Gekaufte Kinder? Adoptionen und Zynismus

Von Barbara Sichtermann |
Kinder als Handelsware - das ist eine erschreckende Vorstellung, die in uns allen sofort den moralischen Menschen weckt. Über "Adoptionstourismus" wurde schon vor zehn und mehr Jahren sorgenvoll berichtet; damals erschien ein Buch mit dem Titel: "Gekaufte Kinder", in dem besonders von Adoptionen aus der Dritten Welt dringend abgeraten wurde.
Dort entstünde sehr schnell eine Grauzone, in der die Rechte von Kindern und leiblichen Eltern nichts mehr gelten und mit Hilfe ebenso findiger wie korrupter Anwälte so manches Baby an der Legalität vorbei in die Arme eines betuchten westlichen Paares geschleust würde, das alles besitzt und nur leider unfruchtbar ist. Der räuberische Westen also greift, nachdem er die Südhalbkugel um ihre Stabilität und ihre Rohstoffe gebracht hat, nun auch nach deren letzter Ressource: den Kindern...

Inzwischen wurde die Haager Konvention verabschiedet, in der sich viele Länder dieser Erde auf ein einheitliches Adoptionsverfahren geeinigt haben. Danach ist es stiller geworden um den angeblichen Skandal Adoption. Bis neuerdings Prominente aus aller Welt, unter ihnen Madonna, Meg Ryan, Brad Pitt und Angelina Jolie, aber auch Popstar Patrick Lindner und unser Altkanzler Gerhard Schröder durch Adoptionen aus armen Ländern Schlagzeilen machten. Irgendetwas daran beunruhigt die Öffentlichkeit. Man weiß doch: Adoptionen sind langwierig und umständlich. Bewerber müssen Jahre warten und sich harten Prüfungen unterziehen. Warum geht das bei den Promis hoppla hopp? Ist da am Ende Geld geflossen, auf welchen Wegen auch immer? Madonna soll Millionen für ein Kinderheim in Malawi gespendet haben – in jenem afrikanischen Land also, aus dem ihr Adoptivsohn David stammt. Bei dessen Annahme an Kindes Statt, so liest man in der Zeitung, ging es womöglich nicht mit rechten Dingen zu. Das Zusammenleben von neuen Eltern und Kind, das in Malawi zwei Jahre dauern soll, wurde nachweislich nicht abgeleistet. Hat nicht auch Schröder sein russisches Mädchen ziemlich schnell mit nach Hannover nehmen können, hat er dafür etwa Beziehungen spielen lassen, die bis hinauf zu Duzfreund Putin reichen? Und wie lief das eigentlich bei Brad Pitt und Angelina Jolie? In der Presse erschienen hämische Kommentare. So liest man, die Promis dieser Welt schmückten sich mit einem Adoptivkind, um sich beim lieben Gott einen Bonus zu verschaffen. Sie wollten eben nicht bloß schön und reich, sondern auch noch gut sein. Und die kleinen Kinder, denen man ihre Heimat stiehlt, ihre Sprache und ihre Kultur, die werden ohnehin nicht gefragt.

Was ist zu diesen Vorwürfen zu sagen? Erstmal: die Klage über die Entwurzelung von Kindern aus dem Armutsgürtel unsrer Erde, die es durch Adoption nach Europa oder USA verschlägt, ist angesichts der Not der Kinder, angesichts von Globalisierung und Zusammenrücken der Kontinente, blanker Unfug. Wir wissen alle, dass Kinder nicht nur durch illegale Adoption zur Handelsware werden, sondern dass es einen grauen Markt des Kindersklavenhandels, der Kinderzwangsrekrutierung und der Kinderprostitution gibt und dass diese Märkte wachsen. Wer sich also um das Schicksal von Kindern aus der Dritten Welt sorgt, hat genug zu tun, er hat Millionen Opfer zu beklagen, denen jede Hilfe fehlt, wogegen die paar womöglich nicht ganz legal adoptierten Kinder kaum ins Gewicht fallen. Ob es sein kann, dass hier eine Verschiebung stattfindet, dass man sich einfach lieber über die Promis und ihre Familienverhältnisse aufregt, anstatt dort genauer hinzusehen, wo sich das wirkliche, das ganz harte, das unerträgliche Kinderelend ausbreitet?

Ferner: Kein Mensch, auch kein prominenter, adoptiert ein Kind, um jemand anders, und sei es den lieben Gott, damit zu beeindrucken. Diese Unterstellung ist so wirklichkeitsfremd wie böswillig. Adoption ist eine sinnvolle Einzelfallhilfe, die möglich bleiben muss und die man nicht mies machen sollte. Und kein geeigneter Erwachsener darf als Adoptionsbewerber nur deshalb ausgeschlossen oder auch nur beargwöhnt werden, weil er prominent ist. Allerdings sollte gerade ein berühmter Mensch, der adoptieren möchte, es mit den Eignungsprüfungen sehr genau nehmen. Auch und gerade er sollte vom Sozialbericht übers polizeiliche Führungszeugnis bis hin zur Probezeit alles vorlegen und mitmachen, und zwar nicht bloß, um den Bestimmungen der Haager Konvention Genüge zu tun, sondern auch, um ein Zeichen zu setzen. Adoptionen müssen umständlich bleiben. Es muss sehr genau geprüft werden, ob das Kind, um das es geht, wirklich verlassen ist und ob seine künftigen neuen Eltern geeignet sind, es großzuziehen. All das kostet Zeit, und soviel Zeit muss sein. Prominente, die sich über die Vorgaben hinwegsetzen und dann auch noch mit Dollars winken, rücken Auslandsadoptionen ins Zwielicht und erweisen den seriösen Vermittlern internationaler Adoptionen und damit auch den Waisen, die neue Eltern brauchen, einen Bärendienst.

Barbara Sichtermann, Jahrgang 1943, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie ist Kolumnistin der Wochenzeitung "DIE ZEIT". Ihre letzten Buchveröffentlichungen: "Lebenskunst in Berlin" (mit Ingo Rose) und "Romane vor 1900" mit (Joachim Scholl) und "Das Wunschkind" (Mitautor Klaus Leggewie).
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