Gekaufte Staatsbürgerschaften

Einmal einen EU-Pass, bitte!

30:17 Minuten
Während einer Demonstration werden falsche Kopien zyprischer Pässe verteilt.
Demonstration gegen "goldene Pässe" auf Zypern: Politiker sind in den Verkauf von Staatsbürgerschaften verwickelt. © Picture Alliance / Associated Press / Petros Karadjias
Von Isabell Röder · 08.02.2021
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Länder wie Zypern oder Malta verkaufen ihre Staatsbürgerschaft an fast jeden, der ausreichend zahlt. Ein lukratives Geschäft, an dem auch so mancher Politiker mitzuverdienen scheint. Die EU-Kommission geht nun gegen die beiden Staaten vor.
"Als ich am Morgen aufgewacht bin, habe ich meinen Mann gefragt: Ist jemand zurückgetreten? Er sagte: nein. Dann habe ich entschieden, dass ich demonstrieren muss. Auch wenn ich die einzige Person in Zypern wäre, die fühlt, dass sie da etwas tun muss."
Die Aktivistin Alexandra Attalides schreibt Plakate, bereitet eine Rede vor. Über Twitter und Facebook ruft sie Freunde und Bekannte auf, ihren Unmut über die Politik zu zeigen. Am Abend des 13. Oktobers sind rund 300 Menschen in Nikosia, der Hauptstadt der Republik Zypern, auf der Straße. Für Zyperns Zivilgesellschaft ein Erfolg.
"Das war die erste Demonstration. Die Leute waren sehr wütend, und sie haben Rücktritte gefordert. Ich denke, das war der Startpunkt, der gezeigt hat, dass die Menschen auf Zypern nicht bereit sind, dieses Verhalten und diese Korruption zu akzeptieren."

Hauptsache, es wird genug gezahlt

Die Demonstration Mitte Oktober ist die Reaktion auf eine Undercover-Reportage von Al Jazeera. Am Tag zuvor hat der Sender ein einstündiges Video veröffentlicht. Darin ist zu sehen, wie zwei Journalisten mit versteckter Kamera versuchen, für einen chinesischen Geschäftsmann die zypriotische Staatsbürgerschaft zu kaufen.
Demonstranten in Nikosia halten Plakate mit der Aufschrift "The Golden Dirt Of Cyprus" in die Höhe.
Im vergangenen Oktober forderten die Zyprer, den Verkauf der Staatsbürgerschaft zu beenden.© Picture Alliance / Associated Press / Petros Karadjias
Doch ihr vermeintlicher Auftraggeber wurde in China bereits wegen Korruption und Bestechung zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Pass aus Zypern soll ihn und sein Vermögen retten.
Bei ihren Recherchen treffen die Undercover-Journalisten nicht nur Immobilienmakler, sondern auch hohe Politiker, darunter den Sprecher des Parlaments, Demetris Syllouris. Dieser sichert ihnen seine volle Unterstützung beim Kauf der Staatsbürgerschaft zu.

Die Haftstrafe ist unbedeutend, solange das Geld stimmt. Immobilienmakler, Anwälte und Politiker versprechen "Lösungen" – zum Beispiel, indem die Ehefrau des Verurteilten den Antrag stellt. Auch eine Namensänderung sei kein Problem. Es gehe darum, mit dem Rhythmus der Gesetze zu "tanzen", umschreiben die Männer unter Schulterklopfen ihre Taktik. Alexandra Attalides macht das wütend: "Deshalb sind wir verärgert. Wir opfern unser Land für eine Gang unmoralischer und gieriger Politiker."
Das Still aus "The Cyprus Papers" zeigt die Illustration eines Marktstandes, auf dem Pässe zum Verkauf dargeboten werden.
Im Oktober 2020 führte der investigative Al-Jazeera-Bericht "Passport on Sale" zu Protesten auf Zypern.© Al Jazeera / Screenshot via YouTube am 8.1.2021

