Belegte Brote, Kaffee und Kondome
Sex zu kaufen, ist in Schweden seit mehreren Jahren verboten. Doch Prostitution gibt es immer noch und das Gesetz schützt die Frauen nicht vor den Machenschaften der Zuhälter. Zwei Sozialarbeiterinnen in Göteborg versuchen, sie wenigstens ein bisschen zu versorgen.
Es ist Freitagabend in Göteborg, kurz nach 23 Uhr. Jenny Rådmann und ihre Kollegin Jonna Boström bereiten sich in einer kleinen Baracke auf ihren nächtlichen Einsatz vor. Jenny schmiert Butterbrote, Jonna kocht Kaffee und sucht aus Kartons Kondome, Gleitmittel, Tampons und Feuchttücher zusammen. Dann packen die beiden Frauen alles in eine Einkaufsrolltasche und machen sich auf in das schwedische Nachtleben.
Ihr Ziel: Rosenlund, der Göteborger Straßenstrich, mitten in der Innenstadt gelegen. Den dürfte es eigentlich gar nicht geben, denn der Kauf von Sex ist in Schweden verboten. Ringsum exklusive Geschäfte, Kneipen und ein Uni Gebäude. Jenny und ihre Kollegin stellen sich auf ihren Stammplatz. Schon auf dem Weg werden sie von den ersten Prostituierten begrüßt.
Keines der Mädchen wirkt älter als Mitte zwanzig. Sie sprechen englisch, manche ein paar Brocken schwedisch. Jonna verteilt Kondome und Tampons, Jenny zapft Kaffee aus einer Thermoskanne.
Das Gesetz schützt nicht vor Menschenhandel
Jonna: "Am Anfang war ich ziemlich schockiert und dachte nur: Warum um Himmels Willen kaufen die sich keine Kondome? Die verdienen doch ein paar Hunderter pro Nacht. Bis ich begriffen habe, dass die meisten noch nicht mal 10 Prozent von dem behalten dürfen, was sie verdienen. Da habe ich verstanden, dass sich viele der Frauen das einfach nicht leisten können. Und ALLE nehmen Kondome an, auch die, die nie mit uns sprechen und auch keinen Kaffee wollen."
Jonna und Jenny stellen fest, dass das schwedische Gesetz nicht vor Menschenhandel und den Machenschaften der Zuhälter schützt. Aber es hat trotzdem sein Gutes, meint Jonna:
"Das Gesetz hat den Alltag für die Frauen verändert. Sie trauen sich jetzt, Freier auch bei der Polizei anzuzeigen, wenn sie schlecht behandelt werden. Die Kunden wissen das und benehmen sich deshalb anständiger."
Jonna und Jenny arbeiten ehrenamtlich - das Geld für die Kondome nehmen sie aus einem Spendentopf.
Jenny: "Es ist sehr wichtig, dass sich sogar die Regierung dahinter stellt und signalisiert: Wir sind gegen Prostitution. Aber was fehlt, ist der zweite Schritt: Wir brauchen mehr Ressourcen, mehr Polizisten, die Sexkäufer verfolgen, Menschenhandel aufdecken und Zuhälter überführen."
Bereits seit 1999 ist der Kauf von Sex in Schweden verboten, aber trotzdem haben die Prostituierten auf dem Straßenstrich offenbar heute Abend Kundschaft. Rund 250€ zahlt derjenige, der beim Sexkauf erwischt wird, die Summe kann aber auch deutlich höher ausfallen. Tut sie aber meistens nicht, beklagt Jenny. Und Jonna regt sich darüber auf, dass sich Freier noch nicht einmal vor ihrer Familie rechtfertigen müssen, wenn sie erwischt werden.
Es fehlt an Hilfen für die Frauen
Jonna: "Der Strafzettel wird in einem diskreten Umschlag nach Hause geschickt, ohne Polizeisiegel: Was ist das denn für ein Quatsch! Warum wird das geheim gehalten? Bei keiner anderen Straftat bekommt man einen diskreten Umschlag nach Hause geschickt, warum also beim Sexkauf?"
Für Jonna sind die Prostituierten Opfer, sie steht auf deren Seite. Es fehlt an vielem, zum Beispiel an konkreten Hilfen zum Ausstieg aus der Prostitution. So gibt es zwar Beratungsstellen für die Frauen, aber die Sozialarbeiterinnen dort haben keine Alternativen anzubieten und fordern weitergehende Hilfen vom Staat.
Niemand soll sich mit Geld Zugang zum Körper eines anderen Menschen verschaffen, das ist die Idee des Gesetzes und inzwischen Konsens in der schwedischen Gesellschaft. Der Blick richtet sich nicht auf die Prostituierten, sondern auf die Freier.
Doch Sexkäufer treten normalerweise nicht in Erscheinung. Außer sie kommen zur Beratungsstelle KAST - denn auch das gibt es in Schweden: eine Anlaufstelle für Freier, die gerne aussteigen möchten.
Der Eingang zu KAST liegt versteckt in einer kleinen Seitenstraße, ein winziges Klingelschild klebt an der Sprechanlage. Nur wenige Straßenecken vom Göteborger Straßenstrich Rosenlund, wo Jonna und Jenny Kondome verteilen. Die Beratungsstelle liegt im zweiten Stock des Gebäudes, es gibt Sessel, Kaffee und Zeitungen, sogar eine Spielecke für Kinder ist eingerichtet. Ein Mann um die 30 wartet im Eingangsbereich auf seinen Gesprächstermin. Freiwillig. Die Beratung ist anonym, erklärt Sozialarbeiterin Maia Strufve.
Der Sexkauf in Schweden nimmt kontinuierlich ab
"In unserer Gesellschaft ist die Prostitution ein großes Tabu, man gilt als Loser, wenn man Sex kauft und es ist absolut nichts, worüber man in der Kaffeepause reden würde. Ich denke, eine solche Einstellung bedeutet viel und hat auch sicher dabei geholfen, dass dieses Gesetz in Schweden eingeführt werden konnte."
Zumindest die Statistik besagt, dass es auch Wirkung zeigt. Eine staatliche Untersuchung von 2010 hat ergeben, dass die Straßenprostitution um die Hälfte zurückgegangen ist. Kritiker gehen davon aus, dass der Sexkauf nur von der Straße ins Internet abgewandert ist und dadurch noch schwieriger zu kontrollieren ist. Doch dafür will die schwedische Regierung keine konkreten Hinweise gefunden haben. Ebensowenig dafür, dass die schwedischen Männer nun ins Ausland reisen, um Sex zu kaufen. In den Foren im Internet jedoch kursieren Tipps für billigen Sex in Berlin oder Riga.
Der Sexkauf in Schweden hat kontinuierlich abgenommen, meint Maja Strufve. Was die Prostituierten davon halten, ist nicht erfasst. Viele kritisieren die Regelung, weil sie das Geschäft erschwert.
Jenny packt für heute ein, aber sie wird auch an den kommenden Wochenenden wieder ehrenamtlich losziehen, um Kondome und Kaffee zu verteilen.
"Männer werden immer Sex kaufen. Leider. Und deshalb wird es auch immer Prostituierte geben."