Gejodeltes heimisches Liedgut

Von Caroline Kuban |
Bei der Oberstdorfer Jodlergruppe spielen Tradition und Heimatverbundenheit eine große Rolle. Ebenso wie die Abgrenzung von den oberbayerischen Nachbarn und das harmonische Miteinander von Jung und Alt: Denn Nachwuchsprobleme gibt es nicht.
18 Männer in einem nüchternen Probenraum der Oberstdorfer Musikschule. Ungewöhnlich nur der Kasten Bier, der vorne in der Mitte steht: Die Oberstdorfer erledigen gerne aus Zeitgründen schon während der Probe, was andere Chöre danach in Angriff nehmen: Das gemeinsame Feierabend-Bier. Bei den Tenören sitzt Josef Übelhör, 67 Jahre alt und seit über 40 Jahren Mitglied der Allgäuer Gruppe.

"Bin mit dem aufgewachsen, Vater war Gründungsmitglied. Seit ich auf der Welt bin hab ich mit den Oberstdorfer Jodlern was zu tun. Als Schüler hab ich immer Postbote machen müssen für die Gruppe, halt die Sachen verfahren. Da hat’s immer Termine, da hab ich umeinanderradeln müssen von einem zum anderen und sagen müssen, wann Probe ist, und so wächst du halt rein."

Übelhör schätzt den Zusammenhalt unter den Jodlern, die Kameradschaft und vor allem das harmonische Miteinander von Jung und Alt. Nachwuchs-Probleme kennen die Oberstdorfer Jodler nicht:

"Wir haben keine Probleme gegenüber anderen, zum Beispiel die haben meistens mit der Jugend Probleme, dass weniger nachkommen. Bei uns ist das fast umgekehrt, kann man sagen. Bei uns würden mehr kommen, wie wir brauchen können. Das ist eigentlich auch gut, jung und alt zusammen."

Besonders gerne widmet sich der Chor überlieferten Liedern, die auch die Großväter schon gesungen haben –und die fühlten sich traditionell schon immer den Schweizern näher als den oberbayerischen Nachbarn, erzählt Josef Übelhör:

"Die Oberbayern jodeln ja anders als wir. Unsere Jodlerei hat mit der Schweiz zu tun und nicht mit den Oberbayern-die haben eine ganz andere Jodlerei. "Wo ist der Unterschied?" An den Silben, die singen "Hollereidudeljö" und bei uns singt man das anders."

"Kehlkopf-Akrobatik" nennt Chor-Leiter Reiner Metzger die oberbayrische, mitunter sehr schnelle Jodel-Technik. So etwas gäbe es im Allgäu nicht, sagt er:

"So wie bei uns gejodelt wird, das ist einfach der Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme, grad die Kopfstimme spielt ja eine große Rolle beim Mann, die auch ganz tragend sein muss, und wenn Sie sich einen gesangsmäßigen, ganz langsamen, getragenen Jodler, denken Sie an Alphörner, dann haben Sie es genau vor sich. Solche Sätze werden dann einfach gesungen mit der menschlichen Stimme."

Die Heimatverbundenheit der Oberstdorfer drückt sich auch in ihren Liedern aus. Sie handeln durchweg vom Leben in den Bergen und der Liebe zur Natur. Dass allerdings das Jodeln durch Zuruf von Alpe zu Alpe entstanden ist, hält Herbert Hiemer, erster Vorsitzender der Jodlergruppe, für einen Mythos:

"Man darf es ja nicht so sehen, dass eine Alp 200 Meter weiter drüben die nächste Alp ist, das ist sehr selten, dass das vorkommt. Die sind schon einen Kilometer oder zwei Kilometer auseinander. Und da möchte ich einen sehen, wie der da rüberruft und der andere hört das. Das ist Blödsinn. Was früher mit Sicherheit war, wenn man vorbeigegangen ist an einer Alp und man hat einen gesehen, dann hat man einen Freudenschrei abgelassen, das ist der "Jüchzger", das ist nichts anderes als eine Bekundung der Freude, nichts Anderes!"

Die Chor-Mitglieder kommen aus allen Altersklassen und Berufsfeldern. Vom Bankdirektor bis zum Landwirt ist alles vertreten. Gemeinsam ist ihnen ihr Geburtsort Oberstdorf und die Liebe zum Jodeln von Kindheit an. Diese Tradition geben auch die Jüngeren bewusst weiter. Der 27-jährige Johann Boxler ist seit zehn Jahren mit dabei.

"Der Opa hat’s schon, 50 Jahre war der bei der Jodlergruppe, der Vater ja über 30 Jahre und mir gefällt’s auch, gute Kollegen, nette Kollegen, ist halt a Freud."

Familie Boxler hat einen geradezu legendären Ruf, was das Jodeln in Oberstdorf betrifft. Großvater Franz ging Anfang der 50er-Jahre schon mal 25 Kilometer zu Fuß nach Hindelang, um eine neue Jodler-Melodie abzuholen und mit seinen Söhnen einzustudieren, erzählt sein 58-jähriger Sohn Franz Boxler.

"Mir ham früher noch den Biertransport gehabt, der Vater noch mit den Pferden in die Hochtäler nach Gestruben oder Freibergsee hoch und da fuhren wir immer mit, meistens zu dritt, und da hat man immer unter’m Fahren gejodelt, gell?"

Seit einiger Zeit bringt nun die jüngere Generation in der Jodlergruppe ihren Einsatz: neben seinem Neffen Johann auch sein 26-jähriger Sohn Thomas Boxler. Natürlich gemäß der Familientradition in der Funktion als Vor- oder Solojodler.

Auf dem Schoß die zweite Flasche Bier, wird am Ende klar, was ihn und die Allgäuer Jodler seit Jahren bei Stimme und Laune hält:

"Das gehört grundsätzlich dazu, weil das Jodeln ist eigentlich wie Sport für andere. Das ist eigentlich wie Extremsport für die Stimmbänder, und die müssen auch geölt werden."


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