Politiker unter Korruptionsverdacht

Noch am Tag der ersten Demonstration treten der Sprecher des Parlaments und ein Abgeordneter zurück. So deutlich wie noch nie zeigt das Video, dass Politiker auf Zypern bis in die höchsten Ämter in den Verkauf von Staatsbürgerschaften verwickelt sind.
"Das war eine Bombe für die politische Struktur der Insel. Es wurde immer gesagt, dass das ein fragwürdiges Geschäft ist. Aber niemand hat erwartet, dass es so einen Beweis geben würde wie das Video mit unserem Parlamentssprecher."
Efi Xanthou ist stellvertretende Vorsitzende der Partei der Grünen in Zypern (KOSP). Mit zwei Abgeordneten gehört KOSP zu den kleinen Parteien im Parlament. Das Programm zum Kauf von Staatsbürgerschaften lehnen sie ab.
Der Skandal, den Al Jazeera im Oktober 2020 aufgedeckt hat, war nicht der erste über die kaufbaren Staatsbürgerschaften in Europa – aber der mit den weitesten Folgen. Kurz darauf beschließt Zypern, das Programm zum 1. November 2020 auslaufen zu lassen.
"Wir haben einen internationalen Skandal gebraucht, um auf uns selbst blicken zu können. Seit 2014 war das ein offizielles Problem. Aber beide, die vorherige Regierung und die jetzige Regierung, waren nicht fähig, auf die Appelle zu hören und darauf zu achten, wem sie eine Staatsbürgerschaft geben."

Rund um den Globus ist es möglich, Staatsbürgerschaften und Aufenthaltsgenehmigungen zu kaufen – genauer gesagt: durch eine Investition zu erwerben. Seit den 1980er-Jahren bieten kleine Inselstaaten der Karibik die sogenannten Citizenship-by-Investment-Programme an.
Demetris Syllouris spricht hinter einem Podium.
Der Sprecher des zyprischen Parlaments, Demetris Syllouris, stand im Mittelpunkt des Skandals um "goldene Pässe" und musste zurücktreten.© Picture Alliance / dpa / MAXPPP
Conny Abel leitet das Anti-Korruptionsforum bei Transparency International. Seit drei Jahren macht die Organisation auf die Risiken dieser Programme aufmerksam.
"Das sind Investorenprogramme, bei denen es aber nicht um aktive Investitionen geht, sondern man kann sich die Staatsbürgerschaft oder eben den Aufenthaltstitel kaufen. Entweder man investiert in eine Immobilie – oder man macht eine einmalige Spende. Bei diesen Programmen gibt es keinen richtigen Bezug zu dem Land. Diejenigen, die die Staatsbürgerschaft kaufen, die wollen da gar nicht leben. Und das ist eigentlich das Problem mit den Programmen."
Wer auf St. Kitts und Nevis, einer Inselgruppe mit gut 50.000 Einwohnern, 150.000 US-Dollar in einen Fond einzahlt oder für 200.000 US-Dollar eine Immobilie kauft, kann einen Pass bekommen. Und konnte vor der Corona-Pandemie damit visafrei in die EU, Kanada und die USA einreisen.
"Es sieht teilweise so aus, dass sie dafür gemacht worden sind, Gelder ins Land zu holen, egal, welche Gelder, egal, wo das Geld herkommt. Und da würden wir sagen, unter Rechtsstaatlichkeit-Prinzip fällt das dann nicht mehr. Also, das gehört besser geregelt."

