spuk meint? Ist es etwas, das ich abwehren muss? Oder ist es etwas Dämonisch-Böses, wie es manche formulieren?"
Die Rolle des Seelsorgers ist hier die eines guten Freundes, sagt der Pfarrer Christian Weber. Zuhören, nachfragen und herausfinden, was hinter dem Erlebten steht. Ihm geht es weniger um die Frage, ob es so etwas wie Spuk gibt, sondern, was sich darin ausdrückt, und wie Menschen die Angst genommen werden kann.
Ihm fällt dazu die Begegnung mit einem alten Mann ein:
"Der mir erzählt hat beim Besuch, er hört immer wieder eine Stimme, die sagt zu ihm, er soll ein Küchenmesser nehmen und sich erstechen. Und dann kam irgendwann raus, dass vor einem Jahr seine Frau verstorben ist, völlig überraschend, und er hat dann gesagt, sein großes Elend ist, er konnte nie darüber weinen. Und bis zum heutigen Tag nicht. Und plötzlich hat er angefangen zu weinen. Und das ist wie aus ihm herausgebrochen. Und als ich ihn das nächste Mal besucht hab, hat er dann erzählt, diese Stimme ist weg. Das war praktisch die Stimme der verhinderten Trauer, die da gesprochen hat."
Christian Weber lebte längere Zeit im Kongo, wo Menschen ganz selbstverständlich von Hexen und Geistern sprechen. Doch auch in Europa beobachtet er ein größer werdendes Interesse an übersinnlichen Phänomenen.
Für die Religionspädagogin Karin Sauer hat die Beschäftigung mit diesem Thema vor allem eins gebracht:
"Dass ich das, was die Leute erzählen, erstmal nicht einfach so abtue, dass das ein Phänomen ist, das gar keine Angst machen muss und über das man auch einfach sprechen kann. Ich hab nach der Tagung jedenfalls weniger Angst davor, falls es mal bei mir spuken sollte!"