Das goldene Tor zur EU-Staatsbürgerschaft

Als erstes EU-Land hat Bulgarien im Jahr 2005 ein Investorenprogramm für Staatsbürgerschaften eröffnet. 2007 und 2014 folgten Zypern und Malta. Interessierte müssen hierfür einiges auf den Tisch legen. Malta verlangt eine Investition von rund einer Million Euro, in Zypern waren zwei Millionen notwendig. Ein Großteil des Geldes fließt dabei in den Kauf von Immobilien. Die Villa am Strand kommt dann inklusive einer neuen Staatsbürgerschaft und allen Rechten von EU-Bürgern.
Für die Juristin Ayelet Shachar ist die EU-Staatsbürgerschaft der tatsächliche Anreiz. Sie ist Professorin an der Universität von Toronto und forscht zur Entwicklung von Staatsbürgerschaft.
"Wenn Malta einfach seine Staatsbürgerschaft anbieten würde und sagt: Hallo, die Milliardäre der Welt können Malteser werden. Ich denke, es gäbe sehr wenig Nachfrage. Warum sollte jemand Staatsbürger Maltas werden, wenn es nicht das goldene Tor zur europäischen Staatsbürgerschaft gäbe."
Freier Aufenthalt in allen EU-Ländern, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, sichere Marktzugänge, ein europäisches Bankkonto und ein Reisepass mit visafreiem Zugang in über 160 Länder – all das sind Privilegien, die sich Menschen weltweit wünschen. Millionäre können sie kaufen.
Doch diese Praxis steht in heftiger Kritik. Transparency International fürchtet, dass auf diesem Weg kriminelle Investoren und gewaschenes Geld in die EU kommen. Auch Steuerhinterziehung und Korruption förderten die Programme. Conny Abel sieht die Warnungen ihrer Organisation durch das Undercover-Video bestätigt:
"Es ging nur noch um Summen. Wie viel bezahlst du und bis wann? Das baut kein Vertrauen in die Due Diligence auf. Nein, und das war ja nicht gestellt. Es war schön, dass so direkt auf dem Tablett präsentiert zu bekommen, weil man vermutet das immer, aber man hat es nicht immer so klar."
Due Diligence – mit dieser Prüfung soll die Identität der Bewerber und die Herkunft ihres Vermögens untersucht werden. Doch sowohl in Malta als auch in Zypern gibt es Fälle, in denen diese Prüfung entweder versagt hat oder bewusst umgangen wurde. Im November 2019 veröffentlichte der Ministerrat Zyperns eine Liste mit 26 Personen, die nie einen Pass hätten erhalten dürfen. Efi Xanthou:
"Der Polizeichef von Kambodscha hat die europäische Staatsbürgerschaft bekommen. Obwohl internationale Organisationen dokumentiert haben, dass diese Person Menschenrechtverletzungen begangen hat, sogar Mord."

Staaten veröffentlichen Informationen nur widerwillig

Aber nicht nur Neth Savoeun aus Kambodscha hat einen neuen Pass bekommen. Auch Mykola Slotschewskyj, einst Minister unter dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, erhielt 2017 einen zypriotischen Pass. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein Gericht in London sein Vermögen in Großbritannien bereits einfrieren lassen: Slotschewskyj soll sein Ministeramt für private Geschäfte missbraucht haben.
"Das hätte eine Person sein müssen, die hätte man genauer beleuchten müssen. Dem gibt man nicht einfach so einen Pass. Hat er das Geld, das der hier investiert, vielleicht nicht ganz rechtlich erworben? Nun, hätte man machen können. Haben sie aber offensichtlich nicht gemacht in Zypern, sondern haben dem einfach – und der hat sicherlich auch genug Schmiergelder bezahlt, nach dem, was man jetzt weiß – seinen Pass erhalten und konnte dann mit einem EU-Pass weitermachen."

Aufgedeckt haben diese Fälle Journalisten und Nicht-Regierungsorganisationen. Denn die Staaten veröffentlichen Informationen nur widerwillig. Malta gibt jedes Jahr eine Liste mit den Namen aller Eingebürgerten heraus. Von den 3500 Menschen, die im Jahr 2018 eingebürgert wurden, erhielten aber nur 860 ihren Pass gegen Geld. Wer diese Menschen sind, wurde bisher nicht veröffentlicht. Auch in Zypern gebe es kaum Hinweise auf die Identität der Personen, sagt Efi Xanthou. Dort erhält jeder Abgeordnete einen Brief:
"Ein Blatt Papier, das sagt: John Smith, geboren 1980 in Großbritannien, bedarf für seine Investition von mindestens zwei Millionen Euro der Staatsbürgerschaft auf der Insel. Wenn Sie irgendein Problem damit haben, antworten sie innerhalb von zwei Monaten. Diese Briefe kommen normalerweise zwei oder drei Monate, nachdem die Staatsbürgerschaft schon vergeben wurde. Nur um zu verstehen, wie lustig der ganze Prozess ist. Da gibt es keine gegenseitige Kontrolle der Staatsorgane."
Wie viele Menschen durch Investitionen eingebürgert wurden, aus welchen Ländern sie kommen, wie viel Geld sie investieren und was mit dem Geld passiert – soweit möglich, hüllen sich die Beteiligten in Schweigen. Aufsehen erregen die Fälle mit kriminellem Hintergrund.
Porträt von Mykola Slotschewskyj.
Neuer Pass zur Rettung des Vermögens? Der ehemalige ukrainische Minister Mykola Slotschewskyj soll sein Amt für private Geschäfte missbraucht haben.© Imgo / Zuma Wire / Pavlo Gonchar

Mehr Pässe, mehr Wahlmöglichkeiten

Für Christian Kälin verzerrt das die Wahrnehmung der ganzen Branche. Er ist Vorsitzender der Kanzlei Henley & Partners. In über 30 Filialen berät sie ihre Kunden zur Staatsbürgerschaftsplanung.
"Dass es sehr viele Beispiele gäbe, wo es nicht rechtmäßig gemacht wurde, das ist einfach falsch. Nehmen wir den aktuellen Fall Zypern. Das wurde gesagt, etwa 30 Kriminelle seien da eingebürgert worden, die nicht Zyprioten hätten sein sollen. Aber im nächsten Satz steht auch schon, dass in diesem Zeitraum sind zweieinhalbtausend Menschen eingebürgert wurden. Also, wir reden von 1,2 Prozent."
Ungefähr 3500 Menschen soll Malta seit 2014 eingebürgert haben, Zypern rund 6000. Die europäischen Staatsbürgerschaften machten aber nur einen kleinen Teil des Geschäfts aus. Viel häufiger interessierten sich die Wohlhabenden aus aller Welt für die günstigeren Pässe aus den Karibikstaaten.
"Im Gegensatz zu dem, was oft verbreitet wird, sind es nicht Superreiche. Natürlich gibt es das ab und zu. Die meisten sind normale Menschen, natürlich Menschen mit einem gewissen Vermögen. Aber ich würde sagen, mittlerer bis oberer Mittelstand in den meisten Fällen und nicht nur Superreiche. Natürlich haben wir das auch, aber das meiste sind relativ normale Menschen."
Zu diesen relativ normalen Menschen gehört wohl auch Selim. Gerade hat er sich ein Haus in Griechenland für 250.000 Euro gekauft. Das reicht nicht für eine Staatsbürgerschaft, aber immerhin für eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis. 20 Staaten der Europäischen Union bieten momentan diese Programme an, darunter Griechenland, Österreich und Portugal.
"Es ist eine Villa mit viel Land, in der Nähe von Athen. Ich denke nicht viel über die Immobilie nach. Um das Visum zu bekommen, habe ich das gemacht. Ja, ich war da, ungefähr 40 Minuten sind es bis Athen."
Seinen echten Namen will Selim nicht sagen. Er verrät nur, dass er aus Nordafrika kommt und in Dubai als Ingenieur im Ölsektor arbeitet. Das Haus hat er einem Freund abgekauft, vielleicht zieht er später dorthin. Im Moment gehe es ihm um eine gute Geldanlage – und Wahl-Möglichkeiten.
"Du hast Flexibilität. Du weißt nie, was passiert. Es ist immer gut, mehrere Optionen zu haben. Zum Beispiel bei Covid: Jeder saß fest. Ich will nicht eingeschränkt sein in meinen Möglichkeiten. Ich will in Europa, hier im Mittleren Osten oder in Afrika leben können."
Mehr Optionen im Leben: Wer möchte seinen Kindern nicht die Möglichkeit geben, in einer sicheren Umgebung aufzuwachsen und renommierte Universitäten zu besuchen? Welche Rechte und Privilegien mit einer Staatsbürgerschaft verbunden sind, ist auf der Welt sehr ungleich verteilt. Trotzdem ist die Juristin Ayelet Shachar gegen kaufbare Staatsbürgerschaften.
"Die Sorge, die ich bei den Citizenship-by-Investment-Programmen habe, ist, dass sie nicht die globale Ungleichheit angehen. Sie verschärfen sie, machen sie extremer. Sie richten sich genau an die Leute, die in ihren Heimatländern bereits privilegiert sind."

Die Idee der Staatsbürgerschaft wird ausgehöhlt

Wenn die globale Elite sich alles kaufen kann: Gibt es dann überhaupt einen Anreiz, die Ungleichheiten zwischen den Staaten abzubauen? Ayelet Shachar gibt auch zu bedenken, dass Investitionsprogramme die eigentliche Idee der Staatsbürgerschaft aushöhlen.
"Staatsbürgerschaft ist in erster Linie ein Weg, eine politische Beziehung herzustellen; eine Beziehung zwischen einer Gruppe Menschen, die gemeinsam Entscheidungen füreinander treffen, sobald sie als Bürger miteinander verbunden sind. Wenn du Entscheidungen triffst, die mich betreffen, treffe ich welche, die dich betreffen. Es erfordert unglaubliche Arbeit, dorthin zu kommen. Das ist auch ein Grund, warum wir Geschichtsschreibung haben, wir haben Nationen, wir haben Schulen, wir haben Erkennungssymbole. Es verlangt viel Arbeit, so eine Gemeinschaft herzustellen."
Staatsbürgerschaft – die Verbindung zwischen Staat und Bürgern steckt bereits im Wort. Wer muss welche Steuern zahlen? Wie soll Bildung und Krankenpflege organisiert sein? Wer hat das Recht, die Interessen der Bürger zu vertreten? Und ganz wichtig: Wer ist überhaupt Teil dieser Gemeinschaft? Für diese Fragen interessieren sich Menschen, die eine Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsgenehmigung kaufen, meistens nicht. Aber Berater wie Christian Kälin von Henley & Partners haben erkannt, dass in der Zugehörigkeit zu Gemeinschaften ein monetärer Wert liegt.
"Wie Sie sehen, sind Menschen weltweit bereit, über eine Million Euro aufzubringen, um Malteser zu werden. Staatsbürgerschaft ist wie ein Clubgut. Es verhält sich wie ein Club, und das hat einen Wert. Und was Malta und Zypern und andere Staaten weltweit machen, ist nichts anderes, als diesen Wert umzusetzen. Also volkswirtschaftlich eigentlich eine sinnvolle Tätigkeit."

Aus kapitalistischer Sicht "einfach genial"

Henley & Partners hat hier Pionierarbeit geleistet. Das Staatsbürgerschaftsprogramm von Malta haben sie mitentwickelt. Ein Jackpot für Kapitalisten, wie Ayelet Shachar feststellt.
"Einige würden sagen, warum nicht? Wir sind einfach brillante Kapitalisten. Wir haben etwas geschaffen, das vorher noch keine Ware war: Staatsbürgerschaft. Wir haben sie in eine Ware verwandelt, jetzt macht sie Geld für uns. Wenn du also ein echter Kapitalist bist, würdest du sagen: Das ist einfach genial."

Wer eine Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltserlaubnis gegen Geld erhält, kauft sich im Prinzip ein Paket an Rechten – und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Alexandra Attalides aus Zypern hat eine klare Einstellung, warum das nicht geht.
"Ich war gegen den Verkauf von Pässen, weil ich glaube, dass Nationalität etwas sehr Kostbares ist. Es hat mit der Geschichte unseres Landes zu tun. Es hat mit den Kämpfen der Menschen zu tun, mit unseren Niederlagen, den Siegen. Es hat mit unserer Kultur zu tun. Und ich denke nicht, dass das verkauft werden kann. Ich will nicht zu einem Staat gehören, der seine Nationalität verkauft. Ich will dieses Geld nicht. Es erniedrigt uns, es zermürbt uns. Ich denke, das ist falsch."
Porträt von Neth Savoeun.
Auch er kann sich über eine EU-Staatsbürgerschaft freuen: der Polizeichef von Kambodscha, Neth Savoeun, der Menschenrechtsverletzungen begangen hat.© Picture Alliance / ANN / Heng Chivoan

Festung Europa verschärft Einreisebestimmungen

Die Festung Europa – für reiche Menschen hat sie ihre Tore in den letzten Jahren immer weiter geöffnet, während gleichzeitig die Aufenthalts- und Einreisebestimmungen für alle anderen Menschen strenger wurden. Ayelet Shachar:
"Seit den 2000ern haben die meisten Länder in Europa ihre Eintrittsbestimmungen verschärft. In Deutschland haben wir Sprachtests. Man muss einen Integrationskurs besuchen. Das sind Hunderte von Stunden, in denen man lernen muss. Vor allem muss man die Sprache lernen, aber auch die Regierungsstrukturen, die Gesetze, die Geschichte des Landes. Und das gilt in vielen Ländern und Regionen."
Wer eine neue Staatsbürgerschaft bekommt, hat offiziell den Übergang vom Outsider zum Insider vollzogen. Während anderen Menschen sich dafür jahrelang beweisen müssen, reicht den Wohlhabenden eine Geldüberweisung.
"Das ist ein erschreckender Widerspruch. Entweder ist Staatsbürgerschaft relevant. Dafür musst man lernen, wie man Staatsbürger wird – und es sich verdienen. Oder es ist nicht relevant, und deswegen kannst man sie sich einfach kaufen oder den Telefonhörer nehmen und sagen: Ja, ich wäre morgen früh gerne Staatsbürger von Kanada, geben Sie mir bitte die Staatsbürgerschaft. Das ist absurd."
Die Investorenprogramme bringen den Staaten schnelles Geld. Für kleine Inselstaaten ist das eine verlockende Quelle, die moralische Vorbehalte vergessen macht. Nach Angaben der EU soll Zypern allein im Jahr 2017 eine halbe Milliarde Euro an Investitionen über das Programm eingenommen haben, genauso viel wie die Landwirtschaft erwirtschaftet hat. Und seit der Finanzkrise sei die Zahl der Einbürgerungen enorm gestiegen, erinnert sich Alexandra Attalides.
"Nach der Entscheidung der Eurogruppe im Jahr 2013, die Einlagen der Banken zu kürzen, haben viele Menschen ihre Ersparnisse verloren. Das Land war am Boden, die Wirtschaft eine Ruine. Da haben sie nach Wegen für die Wirtschaft gesucht, wieder neu zu starten. Und sie haben das Investitionsprogramm für Staatsbürgerschaften reformiert. Aber am Ende hat es uns Korruption gebracht."

Investitionen in Luxusvillen statt in Unternehmen

Politiker betonen, dass das Geld allen auf Zypern zugutekomme. Doch Efi Xanthou von der grünen KOSP Partei bezweifelt das.
"Viele Menschen kauften total überteuerte Luxusvillen. Sie versuchen nicht einmal, aktiv in ein Unternehmen zu investieren. Es geht hauptsächlich darum, Häuser zu bauen."
An den Stränden im Süden der Insel reihen sich die Villen aneinander. Ausgeblichene Schilder weisen noch auf neue Projekte hin: Entry into EU, EU-Eintritt, steht in der Ecke. Woher die Kunden kommen, ist an den Sprachen der Schilder zu erkennen: Chinesisch, Arabisch, Russisch.
"Das größte Problem war die Verfügbarkeit von Land. Das meiste Land, das es für so große Projekte gibt, befindet sich in ländlichen Gebieten, nicht in den Städten. Dann soll es nah am Strand sein. Denn das steigert den Wert jeder Immobilie. Und tatsächlich sehen wir den Druck, landwirtschaftliche Flächen in Bauland umzuwandeln, um den Rausch nach diesen Villen zu befriedigen."
In Zypern profitieren fast ausschließlich der Immobiliensektor und die Baubranche. Investitionen, die der Allgemeinheit nützen, gebe es kaum. Ob der öffentliche Nahverkehr ausgebaut sei, interessiere die Neubürger nicht.
"Immer mehr Yacht-Häfen werden gebaut, weil diese Luxusmenschen gerne ihre Yacht in der Nähe parken möchten. Es ist ein Dominoeffekt mit Entwicklungen für eine bestimmte Klientel, ohne irgendeine nachhaltige Strategie im Kopf zu haben oder die makroökonomischen Auswirkungen dieser Investitionen zu bedenken. Wenn wir in sieben Yacht-Häfen und zwölf Golfplätze investieren, dann nützt das der Insel nichts."
Die negativen Folgen der Programme bezahlen nicht die Wohlhabenden, sondern die anderen Bürger, die in den allermeisten Fällen nur eine Staatsbürgerschaft haben. Ayelet Shachar von der Universität Toronto schildert, wie Kanada auf den Verkauf von Staatsbürgerschaften von St. Kitts und Nevis reagiert hat.
"Es gab Jahre, in denen sich Kanada große Sorgen um die Due Diligence Prüfung gemacht hat. Kanada hat gesagt, wir können einem anderen Staat nicht vorschreiben, wie er seine Staatsbürgerschaft vergibt. Aber Kanada kann sagen, wir sind so besorgt über die Integrität eures Reisepasses, weil ihr Kriminalitätsprobleme habt, weil ihr Identitätsprobleme habt mit den Leuten, die eure Staatsbürgerschaft kaufen, sodass wir Menschen aus eurem Land nicht mehr erlauben können, ohne Visum hierher zu kommen."

Mit einem Schlag machte das die Reise nach Kanada für Menschen aus St. Kitts & Nevis nicht nur aufwendiger, die Insel wurde damit auch für Investoren unattraktiver.
"Wenn die Vorteile verschwinden, werden sie einfach ihr Geld woanders investieren. Das ist keine Option, die ich oder die meisten Menschen, die nur eine Staatsbürgerschaft besitzen, haben. Die werden mit den Kosten zurückgelassen und die Personen, die das verursacht haben, sind längst abgehauen."
Basseterre aus der Vogelperspektive gesehen.
Karibisches Inselparadies, "goldene Pässe" inklusive: St. Kitts und Nevis.© Imago / agefotostock

Vertragsverletzungsverfahren gegen Malta und Zypern

In Zypern haben die Wohlhabenden nochmals zugegriffen. Als das Land ankündigte, sein Programm zu beenden, wurden in den drei verbleibenden Wochen noch 1400 Anträge gestellt, berichtet Efi Xanthou. Doch ob sie noch in den Genuss eines europäischen Passes kommen werden? Inzwischen hat die Europäische Kommission eine klare Haltung zu den kaufbaren Staatsbürgerschaften eingenommen.
Am 20. Oktober hat sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Malta und Zypern eingeleitet. Sie fordert ein Ende der Staatsbürgerschaftsprogramme. Das Programm von Bulgarien sowie die Möglichkeiten Aufenthaltsgenehmigungen zu kaufen, stehen unter Beobachtung.
"Es ist einfach ein grundsätzliches Anliegen der Kommission, dass wir hier sicherstellen, auf der einen Seite die Sicherheit der Staatsbürger, Kriminalitätsbekämpfung und auf der anderen Seite eine Frage der Fairness und eben von Werten. Wir glauben, dass es nicht möglich ist, eine Staatsbürgerschaft nur rein gegen Geld oder Investment zu vergeben, sondern es braucht dazu, und das kommt aus dem Völkerrecht und dem Europarechts, eine echte Verbindung der Person mit dem Staat."
Christian Wigand ist Sprecher der Europäischen Kommission. Seit 2014 ist die EU mit den entsprechenden Ländern in Kontakt. Doch die Appelle und Forderungen verhallten.
"Wir haben beispielsweise im Fall von Zypern gefordert, dass man ein besseres System einführt, dass Geldwäsche vermieden wird, und dass man ein Screening der Personen macht, um sicherzustellen, dass nicht kriminelle Personen eine Staatsbürgerschaft bekommen. Sehr konkret bei Zypern war auch eine Forderung, dass bei Fällen, wo Fehler passiert sind, dass man die Vergabe von abgeschlossenen Verfahren nochmals anschaut und noch einmal prüft, eine Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen."

Darf die EU beim Thema Staatsbürgerschaft eingreifen?

Trotz einiger Anpassungen hat sich am grundsätzlichen Vorbehalt der EU gegen die Investorenprogramme nichts geändert: Ohne je in dem Land gelebt zu haben, erhalten die Investoren ihren Pass. Umstritten ist jedoch, ob die EU bei der Vergabe von Staatsbürgerschaften eingreifen darf.
"Es ist einfach die Rechtslage so, dass Citizenship, Staatsbürgerschaft, eine absolute Domäne der Mitgliedstaaten ist. Die Rechtslage ist klar, und die EU, wie sie argumentiert, denke ich, ist schon auf sehr dünnem Eis. Ich denke, dass es nicht soweit kommen wird, weil es wirklich Grundprinzipien der EU berührt, die man nicht einfach so ändern kann auf diesem Weg."
Christian Kälin von Henley & Partners ist sich daher sicher, dass die Programme das Vertragsverletzungsverfahren überleben werden. Bisher mussten Zypern und Malta nur mit einer Stellungnahme auf die Schreiben der Europäischen Kommission reagieren. Wenn keine Einigung gefunden wird, könnte die EU ein Gerichtsverfahren einleiten.
Conny Abel von Transparency International hofft, dass der Druck der EU eine Änderung bringt.
"Zumindest hast du in der EU eine Instanz, an die du dich wenden kannst und die versuchen kann, was zu machen. In anderen Ländern der Erde hast du diese übergeordnete Instanz wie die EU nicht. Und dann ist es noch einmal schwieriger, weil du da wirklich jedes einzelne Land angehen musst. Und hier? Ich denke, wir haben eine gewisse Chance."

Malta hat bereits angekündigt, notfalls mit juristischen Mitteln sein Staatsbürgerschaftsprogramm zu verteidigen. Im Moment prüft die Europäische Kommission die Antworten der beiden Länder.
Zypern hat nach den Veröffentlichungen von Al Jazeera ein Untersuchungskomitee eingesetzt. Es will alle 6000 Pässe überprüfen, die seit 2008 vergeben wurden. Ende Dezember ist ein erster Bericht erschienen. Trotz vieler geschwärzter Passagen sind die Probleme nicht zu übersehen: unvollständige Anträge, Falschinformationen, verdächtige Geldtransaktionen, überteuerte Immobilien. Den neuen Pass erhielten die Antragsteller trotzdem. Bisher will das Innenministerium nur sechs Staatsbürgerschaften wieder aberkennen. Alexandra Attalides begleitet die Untersuchung aufmerksam.
"Wir wollen, dass der Verkauf von Nationalität und Pässen dauerhaft endet. Wir wollen, dass alle zurücktreten, die in den Skandal verwickelt sind. Sie sollen für das, was sie getan haben, bezahlen. Wir wollen strafrechtliche Ermittlungen. Und wenn es Strafanzeigen gibt, müssen diese Leute vor Gericht und zur Rechenschaft gezogen werden."
Ihre Sorge ist, dass bei der landeseigenen Untersuchung zu viele Informationen vor der Öffentlichkeit zurückgehalten werden. Daher setzt sie große Hoffnung in das Verfahren der EU.
"Es gab Zeichen, dass die Europäische Union nicht glücklich mit den Programmen war, sie haben mit uns gesprochen. Aber die Politik im Land beachtet das nicht. Ich denke, wenn das der einzige Weg ist, es zu stoppen, dann muss es so sein. Wir müssen das Programm stoppen."

Sprecherinnen und Sprecher: Monika Oschek, Nina West, Ulrich Lipka
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Technik: Andreas Stoffels
Redaktion: Carsten Burtke

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